Nachtaufnahmen: Symptom Überbelichtung

Nachtaufnahmen sollten im Normalfall dunkel und geheimnisvoll wirken. Nur zu oft ist aber das genaue Gegenteil der Fall: Sie sind völlig überbelichtet. Eine Folge der Kamera-Automatik.

Alexander Sage
Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Alexander Sage). – Pentax ME SUPER (analog), 50mm.

Kommentar des Fotografen:

Diese Aufnahme entstand am Abend bei Dämmerlicht, das hellere Licht rechts im Bild stammt von einer Strassenlaterne. Das Bild ist eigentlich mehr ein Zufallsprodukt als geplant, denn ich habe die Kamera im „Automatikmodus“ (Blende muss bei dieser Kamera am Objektiv eingestellt werden) belichten lassen, was allerdings zeimlich lange dauerte, weshalb ich das ganze nach einigen Minuten abbrach (Es können auch gut 10 Minuten oder mehr gewesen sein). Ich habe eigentlich ein völlig überbelichtetes Bild erwartet… Vor dem Hochladen habe ich zusätzlich die Helligkeit leicht gesenkt und den Kontrast ein kleines bisschen erhöht, um diesen leuchtenden Effekt etwas zu verstärken, welcher jedoch sogar auf dem Negativ bereits stark vorhanden ist.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Alexander Sage:

Wahrlich ein leuchtendes Haus… und ein leuchtendes Beispiel für das, was uns oft beim Fotografieren in der Nacht passiert. Alexander schreibt, dass er „eigentlich ein völlig überbelichtetes Bild erwartet“ hätte. Des Rätsels Lösung:

Das Bild ist völlig überbelichtet. Es ist schlichtweg undenkbar, dass sich die Szene dem menschlichen Auge so präsentierte wie auf dem Bild. Es sei denn, die Ortschaft, wo Alexanders Aufnahme entstand, verfügt über Fluchtlichtanlagen statt Strassenlaternen.

Ein Indiz für die Überbelichtung sind die Sterne, die oben rechts und links im Himmel nur bei genauem Hinsehen als Striche erkennbar sind: Wäre der Himmel in Realität so hell gewesen, die Sterne wären nicht sichtbar.

Dies ist nun keine Kritik an dem Bild an sich, dessen überraschende Leuchtwirkung zu gefallen vermag. Es ist lediglich eine Erklärung dafür, was hier passiert ist, und was uns Amateuren zunehmend passiert, weil wir gewohnt sind, dass die Kamera „dann schon richtig belichtet“. Das tut sie zwar, aber eben „geeicht“ auf 18% Grau: Der Objekt-Belichtungsmesser in der Kamera ist auf einen durchschnittlichen Grauwert von 18% eingestellt, der Lichtwert der meisten Tageslicht-Standard-Szenen. Das führt bei Aufnahmen von besonders hellen Objekten (Sand, Schnee) zu deutlich unterbelichteten Ergebnissen, weshalb die meisten Kompakten Kameras heute eine Szenen-Programmierung „Sandstrand, Schnee“ aufweisen.

Der umgekehrte Effekt tritt bei Nachtaufnahmen ein: Die Kamera macht buchstäblich die Nacht zum Tag. Sie belichtet so lange, bis die durchschnittliche Grauwertung von 18% erreicht ist. Der gleiche Effekt ist auf diesem Bild von Jim Cramer zu sehen:

Jim Cramer: Nachtaufnahme
Leserbild Jim Cramer: „Autumn Urbania“: Stadteinwärts aufgenohmen in Erfurt an der Kreuzung der Arnstädter Straße und der Martin-Andersen-Nexö-Straße. Als „Stativ“ diente ein Stromkasten ;) deswegen auch die leichte Neigung. Panasonic DMC-TZ1, 15s, f/2.8, ISO 80, 5.2mm (35mm)

Mir hat dies eine lange Serie von Aufnahmen der Skyline von San Francisco vermiest, die ich in einem Zeitraffer-Film zusammenfassen wollte. Ich habe dazu die Nikon D200 während des Sonnenuntergangs auf eine Aufnahme alle 30 Sekunden programmiert.

San Francisco, Sonnenuntergang gesehen ab Twin Peaks (Foto PS / fokussiert.com)
Sonnenuntergang in San Francisco – zwischen den Aufnahmen liegen jeweils rund 10 Minuten. Die Belichtungsautomatik sorgt für immer gleiche Gesamtlichtmenge – wie die beiden Bilder in der Mitte beweisen: Kurz nach Sonnenuntergang ist die Stadt heller als eine halbe Stunde vorher. (Bilder ps / fokussiert.com)

In der Bildfolge wird die Stadt zuerst langsam dunkler, dann aber rasch heller – weil zugleich die helle Fläche im Bild abnimmt, weil der Himmel dunkler wird. Um ein real wirkendes Ergebnis zu erzielen, hätte ich die Automatik ausschalten müssen.

So aber mass die Kamera vor jeder Aufnahme das Objektlicht und optimierte die Aufnahme auf 18% – die Stadt wird, je dunkler der Himmel wird, immer heller.

Noch einmal: Es ist denkbar, dass der Effekt absichtlich eingesetzt wird und man eine Nachtszene aus künstlerischen Gründen taghell darstellt. Spannend daran ist, dass wir dieses Szenen im realen leben niemals so sehen können, wie es die Kamera tut, welche das Licht einer bestimmten Zeit in einem einzigen Bild „konzentriert“.

Ich würde indes behaupten, dass dies bei diesen beiden Aufnahmen nicht die Absicht war. Es sollten eigentliche Nachtaufnahmen werden (wobei Alexander nach eigener Aussage einfach mal experimentiert hat).

Um eine „nächtliche“ oder „korrekte“ Belichtung zu erreichen, ist die Spot- oder mittenbetonte Belichtungsmessung wohl die einfachste Methode. Da bei Digitalfotografie ohnehin auf die hellsten Bildbereiche belichtet werden muss, passt das. Allerdings wird das Ergebnis je nach für die Messung gewählter Bildstelle unterschiedliche Resultate ergeben – ideal wäre demnach, eine Stelle um Bild zu finden, die in realität „taghell“ beleuchtet ist (nicht eine Lichtquelle selber) und darauf je nach grösse der Fläche mit der Spot- oder der mittenbetonten Messung zu belichten. Nach einer Testaufnahme kann dann die Blenden/Zeit-Kombination wunschgemäss angepasst werden.

In der Rubrik «Bildkritik» analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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4 Kommentare

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  1. […] wohl aufgefallen: Diese Geräte (auch wenn die ersten Modelle noch nicht so empfindlich waren) machen die Nacht zu Tage. Buchstäblich. auf Vollautomatik eingestellt, belichteten die ersten Digitalkamera einfach jede […]

  2. […] ist eigentlich nur mit manuellen Belichtungsreihen richtig zu treffen, da die Automatik entweder gnadenlos überbelichtet oder aber bei den schwachen Lichtwerten nachts einfach aussteigt und bei nicht ausreichenden […]

  3. […] es geht. Ok, überbelichtet sind diese Nachtaufnahmen nun garantiert nicht. Aber wirklich “freihändig” […]

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