Leserfoto – „Spielender Hund“: Anfang einer Serie

Serien und Projekte statt lose Bildsammlung

(c) Marcus Leusch

Mainz/Rheinpromenade: Der erste Frühlingstag bei strahlender Sonne und fast schon sommerlichen Temperaturen. Mich zog es am späten Nachmittag weg vom Büroschreibtisch zum Rheinufer. Auf meinem Streifzug hatten es mir die Schattenspiele auf dem Pflaster besonders angetan. Dazu gehört auch diese Zufallsbegegnung, die mich besonders angesprochen hat. Ein Hund tollte mit seiner Beute über die Steinplatten, während ihm eine Mutter und ihr Kind gespannt hinterher blickten. Für mich eine Szene, die ich spontan und in einer gewissen angespannten Hektik einfach festhalten musste …

Aufnahmedaten: Fuji X-E1, 18-55 mm-Objektiv (bei 28 mm ≈ 42mm Kleinbildformat), Belichtungszeit: 1/1500s bei ISO 200 (hatte leider meinen ND-Filter zuhause liegen lassen), Blende: 5, Kontraste angehoben

Du gehst wohl sehr gerne an der Mainzer Rheinpromenade spazieren, denn vor einiger Zeit hast Du schon einmal ein ähnliches Foto eingereicht, das ich zufälligerweise auch besprochen habe. Auch dort der gekippte Horizont („Dutch Angle“), auch dort das Spielen mit geometrischen Formen und Linien in Schwarzweiß.

Hier das andere Foto:

Dame mit Hündchen

Ich habe mich trotz der Ähnlichkeit der Bilder und der Tatsache, daß sie vom selben Fotografen stammen, dazu entschlossen, auch dieses zu besprechen. Denn erstens einmal ist es für mich eine gelungene Aufnahme, und zweitens gibt sie mir die Gelegenheit, projektbezogenes Arbeiten anzusprechen.

Zunächst einmal zu der vorliegenden Aufnahme. Du hast hier einen Schnappschuß von der Mainzer Rheinpromenade eingereicht. Das Foto zeigt einen Hund, der spielerisch kauend am Boden liegt. Oben rechts sieht man die Schatten einer erwachsenen Person, die ein Kind an der Hand hält. Sie könnten einfach nur Zuschauer sein, oder die Besitzer des Hundes. Jedenfalls bieten sie hier Kontext, und ohne sie wäre das Bild nicht halb so interessant. Sie als Schatten mit in die Aufnahme zu nehmen verrät ein gutes auge.

Der Hund befindet sich fast im Goldenen Punkt (gelb). Unten durch das Foto verlaufen parallele Linien der rechten unteren Bildecke entgegen (rot). Der weiße Hund befindet sich genau auf der ersten von diesen, die auch gleichzeitig den Abschluß der entsprechenden Fläche von der sich über ihm befindlichen bildet, die wiederum von Rauten/Quadraten durchzogen wird (hellblau). Die Schatten der beiden Personen schneiden jene genau von Ecke zu Ecke.

Vergleichsfoto 1

Genau wie Deine vorherige Aufnahme spielst Du hier mit negativem Raum, und auch hier gekonnt. Die Anordnung aller Bildelemente verrät ein gutes Auge, und insgesamt gefällt mir auch dieses Foto sehr gut. Das einzige, worüber man hier diskutieren könnte, wäre die beiden hellen Linien unten rechts. Sie werden durch die Sonne hervorgerufen und waren wohl bei Deinem Aufnahmestandpunkt nicht zu vermeiden:

Vergleichsfoto 2

Ich habe mit dem Bild gespielt und sie dem Rest des Bildteils angeglichen. Das hätte dann so ausgesehen:

Foto korrigiert

Mir persönlich gefällt es so besser, aber das kann man diskutieren, denn sie durchbrechen das streng Geometrische in diesem Teil der Aufnahme. Ein insgesamt meines Erachtens gelungenes Bild, von der Komposition bis zur Nachbearbeitung.

