Lichtspiel Industrieabstraktion: Mit Geduld und Sehen

Wenn das Motiv stimmt und die Fotografin auf die beste Lichtsituation wartet, lässt sich mit der billigsten Kamera ein tolles Bild schiessen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Ute Schmidt).

Kommentar der Fotografin:

Das Motivmotto „von oben“ eines Berliner Fotowettbewerbs führte zu diesem Bild – kombiniert mit meinem aktuellen Faible für „Lichtbilder“ im Wortsinn. Entstanden ist das Foto an einem sonnigen Mainachmittag in Berlin, Kamera: Canon Powershot A610. Ich hatte das Gebäude mit der Treppe bei einem Abendspaziergang entdeckt, als Motiv „im Auge“ und musste wegen des gewünschten Licht- und Schattenspiels einige Wochen auf einen sonnigen Tag warten.

Ich habe dort eine ganze Serie von Bildern der Treppe und des Gebäudes mit verschiedenen Perspektiven und Einstellungen fotografiert; die Einzäunung des videoüberwachten Fernheizwerkgeländes schränkte mich bei der Standortwahl etwas ein. Bei der Kategoriezuweisung habe ich mich für „Abstrakt“ entschieden – zwar ist es eine sehr konkrete Treppe an einem Industriegebäude, aber aus meiner Sicht keine Architekturfotografie. Es handelt sich um einen Bildausschnitt, ich habe noch Kontrast und Helligkeit bearbeitet (mit FastStone). Ich mag das Bild (sowohl wie hier farbig als auch reduziert auf schwarzweiß) wegen des Spiels mit Licht, Schatten und Wahrnehmung und bekam schon sehr positive Resonanz in den Kommentaren zum „Foto des Tages“ – einige Betrachter äußerten sich zur optischen Täuschung (Treppenstufen/Geländer) und fühlten sich „reingelegt“. Allerdings mangelt es mir an Wissen über fotografische Techniken – ich bin eher Ausprobierer, sowohl bei den Einstellungen der Kamera als auch beim Bearbeiten. Daher bin ich sehr gespannt auf Anregungen und offen für Kritik. Danke im Voraus.

Profi Peter Sennhauser meint zum Bild von Ute Schmidt:

Eine Treppe an einem Grosstank windet sich diagonal von oben rechts nach unten links durch dieses quadratische Bild. Der Schattenwurf der Treppe wird durch das flach einfallende Sonnenlicht und die Krümmung der Tankwand zu einem sich nach rechts öffnenden Schattentrichter.

Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Bild bei besagtem Wettbewerb sehr gut abgeschnitten hat (oder abschneiden wird). Ein Volltreffer, würde ich sagen, wenn es denn ein Schnappschuss wäre. Aber hier ist die Qualität des Bildes auf Dein Sehen, Deine Geduld und Deine Sorgfalt zurückzuführen.

Das Sehen ist die wichtigste Voraussetzung für gute Fotografie, und wenn es Dir am „fotografischen Wissen“ fehlt – das lässt sich erlernen, und wohl am besten durch Ausprobieren (wie wir es übrigens alle tun). Wenn Du mit „fotografischem Wissen“ Objektivdaten, Tricks und Kniffe rund um die Kamera meinst: Wichtiger ist es, das Licht zu beobachten und – grade bei Aussenaufnahmen ohne Kunstlicht – seine Wirkung antizipieren zu können: Damit erkennst Du beim Anblick dieser Treppe, dass sie einen grossartigen Schatten abgeben wird, dazu aber eine andere Tageszeit noch beitragen wird. Dies ist wahres Foto-„Wissen“, und es ist durch keine Ausrüstung zu ersetzen.

Dass Du nach dem Entdecken des Motivs und der Erkenntnis, dass es noch bessere Lichtverhältnisse geben wird, die Geduld aufbringst, wochenlang auf die optimale Beleuchtung zu warten, ist eine weitere Qualität, die zu trainieren sich lohnt: Es ist frustrierend genug, wenn man ein tolles Motiv entdeckt und nicht auf die optimale Situation warten kann, beispielsweise auf Reisen.

