Nächtliche Kamerafahrt mit Auto: Energieeeeee!

Im fahrenden Auto lassen sich nachts originelle Bilder schiessen. Ein Stativ, gute Strassen und wenig Gegenverkehr vorausgesetzt.

Mit der Kamera auf Intervall-Auslösung und 10mm-Weitwinkel nachts im Auto unterwegs (©PS, Klick für Grossansicht und Technische Daten)

Gefunden habe ich die Idee für dieses Bild bei den Webperlen von Fotoholikerin Julia Stern; die verweist auf dphotojournal.com, und dort wird die Technik von Fotograf Ben McLeod erklärt, der es mit seinen Autofahrt-Bildern zu einer beachtlichen Perfektion gebracht hat.

Meine sind beim ersten Selbstversuch nicht ganz so sauber gelungen (was vielleicht auch am weit weniger sauberen Auto liegt), aber es war ein Heidenspass, mit klickender Kamera in San Francisco rumzukurven:

Anders als Ben McLeod, der gemäss den Angaben auf dphotojournal die Kamera auf „bulb“ stellt und händisch (ich hoffe mit Fernauslöser) abdrückt, habe ich die Nikon auf „Intervall“ (ein Bild alle 20 Sekunden, 50 Bilder) und Vollautomat gestellt, den Fokuspunkt auf das Cockpit gesetzt und die Belichtungskorrektur etwas hochgefahren. Dann habe ich die Kamera wie von Ben beschrieben auf das Stativ gesetzt, dieses mit zwei Beinen hinter Fahrer- und Beifahrersitz und dem dritten Bein in der Lehne der Rückbank verklemmt – und schon gings los.

Energieeeee! Ich habe dann später die Windschutzscheibe gereinigt. (©PS)

Es zeigte sich schnell, dass erstens die beste Zeit auch für diese Art von Aufnahmen die blaue Stunde nach Sonnenuntergang ist, wenn der Himmel noch nicht ganz schwarz und auch der Helligkeitsunterschied zwischen draussen und im Wageninnern noch nicht ganz so gross ist (was in SF zu unzähligen Idi… führt, die in der Dämmerung in ihren mit Vorliebe silbergrauen SUVs ohne jede Beleuchtung durch den Nebel preschen und dabei an keiner Kreuzung oder sonstigen Fussgängerquerungen auch nur abbremsen).

Ausserdem ist der Weitwinkel ein ideales Objektiv, weil ja vom Wageninnern einiges zu sehen sein soll: Der Reiz dieser Art von Fotos liegt in der Mischung aus Bewegung und Statik, und dabei in der Umkehrung, dass sich die Umgebung bewegt und das Auto statisch ist. Oder sein sollte: Eine Voraussetzung dafür, dass die Bilder Tempostreifen zeigen und nicht Herzrhythmusstörungen, ist eine ebene Fahrbahn (und ein stabiles, gut festgeklemmtes Stativ). Sowas haben wir in SF leider fast nirgends, und ich rede nicht von den legendären Hügeln, sondern von den berüchtigten 20cm tiefen Schlaglöchern.

Abbiegen......und rückwärts ausparken (©PS)Mit den Hügeln wollte ich vielmehr einen Effekt erzielen, indem ich versuchte, während einer Aufnahme über die Kante in den steilsten Hängen nach Downtown zu fahren. Aber erstens war es bald schon zu dunkel, und zweitens ergeben sich zwar interessante Effekte, die aber als U-Linien vor der Windschutzscheibe weniger spektakulär als ulkig wirken. Interessanter sind da schon Abbiege- oder Wendemanöver, wobei sich dabei der Fahrer unweigerlich bewegt und noch unschärfer oder sogar kopflos wird.

Irgendwann habe ich dann auch eingesehen, dass es sich lohnen könnte, die Fensterscheiben zu reinigen. Dies auch deshalb, weil die Streuung des Scheinwerferlichts entgegenkommender Autos zu kurzen Belichtungszeiten und einem grossen Feuerball auf der Motorhaube statt den zu Streifen verblichenen Sternen rund um die Enterprise führten. Also habe ich kurz angehalten und die Scheiben geputzt; ausserdem habe ich die Kamera tiefer nach unten gesetzt in der Hoffnung, bei der Fahrt durch den hochhausstrotzenden Financial District andere Resultate durch niedrige und höher liegende Lichter zu erzielen. Das erwies sich als Fehlanzeige: Bei belichtungszeiten von mehreren Sekunden werden die fernen Lichter weiter oben unweigerlich durch die Striche der tiefer liegenden wie Strassenlaternen übertüncht. Die beste Kameraposition dürfte Augenhöhe sein, vielleicht etwas weiter vorne im Wagen, als es hier bei mir der FAll war – mit einem Ultraweitwinkel sowieso.

