Leserfoto – „Warten auf den Zug“: Raum zum „Atmen“

Zu den schwierigsten Tätigkeiten für den Fotografen gehört das Nachbearbeiten und die Auslese hinterher.

(c) Bernd Plumhof

Aufgenommen im Bahnhof von Monastir (Tunesien), wo diese beiden Studentinnen auf ihren Zug warten. Da sie gerade „isoliert“ sind und intensiv mit ihren Studien beschäftigt, fotografiere ich schnell. Ich habe mich für Schwarz-Weiß entschieden, da so der Kontrast von hell zu dunkel deutlicher wird, besonders das „Schwarz“ der vorderen Studentin und die dunklen Schatten der weißen Betonpfosten. Ebenso die starke perspektivische Wirkung mit der dominierenden Person gefällt mir. Wie bei allen meinen Fotos komme ich aber über eine sehr subjektive Betrachtung nicht hinaus. Der einstige Erlebniseffekt ist zu groß.
Leica Digilux 2 mit Festobjektiv, F 6,7; 1/500s; BW 22,5mm (KB 45mm); ISO 100

Sehr selten kommen Fotos so aus der Kamera, daß man sie ohne viel Federlesens drucken oder anderweitig benutzen kann. Von bestimmten Grundfertigkeiten wie Abstimmung des Weißabgleiches und Kontrastes zur Angleichung von Helligkeitswerten einmal abgesehen kommen mit den heutigen digitalen Möglichkeiten noch andere Fragen hinzu. Schwarz-weiß oder Farbe? Antiker Effekt? HDR? Und wieviel ist zuviel, wieviel zu wenig?

Letzteres hängt immer vom Fotografen selbst ab – was man mit seinen Bildern macht, ist immer vom persönlichen Geschmack abhängig. Was aber die Frage für einen selbst nicht beantwortet, ob die jeweilige Aufnahme oder deren Bearbeitung so „richtig“ war, oder welche Variante der Aufnahme die bessere ist. Man neigt dazu, eine Aufnahme zu „zerdenken“. Es hilft oft, einen großen Schritt zurück zu machen, wenn man sich subjektiv-emotional von Bildern nicht lösen kann. Einfach die Fotos eine Weile nicht anschauen, sich mit anderen beschäftigen; denn wenn man etwas zu lange anstarrt, bekommt man eine regelrechte mentale Blockade und sieht nicht mehr, was man sehen sollte. Auch wenn sie immer irgendwie Deine „Kinder“ bleiben, gezieltes Editieren und Auswählen hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen.

[premiumkritik]

Du hast hier ein Foto von zwei jungen Frauen eingereicht. Sie sitzen an einer Haltestelle (Du erwähntest einen Bahnhof), den Kopftüchern und der Bekleidung nach zu urteilen in einem muslimischen Land, und bemerken Dich nicht. So hast Du „schnell“ eine Aufnahme gemacht. Hier die übliche Randbemerkung zu dieser Art Foto: ich bin mir sicher, Du hast sie nicht gefragt, ob Du sie fotografieren darfst. In dieser Kultur wäre es außerdem unschicklich für die jungen Frauen, sich mit Dir zu unterhalten, und die Chance, daß sie eingewilligt hätten, war bestenfalls 50-50. Also hast Du verschämt gewissermaßen aus der Hüfte heraus ein Bild gemacht. Und das wird hier deutlich.

Zunächst einmal zu dem, was mir an Deinem Foto gefällt: durch die Schwarzweißumwandlung hat es dazugewonnen; der Dokumentarcharakter wird verstärkt und man konzentriert sich automatisch von den Frauen weg auf die Muster, die nach hinten hin den Bahnsteig entlang laufen (orangefarbener Pfeil):

Vergleichsfoto 1

Durch den fast quadratischen Beschnitt befinden sich die Frauen fast im Goldenen Punkt (rote Linien). Du leitest also den Blick durch das Foto und regst zum Nachdenken an, was ich gut finde:

Goldener Punkt

Mich würde interessieren, wie das Original aussah, vor dem Beschnitt. Du hast durch Deinen Aufnahmestandpunkt (oder nachträglich?) der jungen Frau mit dem dunklen Rock die Beine so beschnitten, daß der Rock jetzt wie ein dunkles Etwas am unteren Bildrand „klebt“ (grüner Pfeil):

Vergleichsfoto 2

Der dicke Rand links ist zwar einer der Pfeiler, verstärkt aber noch die optische Enge unten links. Es wäre Dir hier ohne weiteres möglich gewesen, einen Schritt zurück zu machen, was der Sache unten mehr Luft gegeben hätte. Durch den Beschnitt hast Du die Komposition verdichtet, aber ich vermute, daß das geschah, weil die Frauen so sehr in der linken unteren Ecke „kleben“ und Du Dir nicht sicher warst, ob die Aufnahme zuviel Raum hatte oben. Für mich wäre ein besseres Bild dabei herausgekommen, wenn Du wie eben erwähnt unten mehr Luft gelassen hättest und das Foto in seinen ursprünglichen Aufnahmemaßen. Der negative Raum ist hier für sich mit den geometrischen Mustern interessant, und das Dunkle der Kleidung bietet einen Blickfang für sich.

3 Kommentare
  1. Bernd Plumhof
    Bernd Plumhof sagte:

    Erstmal vielen Dank für die hilfreichen Anmerkungen. Die „schwarze Masse“ am unteren Rand empfinde ich inzwischen auch als störend. Das Original hat eine Pixelzahl von 2560×1920, mit Beschnitt nur noch 1475×1529. Nach der Vertikal-Korrektur entstand unten nur wenig Beschnitt. Es gibt also im Original keinen „Raum zum Atmen“. Links habe ich den Pfosten mit einen störenden Papierkorb abgeschnitten. Nach nochmaliger Betrachtung scheint es mir fast besser, auch den Rest des Pfostens zu eliminieren, damit die junge Frau“freier“ im Raum sitzt. (?) Oben und rechts habe ich Bahnsteigkante und Gleise ausgeblendet, um die Strukturen der Schatten nicht zu stören.
    Mit freundlichen Grüßen
    Bernd

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    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Wenn Du den Pfosten links wegschneidest, „klebt“ sie doch noch mehr am Rand?

  2. Tilman
    Tilman sagte:

    Hallo,

    ein tolles Bild, Bernd. Es gefällt mir, schwarz-weiß ist für mich auch die richtige Wahl hier. Vielen Dank für Deinen sehr interessanten Kommentar, Sofie! Vor seinem Studium, habe ich mir auch Gedanken gemacht… „unten mehr Luft gelassen“, das war genau auch mein Gefühl! Das Bild wirkt leicht unscharf. Vielleicht sollte man es, zu mindestens in der vorliegenden Web-Version (962×1000 Pixels), leicht nachbearbeiten.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Tilman

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