Low Key Porträt mit Hund: Vier Augen für ein «Wow»

Wenn zwei Augenpaare eine Geschichte erzählen… Ein Abendlicht-Porträt, das kaum noch Wünsche übrig lässt, obwohl es kaum Regeln einhält.

Junge und Hund sitzen am Boden Schwarz Weiss

Ohne Titel © Hans Solvie

Hans Solvie aus Berlin schreibt zu diesem Bild: Das Bild entstand in unserer Datsche bei mäßigem Licht und kurz vor dem Abschied von dem Hund … die Grundstimmung war somit eher etwas traurig. Zu den technischen Daten: Blende 2,8, Iso 2000 und 1/200 Belichtung, Canon Dos 5 d, Sigma Objektiv 35 mm 1,4. Über eine Kritik von Euch würde ich mich sehr freuen.

In dieser Schwarzweiss-Aufnahme sitzt ein Junge von vielleicht 12 Jahren im Schneidersitz am Boden vor der Kamera. Diese befindet sich auf seiner Augenhöhe. Er hat einen kleinen Hund auf dem Schoss, dessen Kopf er mit der Linken hält, während er das Tier mit der rechten umschlungen hat. Hund und Junge blicken direkt in die Kamera; der Kopf des Hundes verdeckt den Mund des Knaben. Das Bild ist angesichts der dunklen Umgebung fast schon als Low-Key zu bezeichnen, im Hintergrund spiegeln sich helle Fenster in der matten Oberfläche eines weissen Kühlschranks.

Es ist unglaublich, wieviel Ausdruck in einem Blick liegen kann, oder vielmehr: Wie stark dieser Ausdruck durch nichts als die Abbildung zweier Augenpaare transportiert wird. In diesem Porträt Findet man sich als Betrachter sofort wieder in den vier dunklen, grossen Augen, die mit einem kleinen Spitzlicht aus dem Fenster im Rücken des Fotografen zum leben erweckt werden. Sie sind ansonsten absolut schwarz, keine Pupillen, kein «Blick», nur dunkle, grosse, schwarze Augen.

Vielleicht schlägt hier das Kindchenschema zu, aber der Gesichtsausdruck des Jungen gewinnt zusätzlich durch den verdeckten Mund, der alles an Ausdruck in die Augen delegiert. Zugleich ist die teils zärtliche, teils aber auch verzweifelt festhaltende Art, mit der er den Hund hält, ein klares Indiz dafür, dass er ihn auf irgendeine Art vermissen wird.

HistogrammDer Low-Key-Charakter der Aufnahme (hier das Histogramm) trägt zur Gesamtstimmung bei: die dunkle Aussenwelt bedroht diese beiden, die sich aneinander festhalten.

Dein Hinweis auf den Abschied vom Hund hat mich insofern verblüfft, als ich mir genau das gedacht hatte, als ich das Bild das erste mal betrachtet habe: hier ist eine Trennung zu sehen, kurz bevor sie stattfindet. Und selbst der Hund scheint das zu ahnen und den Kopf leicht fragend schräg zu halten.

Es gibt in dieser Aufnahme nichts, das die Bezeichnung «Blickführung» verdienen würde, aber die braucht die Fotografie auch nicht, weil sie mit den beiden direkt beieinander liegenden Gesichtern einen extrem starken Blickfang hat, der noch dazu die ganzen Emotionen auf einmal und in Richtung des Betrachters entlädt.

Überhaupt, da wir es eben erst von Regeln und den Brüchen mit ihnen hatten: Du hast hier das Motiv gnadenlos ins Bildzentrum genommen, mit offener Blende, bei einer für Porträtsfotografie nicht typischen Brennweite von 35mm: Auf der [amazon  B008576WAW]Canon EOS 5d Mark III[/amazon] mit Vollformat-Sensor liegt das im leichten Weitwinkelbereich. Also hast Du weder in der Wahl der Mittel noch in der Komposition irgendwelche Regeln berücksichtigt. Dafür hast Du einen Moment und eine Reaktion der beiden Protagonisten erwischt, die mehr Aufmerksamkeit in das Bild ziehen als jeder Goldene Schnitt. Dass Du dabei das [amazonna B00A35X6NU]vielgelobte 35mm Sigma 1.4[/amazonna] leicht abgeblendet hast, ist bei ISO 2000 nicht ganz nachvollziehbar, soll es doch auch bei offener Blende durchwegs scharf sein. Andererseits helfen die Hintergrundelemente hier durchaus, eine Atmosphäre zu schaffen. Die völlige Freistellung wäre wohl eher seltsam.