Angesichts deiner ausführlichen Entstehungsgeschichte mit wesentlichen Details wie der Beschränkung der Standortwahl ist zu sagen, dass Du alles getan hast, um zur besten Aufnahme zu kommen – über Technik zu reden erübrigt sich dabei meiner Meinung nach. Zumal Die Aufnahme mit einer Kompaktkamera entstanden ist. Mit einer Spiegelreflex hätte ich eine deutlich kleinere Blende gewählt, um keine Unschärfe in der Tiefe oder an den Bildrändern zu riskieren, und die Reserven dafür wären, was die Belichtungszeit angeht, vorhanden gewesen. Aber das ist schon fast ein Detail.

Anderer Beschnitt und weiter verstärkter Kontrast.Etwas mehr Augenmerk würde ich auf die Komposition und den Ausschnitt legen. Hier stört mich jedenfalls der kleine Zipfel Himmel oben links, der nicht ins Bild gehört. Ausserdem halte ich die Diagonale durch die beiden Ecken für die schlechteste Variante, die Du beim Beschneiden wählen konntest: Sie degradiert die Treppe zu einer Trennlinie im Bild.

Wenn Du sie gerade so weit aus dieser langweiligen Mitte herausrückst, dass überall ein leichtes Ungleichgewicht entsteht, entfaltet die Aufnahme erst so richtig ihr ganzes Potential: Den Treppenabasatz oben links im Drittelsschnittpunkt, die beiden Treppenenden im goldenen Schnitt an den Bildrändern – und darunter kann sich der Schatten nach rechts so richtig ausdehnen.

Zuerst wollte ich das Bild auch noch etwas nach rechts kippen, weil mich die Schweissnaht auf dem Tank gestört hat, die etwas abkippt – dann habe ich kapiert, dass das Bild in der Senkrechten auf die Vertikalen Teile des Geländers ausgerichtet werden muss.

Sehr schön finde ich in Deinem Fall, dass Du die Farbe im Bild gelassen und nicht das inzwischen etwas wohlfeile „künstlerische“ Schwarz/Weiss angewandt hast: Der gelbliche Widerschein der (rostigen?) Stufen am Tank und der bläuliche Schimmer des Schattens (der auch auf einen falschen Weissabgleich hindeuten könnte) holen aus der ohnehin starken Lichtsituation auch auf der Farbebene noch etwas heraus. Ob die Farben dabei „stimmen“ oder nicht, ist mir herzlich egal.

Von mir kriegt Dein Bild, vor allem aber Deine Vorgehensweise, eine Empfehlung für den Preis am Wettbewerb.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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1 Kommentar
  1. Ute Schmidt
    Ute Schmidt sagte:

    Ahoi Peter.

    Vielen Dank für die ausführliche Kritik und Deine Mühe! Mit Deinen Worten kann ich sehr viel anfangen und freue mich über das Lob, das ist weiterer Ansporn.

    Ich mochte die „strenge Diagonale“, kann aber den Aspekt der Trennlinie und den Vorschlag des neuen Beschnitts mit der Erklärung sehr gut nachvollziehen, besonders auch bezogen auf den „Himmelsfitzel“ in der Ecke.

    Eventuell leihe ich mir die Spiegelreflexkamera meiner Schwester aus und probiere mit Blendeneinstellungen, Weißabgleich usw. noch etwas herum zu verschiedenen Tageszeiten – derzeit scheint die Sonne öfter und das Fernheizwerk ist nicht weit entfernt…natürlich nicht das einzige lohnende Motiv ;-).

    Der Fotowettbewerb ist übrigens strenggenommen keiner, da ohne Plazierung. Man kann der Redaktion des „U-Bahn-Fernsehens“ für die Rubrik „Foto des Tages“ Bilder einsenden, die dann im sogenannten „Berliner Fenster“ auf Monitoren in der U-Bahn zu sehen sind – eine mobile temporäre Ausstellung, eingebettet in sonstiges Programm.
    Interessant finde ich, eine Themenvorgabe zu haben; mit einer solchen Aufgabe im Hinterkopf sehe ich bei Fotosafaris die Stadt neu.

    Das Foto „treppauf, treppab“ auf der zugehörigen Webseite:
    http://www.berliner-fenster.de/programme/foto-des-tages/von-oben/07062010.aspx

    Archiv: http://www.berliner-fenster.de/programme/foto-des-tages/archiv.aspx
    (Die Kriterien der Auswahl als Foto des Tages sind nicht immer schlüssig…)

    Peter, herzlichen Dank für Kritik, Anregungen und Lob! Ich habe aus den Bildkritiken und Beiträgen bei fokussiert.com schon sehr viel gelernt.

    Sonniger Gruß
    Ute

    Antworten

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