Nacharbeitung XXL: Was nicht zu erreichen scheint und doch so nahe …

Wenn auch Nachbearbeitung immer die Entscheidung des Fotografen ist, stellt sich dennoch manchmal die Frage nach dem „Warum“.

(c) Dirk Wenzel

(c) Dirk Wenzel

Dirk Wenzel aus Klostermansfeld schreibt zu diesem Bild:

unter der Brücke mit dem IPhone SE … der Moment der Einsicht , das Ziel nicht erreichen zu können … so find … eine auch aktuelle Situation im Weltgeschen … so nahe am Ziel und doch nicht erreichbar … in Gedanken an alle Menschen und Kinder welche das Ziel doch nicht erreichen dürfen …

Bearbeitung mit dem Handy in SW …

Ich war Dir sehr dankbar, dass Du von vorneherein auch noch das Originalfoto eingereicht hast, denn ich hätte Dich mit Sicherheit deshalb angeschrieben. Aus zweierlei Gründen: es ist bei so extrem nachbearbeiteten Bildern immer hilfreich, das Original vorliegen zu haben, denn so muss man keine Vermutungen anstellen. Und man kann selbiges noch anderweitig manipulieren, um noch weitere Möglichkeiten aufzuzeigen.

Wenn ich auch hier erst einmal mit der üblichen Analyse anfangen könnte – Technisches, Komposition etc., so will ich doch hier gleich zum Kern der Sache kommen: der Nachbearbeitungsentscheidung.

Du hast diesen Schnappschuss Deiner Aussage nach mit einem iPhone gemacht. Ich habe selbst eines, zusätzlich ein paar Olloclips, und bearbeite mittlerweile erst in Snapseed nach, bevor ich dann über Instagram auf andere soziale Medien hochlade.

Dein Bild fiel mir deshalb auf, weil es von der Bildaussage für mich sehr stark ist: da steht ein kleiner Junge, schaut nach unten, irgendwie traurig, trotz des schönen Wetters. Man weiß nicht, wer er ist, oder warum er so traurig aussieht. Vielleicht ist er auch nur müde. Soweit, so gut.

Hier ist das Original, das Du uns dankenswerterweise auch noch geschickt hast:

Original zum Vergleich

Original zum Vergleich

Ein an sich netter Schnappschuss, sonst nichts Besonderes. Dann hast Du in die digitale Trickkiste gegriffen, und „etwas draus gemacht“. Mit welcher App etc. ist mir nicht bekannt, aber heraus kam irgend etwas zwischen Digitaler Kunst und HDR. Und für mich ein Ergebnis, das aus diesem netten Schnappschuss etwas macht, das zuviel des Guten ist – Nachbearbeitung XXL.

Es ist eine Sache, im Foto angelegte Elemente noch zu unterstreichen, und Digi-HDR mag Dein Ding sein – dann ist die Diskussion hier zu Ende, denn das Votum lautet: super gemacht, Du bist angekommen. Es hat geklappt. Mir ist allerdings nicht ganz klar, was Dich dazu bewogen hat, hier so zuzulangen. Denn auch so hätte dieses Bild aussehen können:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Gemacht ist das mit dem „Full Dynamic – Harsh“-Filter in der Google Collection. Auch hier sind bestimmte Elemente wie in HDR stärker ausgearbeitet, aber der Digitale-Kunst-Touch ist nicht mit drin. Das ist, wie oben erwähnt, eine individuelle Entscheidung, aber ich finde hier, weniger ist mehr. Das Foto erzählt noch dieselbe Geschichte, doch man ist von dem Effekt-Overkill nicht abgelenkt.

Ob man es, wie Du es getan hast, beschneiden sollte, sei außerdem dahingestellt. Ich denke, das Foto war gut so, wie es war. Durch eine Schwarzweißumwandlung gewinnt es noch. Alles andere ist einfach zuviel.

11 Kommentare
  1. fherb
    fherb sagte:

    Also ich weiß nicht…. Für mich zeigt Sofies Bild ein trotziges Kind vor einer Brücke. Da die gespreizten Füße bis zu den Schuhen stark durchgezeichnet sind, steht das Kind fest auf dem Boden. Der Rest der Haltung zeigt sich für mich als Trotzmoment. Dirks Variante mit den nicht mehr gut gezeichneten Schuhen wirkt auf mich weniger trotzig. Eher mutlos, traurig. Was mir emotional tiefer geht. Denn zu Trotz passt eigener Ärger mit dem Kind. Traurigkeit mit „gerade noch so halt auf dem Boden trotz breitbeinig stehend“ spricht meine Empathie viel mehr an.

    Dirks Variante ist für mich keine Fotografie mehr. Ich bezeichne so etwas als Fotografik. Nicht mehr weit weg von Collagen. Die Frage ist doch aber sehr viel mehr nach dem

    Kontext!

