Manuelles Fokussieren: Wo LiveView gute Dienste leistet

Mit LiveView kann der Monitor an der Spiegelreflex zum millimetergenauen manuellen Scharfstellen genutzt werden. Dabei hilft das, was unter dem Begriff „digitales Zoom“ längst als unbrauchbarer Marketingluftballon verschrien, am Display aber Gold wert ist. Wir zeigen zwei Beispiele.

LiveView: Erste Stufe Ausschnitt-Vergrösserung.

Vexierbild: Fokus-Verschiebung innerhalb eines Zentimeters – mit Stativ und LiveView kein Problem. (alle Bilder © P. Sennhauser / fokussiert.com)

Wie, um alles in der Welt, stellt man exakt scharf, denn das Motiv winzig klein ist, mit dem 200er Objektiv eine Nahaufnahme gelingen soll und die Schärfentiefe dabei ein paar Millimeter umfasst? Früher hiess die Antwort „Mit Adlerblick und ruhiger Hand“. Heute könnte sie heissen „Mit LiveView und einem Stativ“:

Fokus sitzt beim "E": LiveView-Fokussieren, © P. Sennhauser

Fokus sitzt beim „E“: LiveView-Fokussieren, © P. Sennhauser

Vergrösserter Ausschnitt: Schärfe via LiveView auf die entfernte Seite des Bogens im R gesetzt.

Vergrösserter Ausschnitt: Schärfe via LiveView auf die entfernte Seite des Bogens im R gesetzt.

LiveView-Makro: Das Setup für den Relay-Shot. 300mm Kleinbild, 50cm Distanz

LiveView-Makro: Das Setup für den Relay-Shot. 300mm Kleinbild, 50cm Distanz

Scharfstellen im ersten Kringel des R

Scharfstellen im ersten Kringel des R

Dies ist die eine Anwendung von LiveView, die ich selber vor kurzem erklärt gekriegt und in kürzester Zeit schätzen gelernt habe. Der Zauberbegriff dabei heisst „digitales Zoom“: Während ich mich im Sucher – den ich für die Bildkomposition nach wie vor dem LiveView vorziehe – auf mein Auge verlassen muss (und mich noch immer gräme, dass es für die digitalen Nikons anders als für Canon keine austauschbaren Sucher-Mattscheiben mit, sagen wir, einem Schnittbildindikator gibt), kriege ich auf dem Bildschirm Hilfe von der Kamera.

Sie unterstützt mich mit der Vergrösserung am Monitor, um von Auge scharf zu stellen – jenseits eines Bereichs, im dem ich mit dem Autofokus noch sinnvoll operieren könnte: Das gilt vor allem bei extrem nahen Aufnahmen mit offener Blende und grosser Brennweite. Wer dafür kein Makroobjektiv besitzt, kann durchaus auch mit einem 200er Objektiv in den Blütenkelch einer Blume schauen – aber aus 50 Zentimetern Abstand reduziert sich dabei der Schärfentiefebereich auf einige Millimeter. Hier den Fokus exakt zu setzen, ist genauso schwierig wie kritisch. Wenn der Autofokus nämlich unerkannt auf die entfernte Wand des Blütenkelchs statt auf den Stempel scharf stellt, liegt fast das gesamte Motiv ausserhalb des Fokus – was aber erst zu Hause am Bildschirm zu erkennen sein wird.

Oder eben am Monitor der Kamera schon unterwegs, mit entsprechender Vergrösserung. Die meisten LiveView-Kameras lassen allerdings zu, dass man die Vergrösserung schon bei der Komposition der Aufnahme einschaltet. So ergibt sich ein Mikroskop-Blick aufs Motiv, mit dem auf den Millimeter genau scharf gestellt werden kann. Zwei Dinge vereinfachen dabei das Fokussieren: Ein möglichst hoher Vergrösserungsgrad am Monitor, also gewissermassen ein möglichst starkes „digitales live-Zoom“. Und die Auflösung des Displays, auf dem man die Schärfe schliesslich einschätzen muss.

Hier bietet die Nikon D300 gegenüber allen andern Kameras ihrer Klasse ein paar Vorteile – rund 700.000, um genau zu sein: Statt der typischen 230.000 Bildpunkte wie die Vorgängerin D200 oder beispielsweise die Canon EOS 450D zeigt die Nikon auf ihrem 3Zoll-Display mit einer Auflösung von 922.000 Bildpunkten eine gestochen scharfe Vorschau.

Das ist hilfreich, aber nicht unbedingt notwendig: Zum Fokussieren reicht es aus, den Schärfenunterschied zweier Kanten relativ zu einander zu sehen. Dazu reichen auch die verhältnismässig pixeligen Displays beispielsweise der kleinen Olympus-Modelle zu einem gewissen Grade aus.

LiveView mit der Nikon D300 für Makro-Scharfstellung - Schärfe auf dem hintersten Blütenblatt!

LiveView mit der Nikon D300 für Makro-Scharfstellung – Schärfe auf dem hintersten Blütenblatt!

LiveView-Scharfstellung, Nikon D300: Erst in der Pixelansicht wird klar, dass der Fokus auf dem entferntesten Blütenblatt liegt.

LiveView-Scharfstellung, Nikon D300: Erst in der Pixelansicht wird klar, dass der Fokus auf dem entferntesten Blütenblatt liegt.

Erst in der Pixelansicht wird deutlich, dass bei dieser Aufnahme der Fokus auf dem entferntesten und nicht auf dem naheliegendsten Blütenblatt liegt. (Bilder © P. Sennhauser / fokussiert.com)

Um LiveView jetzt für die Makroaufnahme zu benutzen, setzt man die Kamera auf ein Stativ, schaltet den Autofokus (und den Bildstabilisator!) aus, LiveView ein und stellt zunächst von Hand aufs gewünschte Motiv scharf.

Je nach Kamera lässt sich danach der Ausschnitt auf dem Monitor mit einem Tastendruck vergrössern – bei meiner D300 sind es sechs Stufen bis zur Pixel-Ebene – und in der vergrösserten Ansicht kann mit sachtem Drehen am Fokusring die Schärfe angepasst werden.

Weil mit zunehmender Vergrösserung das Motiv selber nicht mehr erkennbar ist, muss der Ausschnitt vor jeder Stufe auf den gewünschten Punkt korrigiert werden. Bei leicht bewegten Motiven wie einer Blume im Park kann man da in höchster Vergrösserung schon mal Seekrank werden: Die Vergrösserung vervielfacht natürlich auch kleinste Schwankungen der Blume – oder das Zittern der Erde aufgrund eines vorbeifahrenden Busses.

Jetzt aber lässt sich der Fokus innerhalb des Blütenkelches mit minimen Drehungen am Fokusring auf halbe Millimeter genau festsetzen. Damit sich die Einstellung nicht durch Kamera-Erschütterungen geringfühig ändert, ist eigentlich der Gebrauch eines Fernauslösers ratsam – ich habe auch mit möglichst feinfühligem Direktauslösen gute Resultate erzielt, obwohl dabei die Kamera schon durch das Spiegelgeklapper recht heftig bewegt wird.

Auf der deutschen Fotocommunity werden die Mitglieder derzeit (auf Bitte der Firma Pentax) gefragt, wie wichtig sie LiveView an einer Kamera einschätzen. Die Antworten gehen erwartungsgemäss vornehmlich in die Richtung „gut zu haben, nicht kaufentscheidend“. Bisher war ich der radikaleren Ansicht „Ohne Monitor, der abgewinkelt werden kann, völlig überflüssig“. Seit ich von Brad den Fokus-Kniff erlernt habe, bin ich anderer Ansicht: Die Technik erspart mir, angesichts der wenigen Makro-Aufnahmen, die ich mache, den Kauf eines Makroobjektivs.

2 Kommentare

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  1. […] Die korrekte Weise, das zu umgehen, bestünde darin, nach dem Komponieren des Bildes mit dem Daumen oder sonst einem flachen Finger zwischen Kamera und Gesicht auf der Richtungswippe rechts neben dem Monitor auf der Kamerarückseite jenes Sensorfeld auszuwählen, das genau über dem Motiv liegt. Die Beschreibung machts deutlich: das ist genau dann praktikabel, wenn die Kamera auf einem Stativ steht und man vielleicht auch noch mit Live-View scharf stellt. […]

  2. […] bei Live View (ich habe mich an einem ähnlichen Aufsatz über die Möglichkeiten der Fokussierung mit Live View versucht und dazu auch mein eigenes Bildmaterial geschossen – das kriegt eine Fachzeitschrift auf […]

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