Am spannendsten wurden die Bilder eindeitig bei nicht allzulanger Belichtung an Ecken und Strassenzügen, wo viele bunte Lichter brennen – Verkehr in Fahrtrichtung kann ebenfalls helfen, weil erstens das Innere des eigenen Wagens und zweitens die Umgebung draussen den Hintermännern beleuchtet wird.

Alles in allem hat’s Spass gemacht, rund eine Stunde gedauert, 150 Fotos ergeben, von denen 95% unbrauchbar sind, und all das wäre im Filmzeitalter ein ausgesprochen teurer Spass gewesen.

Ah, noch ein Detail am Rande: Die Kamera auf Augenhöhe des Fahrers ist natürlich auch von aussen im Wagen sichtbar – von vorne, wenn sie vor dem Auslösen per Hilfslicht aufs Dashboard scharfstellt, von hinten, weil sie nach der Auslösung am Monitor eine Vorschau anzeigt. Und wer hätte es gedacht: Die Fahrzeuge um mich herum hielten sich alle brav an jegliche Höchstgeschwindigkeit von 25 Meilen (wo sonst 40 gerast wird) und überholten mich nur sehr zögerlich.

Die gleiche Wirkung hatte auf den Schweizer Autobahnen das grellblaue Blinken meines Bluetooth-GPS vor der Windschutzscheibe. Vor zehn Jahren.

8 Kommentare
  1. Steffen
    Steffen sagte:

    Die Idee ist nett, habe ich früher auf dem Beifahrersitz auch gemacht.
    llerdings frage ich mich, ob heutzutage nicht eine Nachbearbeitung wie bei HDR in Frage kommt: Ein Bild bei stehendem Auto mit dem unbewegten Fahrer und dann schneidet man die Lichtspuren in die Fenster rein, sind ja klare Kanten, ist also nicht sehr snspruchsvoll.

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  2. Schtonk!
    Schtonk! sagte:

    Es geht nicht um Deine Fahrweise, Peter…Du weißt schon, die grauen SUVs…

    Dass Du vorsichtig fährst mit einer Kamera am Rücksitz, das glaube ich schon.

    Aber ich borg mir jetzt mal einen Gloogle Street View Car :-)

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  3. Tom!
    Tom! sagte:

    @Peter

    Die Rohrschelle ist inzwischen deutlich veraltet (aber immer noch unschlagbar im Preis).
    Ich nutze mittlerweile eine etwas elegantere Lösung: einen Nodalpunktadapterring.
    http://www.langebilder.de/nodalpunktringe.php

    Aber die Kamerabefestigung im Auto ist nicht trivial. Ich hatte damals eine recht komplexe Konstruktion mit Clamps und diversem Stativzubehör gebaut, das sah spannend aus und war doch nur für geringe Geschwindigkeiten geeignet.

    So wie Du das Stativ auf zwei Beine zu stellen und in der Rückbank mit dem dritten festzuklemmen, finde ich schon mutig. ;-).

    Ich habe mal mit einer etwas nach rechts ausgerichteten Befestigung an der Beifahrer-Kopfstütze experimentiert, das klappte ganz gut und gab einen etwas dynamischeren Einblick in den Innenraum. Muss mal schauen, wo die dazugehörigen Bilder sind.

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  4. Schtonk!
    Schtonk! sagte:

    Cable Car dürfte zu sehr rütteln.

    Aber das mit den grauen SUVs gibt es hier auch…hier sind es graue BMW, die extra nicht das Licht anmachen, weil das schicker ist…und wenns knallt, muss ja der andere zahlen.

    Schöne Bilder! Aber ich stelle mir 1h in der Großstadt fahren eher stressig vor.

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  5. Michael Sennhauser
    Michael Sennhauser sagte:

    Tolle Bilder, wirken wie Grafiken aus den 60ies. Und dein vollverstaubter Dünnblechgolf sieht plötzlich aus wie eine Edelkarosse. Da fehlt nur noch eine Räkelblondine auf dem Beifahrersitz und der Retrolook von „Automobil Revue“ und Konsorten wäre erreicht. Mit dem Kniff kannst wohl noch mehr anfangen. probiers mal im Cable Car? Oder im Muni-Bus mit einem Rollstuhl im Vordergrund ;) ?

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