Junge hält Hund, auf dem Fussboden sitzend.

Der Abschiedsmoment, hier mit etwas weniger invasivem Kühlschrank.

Trotzdem kann man hier, wenn man muss, etwas anmerken: Der helle Kühlschrank im Hintergrund steht mit seiner glänzenden Oberfläche direkt in Konkurrenz zum Gesicht des Jungen. Eine leichte Verschiebung Deines Standpunktes nach rechts hätte dieses Problem gelöst. Was mich auch stört, aber das ist vielleicht eine übermässige Prägung auf eine Regel, ist der abgeschnittene Fuss. Es würde dem Bild nicht schaden, wenn der Junge in unversehrter Form mit erkennbarer Fusshaltung sichtbar wäre.

Ich habe in einer einfachen Überarbeitung den Kühlschrank im Hintergrund leicht nachbelichtet, um zu sehen, was sich hier hätte machen lassen.

Ich bin sicher, dass diese Aufnahme zumindest in der Familie einen historischen Platz erhalten wird: Sie zeigt die Gefühle eines Jungen und die Beziehung zu einem Tier, und das sind starke Erinnerungsmomente – gefangen in einem starken Bild.

16 Kommentare
  1. Hans
    Hans sagte:

    Tilmann, die Ohrenfärbung ist gezüchtet ;-) ……

    Sabine, mit 1/200 ist das Bild doch schnell im Kasten und mit 2,4 Blende ist der Hintergrund nicht zu scharf. Hier wäre noch unschärfer wohl besser gewesen ….

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    • Tilman
      Tilman sagte:

      Hallo Hans,
      und die Umgebung nimmt dann dieselbe Farbe wie die Ohren an? Auch gezüchtet? LOL
      MfG, Tilman

    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Ich finde übrigens, die Blendenwahl ist durchaus angebracht, und offener würde den Hintergrund möglicherweise bis zur Unkenntlichkeit unschärfen. Das wäre für mich zuviel des guten: Zur Atmosphäre des Bildes gehört auch die Umgebung (Fussboden, Stühle).
      Aus dem gleichen Grund bin ich auch nicht für den quadratischen Schnitt. Eine zu extreme Freistellung des Jungen macht aus dem situativen Schnappschuss-Porträt ein (wegen des abgeschnittenen Beins) nicht mehr so gutes Konzeptporträt.

  2. Tilman
    Tilman sagte:

    Ein schönes Bild, welches von den Blicken lebt. Danke für die Besprechung, Peter!
    Nur was die Bearbeitung angeht, da kann man anderer Meinung sein. Mir sind Bearbeitungsartefakte bereits beim „Original“, aufgefallen. Guckt euch mal die Ohren vom Hund an :-> Und Peter setzt dann noch einen drauf… lol. Besonders, dass die nuancierten Grautöne auf dem Gesicht des Jungens dabei verloren gehen, stört mich an Deinem Vorschlag, Peter.

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    • Sabine Münch
      Sabine Münch sagte:

      Du scheinst einen guten Blick zu haben. Bitte hilf mir. Ich sehe in dem Original keine Artefakte.
      BTW stören sie dich? Machen sie das Bild für dich schlechter?

    • Tilman
      Tilman sagte:

      Hallo Sabine,
      da ich selbst meine Bilder ziemlich manipuliere… fallen mir Artefakte sofort auf. Ja, die stören mich, weil mein Auge dann nur noch daran hängen bleibt.
      Die Ohren habe ich erst beim 2. Hingucken gesehen, zunächst waren mir nur die weißen Streifen zwischen Pullover und Hintergrund aufgefallen.
      MfG, Tilman

    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Stimmt, Tilmann, den Schimmer um den Pullover habe ich auch wahrgenommen, und ehrlich gesagt, die kreisförmigen Stempelabdrücke an den Ohren hätte man auch besser vermieden. Hans hatte es offenbar ein bisschen eilig. Erwähnenswert sind die Artefakte durchaus.
      Ich hatte ursprünglich flächige Korrekturen angebracht, mich dann aber für ein punktuelles Nachbelichten entschieden (was ich nie besonders sorgfältig mache, wenn es nur um den Demoeffekt geht), aber offenbar eine Anhebung der Lichter stehenlassen. Du hast Recht, das Gesicht verliert so etwas.