    Dirks Einreichung ist für mich Kontextlos. Damit hat das Bild für mich erst mal absolut keinen Bildwert. Egal, wie stark es bearbeitet wurde. Zu so einem Bild gehört eine Geschichte. Verbal oder in der Zusammenstellung mit anderen Bildern in einer Serie. Und dann kann eine derartige grafische Überzeichnung durchaus passen.

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  2. Jens
    Jens sagte:

    Die Geschmäcker sind zum Glück verschieden. Meins ist dieses Bild nicht. Ein Schnappschuss vom Kind. Gut. Aber da jetzt total viel rein zu interpretieren ist schon etwas platt.
    Wenn man wirklich darstellen will wie Kinderarmut aussieht muss man halt wirklich ran ans Thema.
    So ists für mich ein an allen Reglern drehen und nichts mehr.
    Nix für ungut
    Jens

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  3. Seh-N-Sucht
    Seh-N-Sucht sagte:

    Ich finde hier hat es gar nicht zuviel – eher hat es bei der erneuten S/W-Bearbeitung zu wenig. Da ist es wirklich nur noch ein Mädchen (warum kein Junge? Da gibt es eine Haarspange und auch Lila-T-Shirts deutet eher darauf hin – in Verbindung mit der Haarklammer und der Statue würde ich hier ein Mädchen sehen ;-), was bei dem Bild aber keine Rolle spielt) am Tunnel. Ein Bild wo ich einfach weiter blättern würde. Nicht aber bei dem, welches Dirk uns präsentiert – das Kind steht, den Kopf hängend habend, den Rücken zu dem schönen Ausblick auf der anderen Seite des Tunnels in einer tristen Umgebung – es ist düster – ausgegrenzt – keine Perpektive. Da muss man nicht unbedingt an Flüchtlingskinder denken – könnte man aber auch – um diesem Bild einen Sinn zu geben. Ausgrenzungen sind so viele um uns herum. Kinder die in Armut groß werden, Kinder die am Rande der Gesellschaft und viele auch auf der Straße leben. Kinder die noch nicht mal eine warme Mahlzeit am Tag haben. Knapp 60% des Privatvermögens steckt bei 10% der Bevölkerung – die Ärmsten 50% haben nur noch 2.5% de Vermögens und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer – wie viele Kinder haben keine Perspektive mehr, weil das Notwendigste fehlt. Jedes 5. Kind in Deutschland lebt in Armut. Mit den zu uns reisenden Flüchtlingen dürfte sich das Problem noch verschärfen. In den südlichen Gebieten Deutschlands sieht es besser aus als im Norden – schlimmer betroffen von der Kinderarmut sind das Ruhrgebiet und die neuen Bundesländer. Klostermansfeld liegt in Sachsen-Anhalt einem der am schlimmsten betroffenen Gebieten in Deutschland. Dort liegt die Kinderarmut bei 25%.

    Viele dieser Fakten passen für mich zu dem Bild. Ob das Kind betroffen ist oder der Fotograf auf die Situation um ihn herum aufmerksam machen möchte – es ist ihm gelungen. Das Kind trägt Bundschuhe – eine sehr gesunde, aber nicht ganz günstige Alternative zu Plastikschuhen aus dem Schuh-Discounter. Lässt vermuten, dass die Eltern sich kümmern :-) All diese Gedanken entwickele ich nicht bei der faden Neubearbeitung. Daher finde ich das Maß der Bearbeitung hier sehr gelungen. Und es hätte die einführende Worte auch gar nicht gebraucht, weil es so schon für sich spricht. Ich finde es richtig stark!

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  4. Reinhard
    Reinhard sagte:

    Hi Dirk, viele Grüße zu Dir auf die Sandbank und dem Krabbenkutter… Ich hoffe ihr habt bisher ein wundervolles Wetter gehabt und immer ’ne Handbreit Wasser unterm Kiel… :-)

    Here are the result from Candy Shop…

    Zunächst einmal gibt es ja zwei Bilder in diesem Bild die sich gegenseitig irgendwie nicht „leiden“ können oder mögen… Ich beginne mal rechts mit dem kleinen Jungen der mit seiner eingesunkenen Brustpartie und den hängenden Schultern signalisiert: Ich habe keine Kraft mehr. Oder auch – Irgendwie weiß ich nicht mehr weiter.

    Oder Ich bin müde, überlastet und überfordert. Wäre schön wenn ihr mich in Ruhe lassen würdet. Aber ihm könnte auch etwas auf der Seele brennen – ein nachdenklicher Mensch neigt ja dazu den Blick vor sich auf den Boden zu richten, was eine leicht nach unten gerichtete Kopfhaltung voraussetzt.

    Was es schlussendlich wirklich war, werden wir niemals wissen. Zuerst fand ich die etwas heftige Bearbeitung auch – sagen wir mal – befremdlich. Warum so heftig? Doch je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr bin ich bereit diese Ausführung anzunehmen.