Was ich bei diesem Anlaß jedoch zur Sprache bringen möchte, ist projektbezogenes Arbeiten. Du hast auch hier eine gewisse künstlerische Vision durchblicken lassen, und ich würde Dir vorschlagen, aus dem ganzen eine Serie oder gar ein Projekt zu entwickeln.

Viele Fotografiewebseiten, die man im Netz so sieht, sind etwa so aufgebaut: Home, Kontakt, Portäts, Landschaften, Stilleben etc. Wenn der Fotograf auf ein Sujet spezialisiert ist, ist es statt Porträts etc. dann eben eine Gallerie seiner (hoffentlich besten) Arbeiten. Meistens wirkt es unzusammenhängend und schlimmstenfalls sind so viele Fotos vorhanden, daß man irgendwann abwinkt. Es geht aber auch anders.

Vor kurzem habe ich mich mit Brooks Jensen, dem Herausgeber von „Lenswork“ unterhalten (ich kann übrigens allen Liebhabern exzellenter Schwarzweißfotografie diese Zeitschrift nur empfehlen). Er selbst ist wie ich Kunstfotograf, und Lenswork veröffentlicht hauptsächlich Kunstfotos, aber man sieht auch ab und an Dokumentarbilder. Brooks hat seine Arbeiten in Projekte untergliedert, die einen Ort, Gedanken, Konzept oder etwas Ähnliches zum Thema haben. Diese sind wiederum in Serien unterteilt, die er als Folio (also eine lose Sammlung von Kunstdrucken in einem Umschlag oder Karton), Buch etc. konzipiert hat.

Diese Gruppierung seiner Bilder verdichtet nicht nur das Gesamtbild seiner Onlinepräsenz, macht es kompakter, es zieht sich auch ein eindeutiger roter Faden durch sein Werk. Das hilft bei der Auswahl von Aufnahmen in eine Serie, und generiert außerdem Ideen für Arbeiten, die sich in ein Projekt einreihen, anstatt einfach drauflos zu fotografieren.

Hier hast Du bereits zwei Aufnahmen, die den Auftakt zu einer Serie bilden könnten. Weiterhin bist Du eindeutig gerne auf der Rheinpromenade unterwegs, was Du zu einem Projekt machen könntest. Diese Serie könnte zu einem Folio oder einem Buch werden. Als nächstes könnte man etwa an eine Serie mit (teilabstrakten) Nachtfotos denken, oder was auch immer sonst Dir einfällt.

Es würde mich jedenfalls interessieren, was Du noch aus dem Thema machst.

8 Kommentare
  1. Peter Geiger
    Peter Geiger sagte:

    Hallo, ich lese die Bildbesprechungen schon einige Wochen mit wachsender Begeisterung mit und möchte zu den beiden Bildern von Marcus gerne eine Frage loswerden: Ich finde beide sehr schön, aber spontan hätte ich beide unten und links ein wenig beschnitten, weil mir der dunkle untere Block zu massiv erscheint. Liege ich da falsch oder ist das einfach Geschmackssache?
    Dank und Gruß,
    Peter

    Antworten
    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Hey, Du hast Fragen und ich hoffentlich Anworten. Die Antwort ist „jein“. :) Wie besprochen leben beide Fotos genau vom negativen Raum, und wie Marcus ihn eingesetzt hat. Das geschah gewollt und gekonnt in meinen Augen. Was Du allerdings für Dich mit (D)einem Bild machst, ist grundsätzlich Dir überlassen, und nicht jedem gefällt automatisch alles.

    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Soweit ich weiss, kann man sie nur in einer Handvoll Büchereien in USA gedruckt bekommen, aber Du kannst sie auch digital in allen möglichen Formen über ihre Webseite http://www.lenswork.com erhalten.