  3. Sabine Münch
    Sabine Münch sagte:

    Schönes, melancholisches Porträt, wie ich es mag.

    Hans schreibt was von „nicht viel Zeit für die Fokussierung“. Bei Blende 1.4 muss man aber genug Zeit dafür haben, sonst wird es meiner Erfahrung nach nicht scharf. Wie weit hast du hier abgeblendet, Hans? Und warum nochmal, wenn du eine möglichst kurze Belichtungszeit und niedrige ISO haben möchtest, wäre dir die komplett offene Blende doch noch mehr entgegen gekommen?
    Oder verstehe ich hier irgendwas falsch? ;-)
    Bei f/1.4 wären die Augen des Hundes sicher nicht mehr scharf gewesen. Ich kenne das Objektiv und benutze es selbst.

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  4. Hans
    Hans sagte:

    Peter, vielen Dank für die Besprechung an Dich und die anderen.

    Den Hintergrund finde ich bei der Aufnahme problematisch und unruhig. Es war in der Situation aber schwierig daran etwas zu ändern. Den Kühlschrank werde ich in der Tat noch einmal nachbearbeiten, die Idee ist gut und auch das Quadrat werde ich mal versuchen, das könnte funktionieren.

    Die Blend- und Iso-Werte habe ich so gewählt, dass ich möglichst eine kurze Verschlusszeit kriege. Was ich immer wieder eine Herausforderung finde ist, die kurze Zeit, wenn man andere Menschen fotografiert. Da merke ich immer wieder erst später, dass ein Fuss, eine Hand oder sonst etwas fehlt. Das ist nervt.

    Das Sigma ist übrigens top! Gerade wenn man Menschen in Räumen fotografiert und nicht viel Platz und Zeit für die Fokussierung hat. Das Objektiv erlaubt es bei Nahaufnahmen wenig Abstand zu halten und wenn man weiter weg ist kann man wegen der hohen Qualität des Objektivs gut Bildausschnitte wählen. Ich finde es gerade für Portraits super und verwende es eigentlich nur noch.

    Antworten
  5. Reinhard
    Reinhard sagte:

    Vielleicht noch ein Quadrat… Aber das wäre es auch schon… für mich ein Top Foto…
    Der Ausdruck , die Tonung, das Dreieck… es hat alles was ein Bild braucht…

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  6. Jörn
    Jörn sagte:

    Vielen Dank für die Kommentare zu meiner Nachfrage!

    Ich denke, intuitiv hätte ich an diesem Foto auch nichts in dieser Richtung gemacht. Es stimmt schon – es kommt darauf an, wie man priorisiert.

    Antworten
  7. Jörn
    Jörn sagte:

    Ich kann mich der Kritik nur anschließen, das Bild wirkt wirklich sehr stark.

    Ich habe mich gefragt, ob hier nicht auch eine leichte Drehung angebracht wäre, um die Linie im Hintergrund (Oberkante des Kühlschranks und der anderen Elemente der „Küchenzeile“) in die waagerechte zu bringen? Derartige Dinge sind mir in meinen Bildern manchmal auch schon untergekommen, und ich bin mir nie ganz sicher, wann ich das ausgleichen sollte, für einen Hinweis an diesem Beispiel wäre ich also dankbar.

    Antworten
    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      @ Jörn – genau die gleiche Frage habe ich mir auch gestellt (ohne was darüber zu sagen). Es stimmt nämlich, dass das Bild nach links wegkippt. Ich bin zum Schluss gekommen, dass anders als bei Landschafts/Architekturaufnahmen hier eine Art «Kopfhaltung» des Betrachters erlaubt ist – oder das Bild durch diese Imperfektion noch einfühlsamer wird.

    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Ich denke, es kommt drauf an. Der Schnappschuß hier ist so gut, daß es mich persönlich nicht stört. Es trägt zur Authentizität bei. Du kannst in solchen Fällen auch ein „Was-wäre-wenn“-Spiel spielen: korrigiere es, und schau, ob Dir das Ergebnis besser gefällt. Wenn Du den Schrank hier in die Waagrechte bringst, ist der Junge schief, und außerdem wird ihm vom Fuß noch mehr abgeschnitten. Das stört noch mehr als das leichte perspektivische Abfallen.

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  1. […] allem mit langer Brennweite bei offener Blende und relativ kurzer Distanz zum Motiv auftritt, zur „Freistellung“ des Motivs genutzt – man kann das gleiche in vielen Genres der Fotografie […]

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