    Zeigt doch auch das zweite Bild links, der Tunnelausblick mit seiner Helligkeit und Freundlichkeit schon wieder eine Art der positiven Hoffnung, dass auch dieses Missgeschick, was immer es auch war, sich dem Ende neigt. Viellicht sind ja auch die Wolken am Himmel auf dem Rückmarsch… Ich bin halt ein hoffnungsloser Romantiker… :-)

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  5. Christian Fehse
    Christian Fehse sagte:

    Ich finde das Bild sowohl in Farbe als auch in schwarzweiß gut. Ich finde auch den Beschnitt wie bei der eingereichten Version nicht schlecht. Es verdichtet das Bild meines Erachtens. Die Bearbeitung ist mir auf der einen Seite zu dramatisch, aber gleichzeitig in vielen Partien zu weich. Das erzeugt einen eher ambivalenten Eindruck. Meiner Meinung nach wäre all das, was Dirk zu dem Bild schreibt, auch ohne (oder besser ohne?) die Dramatik der Kontraste zur Geltung gekommen.

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  6. Dirk Wenzel
    Dirk Wenzel sagte:

    Hallo Sofie…
    lieben Dank für diese Bildbesprechung und die damit verbundene Zeit für diese ….

    Die Frage nach dem WARUM ?

    Ich wollte die meine Bildaussage damit verstärken und habe meine Vorstellung dazu in der Bearbeitung genutzt … unterschiedliche Arbeitsschritte brachten mich zu diesem Ergebnis wobei mir klar war …

    es hätte auch eine andere Präsentation durch die Bearbeitung seien können …

    zuerst war es noch in Farbgestaltung bis zum Wechsel in SW …

    und wie es nun mal so ist :-) Schrauben an den Reglern ist unerschöpflich …

    und so hielt ich dieses Ergebnis fest …

    es kommt meinen emotionalen Empfindungen am nächsten …

    die ich eingangs beschrieb …

    Die Frage nach dem Bearbeitungsmöglichkeiten in oder durch Programme auf dem Handy hast Du selber schon beantwortet …

    Dein Beispiel der Besrbeitung empfinde ich auch als gelungen …

    was aber sicherlich damit zu tun hat, daß die Bildaussage für mich bleibt …

    somit bin ich auch schon bei Peter Hartmann und seiner Anmerkung … für mich hat es eine Aussage …

    da nicht nur das Kind im Bild eine „Rolle“ einnimmt …

    Die Aussage von Peter Hartmann bezüglich Hose voll und so ist ja dann doch auch eine Aussage des Betrachters in das Bild interpretiert …

    kleiner oder großer Widerspruch …

    eine Meinung … keine Aussage …

    komme aber nicht darum zu schreiben …

    Hose voll … ist schon ziemlich respektlos dem Kind gegenüber formuliert …

    Die Körpersprache zeigt da so find etwas anderes …

    egal …

    so unterschiedlich wirken halt Bilder auf den die Betrachter …

    kleiner Hinweis zur erneuten Betrachtung :

    Brücke – Tunnel – dahinter wie ein neues Bild Landschaft – abgewendet dieser im Bild links stehend mit Blick auf den unteren rechten Bildrand – dabei noch der kleine Wegbrechts raus aus dem Bild … vor der Wand der Brücke …
    Bildelemente die nicht dem Zufalle überlassen …

    Aus mit der Sage um dieses und jenes …

    … An der Seehundbank ist Urlaubsstimmung so wegen vieler Besucher ein kommen gehen … jeder wann er kann und möchte … ein Kutter nach dem Anderen verweilt die nötige Zeit damit keine Langeweile aufkommt … so bei den Fahrgästen … der eine und Andere empfindet die Kutterfahrt als übles zum Seegang … und wünscht sich nach Hause … gut wenn man ein Ziel hat und darum weiß … es erreichen zu können ..,

    Vom Krabbenkutter an der Seehundbank Grüße im Sommer 2016 …

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    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Bei fokussiert ist es uns vor allem wichtig, konstruktiv zu bleiben. Dazu kommt: ich lebe jetzt schon seit 20 Jahren im Ausland, und da bekommt man eine ganz andere Perspektive. Deutsche denken im Normalfall, dass sie mit ihrer „ehrlichen“ und „direkten“ Art den Leuten einen Gefallen tun – mittlerweile weiß ich, dass es sich eher so anhört, wie die Gesellschaft in „The Invention of Lying“. Darum: weiter fotografieren, weniger „regeln“ – und vergiss den Rest.

  7. Carsten Schröder
    Carsten Schröder sagte:

    Weniger ist manchmal mehr! Der HDR-Effekt ist, wie Sophie schon schreibt, zu stark angewendet. Das Bild als solches hätte ich aber noch etwas wie im angehängten Bild beschnitten, damit „störendes“ wegfällt und der Blick des Betrachters mehr am Kind hängen bleibt.
    Ein starkes Bild.

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