  2. Marcus Leusch
    Marcus Leusch sagte:

    Hallo Sofie,

    erstmal vielen Dank für Deine sehr ausführliche und freundliche Besprechung sowie Deinen Hinweis auf Brooks Jensen und sein „Lenswork“, auf den ich vor einem Jahr durch Zufall aufmerksam wurde. – Ja, insgesamt herausragende S/W-Arbeiten, und auch in der Präsentation außergewöhnlich. …

    „Dame mit Hündchen“, das Du hier nochmals zitierst, und mein „Spielender Hund“ sind wie Du richtig feststellst gewiss Verwandte (im Geiste) – das „Gekippte“ und die „Geometrie“ der Steinplatten und „Objekte“, Schattenwelt und „reale Welt“ etc. Entgegen meinen sonstigen Aufnahmen, die ja weitgehend komplexer sind, ging es mir hier um profanere Aspekte, die meine Art zu fotografieren wieder auf einfachere Zusammenhänge zurückbringen sollte – back to the roots. Beide Aufnahmen sind für mich eher Sehübungen – wie übrigens auch meine „Schwäne“, die hier zuletzt von Thomas besprochen wurden. Diese „Pausen“ lege ich des Öfteren ein, um das Fotografische am Fotografieren nicht aus dem Auge zu verlieren. Klingt jetzt vielleicht ein bisschen unverständlich, aber mir fällt dazu gerade keine bessere Formulierung ein.

    
Über Deine Bildbearbeitung lässt sich gewiss streiten. Die hellen Linien hätten durch einen tieferen Kamerastandpunkt vermieden werden können. In der hektischen Aufnahmesituation (Streetfotografie eben!) war das allerdings nur bedingt möglich. Außerdem wollte ich den Schatten des Hundes noch im Bild sichtbar stehen lassen. Der wäre nun aber aus der Hocke fotografiert fast unsichtbar geworden. Deine Version finde ich dennoch bedenkenswert, da die Bildanmutung so auch für mich stimmiger zu sein scheint, auch wenn ich nie am perfekten Bild interessiert war – „ich sammle Augenblicke“ und der „Kunstschuss“ (Fußballdeutsch!) ist nicht meine Sache. Außerdem retuschiere ich nicht besonders gerne. …

    
Deine Gedanken zu einer Serie finde auch ich spannend. Mittlerweile liegen dazu schon etwa 20 Aufnahmen mit ähnlichen „Erkundungen“ vor (gottlob kein weiteres mit einem Hund!), von konkreteren Bildinhalten (wie den vorliegenden) bis hin zu Abstraktionen und Verfremdungen, die sozusagen einen kompletten Spaziergang am Rheinufer simulieren, wie ich in sehe: Leben am Fluss/im Fluss. Vielleicht einmal ein künftiges Projekt, das man vorstellen könnte. Die Idee mit den „Nachtfotos“ oder in der Dämmerung finde ich noch viel interessanter. Leider ist zu diesen Tageszeiten dort niemand mehr unterwegs. Vielleicht ist das aber doch mal etwas für meine Blitzanlage und einige „Statisten“. Jedenfalls eine gute Anregung …

    Mit bestem Dank und Grüßen
    Marcus

    Antworten
    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Aaaaalso….

      Profan, einfach oder nicht – solche Kompositionen sind in der Mehrheit der Fälle die effektiveren, und sie sind bei Gott nicht im grundsätzlichen Sinne des Wortes „einfach“, ganz im Gegenteil. Ich würde in dieser Richtung weitermachen. (Schau Dir mal etwa dieses Bild hier an, das machte vor kurzem im Internet die Runde – ich finde es großartig: http://www.marcinryczek.com/sales-photo/a-man-feeding-swans-in-the-snow.html)

      Was und wieviel Du in der Nachbearbeitung machst, ist grundsätzlich Deine (künstlerische) Entscheidung. Perfekt kommen Fotos fast nie aus der Kamera. Bei Streetfotos ist es richtig, die Nachbearbeitung aufs Notwendigste zu beschränken, und in keinem Fall sollte man das Foto wesentlich verändern. Deine Aufnahme ist jedoch für mich nicht Street im „klassischen“ Sinn, sondern Kunstfotografie.

      Sieh Retusche als letzten Pinselstrich, der aus einem guten Bild ein besonderes machen kann – zu oft sehe ich hier Aufnahmen, die nicht oder unzureichend nachbearbeitet wurden (mit allen möglichen guten Begründungen). Du hast recht, „weniger ist mehr“, aber auch das wenige ist wichtig.

      Last but not least: weiter so. :)

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu Dirk Wenzel Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert