Mittelaltergebälk: Linien, Flächen – Tonwerte!

Wenn das Licht mit Strukturen und Linien spielt, sammeln sich Gelegenheiten für Motive. Sie richtig zu inszenieren ist eine Herausforderung.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Andreas Grosse).

Kommentar des Fotografen:

Der Dachstock des oktagonalen Taubenschlags auf dem Anwesen des Chateau Fins in Frankreich. Einer der letzten gut erhaltenen Taubenschläge, welche von der französischen Revolution verschohnt blieben. Mir gefiel erstens der majestätische Bau und die Tonwerte welche sich durch das einfallende Licht im Gebälk bildeten. Deshalb habe ich das Bild auch in schwarz-weiss eingesendet. Zu dem gefallen mir die sich wiederholenden Symmetrien und die strahlenförmig auslaufenden Stützbalken. Ich freue mich über eure Bildkritik! PS: in PS Kontrast erhöht und wenig Fülllicht zugefügt

Peter Sennhauser meint zum Bild von Andreas Grosse:

Ein Gewirr aus Balken, die eine Kuppel (Achteck) bilden, sind in dieser Schwarzweiss-Aufnahme zu sehen. Das Kuppeldach scheint von einer redundanten Konstruktion getragen zu werden – den Mittelgrund des Bildes macht eine Balkenkonstruktion im unteren rechten Bilddrittel aus, die dem Kern der hoch darüber zusammenlaufenden Balken in der Struktur ebenso wie im Bild nahe liegt.

Die Aufnahme ist geprägt von den zusammenlaufenden Linien des Dachgebälks, das in allen Tonwerten des relativ spärlichen Lichts sichtbar ist:

Von Nischen und redundanten Schatten, die in tiefem Schwarz liegen, bis zum weissen Gegenlicht auf beleuchteten Kanten.

Hier hast Du ein Motiv sehr schön inszeniert, das einerseits unzählige Möglichkeiten offenlässt, andrerseits aber auch sehr schwierig in Szene zu setzen ist, weil die Spannung in den Linien gefunden und durch die Perspektive, sprich den Standort hergestellt werden muss. Zwei Schritte nach links oder rechts, und statt des Balken-Strahlenwerks hast Du nur noch ein Gewirr an Linien im Sucher.

Du hast die Aufgabe grandios gelöst, indem Du die markanten Kernstücke der Konstruktion in eine Relation zueinander gesetzt hast – der Kuppelkern liegt im rechten Bildrittel, eingerahmt durch das Balkendreieck der darunterliegenden Trägerkonstruktion einerseits räumlich höher, rein optisch aber dicht bei der Nabe der Trägerkonstruktion.

Zugleich entsteht ein Gegensatz von hell und dunkel, indem der obere Konstruktions-Schwerpunkt hell erleuchtet, der untere genau gegensätzlich im Schatten liegt. Die abgehenden Speichen sind ihrerseits die hellsten und markantesten Linien und teilen das Bild in einem spannenden Verhältnis in Segmente, in denen es wiederum überall etwas zu entdecken gibt.

Ein Glücksfall – oder die Entdeckung eines guten fotografischen Auges – ist der Umstand, dass die Konstruktion nicht hundertprozentig symmetrisch ist. Der Zusatzbalken zur Rechten bringt die gleichmässige Konstruktion genau im richtigen Mass aus dem Gleichgewicht, und als lichtspielerischer Höhepunkt setzen die drei nach unten ragenden, hell erleuchteten Zapfen eine ironische Punktfolge.

Die Komposition ist insgesamt eine stimmige Millimeterarbeit: Du hast es geschafft, aus einem komplexen Liniengewirr ein System zu machen, das in seiner Vielzahl an Dreiecken alle Regeln einhält, ohne zu langweilen und rein grafisch zu wirken. Die Kombination aus Diagonalen und Kurven ist eine Rarität – meistens hat man eines von beiden zur Verfügung, und beides in einer Komposition unterzubringen, ist nicht einfach.

Die Belichtung auf möglichst grosse Tonwertbreite und die Umsetzung in Schwarzweiss sind goldrichtige Entscheidungen. Das Bild ist ein Hingucker ohne billige Effekte, der etwas Zeit verlangt – und sie von vielen Betrachtern auch kriegen wird.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Markus
    Markus sagte:

    Das Bild gefällt mir auch ausgesprochen gut! Besonders die Räumlichkeit, welche durch die Wiederholung der starken Geometrie der Stützkontruktion in abgeschwächter Form im Dachzentrum hervorgerufen wird.
    Ich frage mich nur gerade, wo das Licht herkommt. War im Dach eine große Öffnung? Auch täte mich die Brennweite interessieren, mit der das Bild gemacht wurde, um eine Ahnung von der Größe der Kuppel zu bekommen.

    Antworten
    • Andreas Grosse
      Andreas Grosse sagte:

      Hallo Markus

      Vielen Dank für deinen positiven Kommentar. Mich freut die grossartige Resonanz, welche mein eingesendetes Bild auslöst.

      Meine Antwort auf deine Fragen. Auf meiner Flickr-Seite kannst du weitere Fotos von diesem Taubenschlag sehen, der dir vermutliche eine Antwort gibt über die Grösse. Reinkommen tut man nur über eine Leiter durch eine kleine Luke. In den Wänden hat es überall Risse und unter dem achteckigen Dach hat es ebenfalls eine Luke, vermutlich der Ein- und Ausgang für die Tauben, als der Schlag noch „in Betrieb“ war. In einer anfängliche Idee wollte ich das einfallende Licht, durch den Staub in der Luft sichtbar machen. Leider waren das Ergebnis miserabel :-)Fotografiert wurde der Taubenschlag auf Chateau Fins.

      Exif-Daten:
      Canon EOS 400D
      Belichtungszeit: 6 sec.
      Blende: 4.5
      ISO 100
      Brennweite 17mm
      Objektiv EF 17-40mm f/4L USM

      Ich hoffe damit habe ich dir einen besseren Eindruck der Gegebenheiten machen können.

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