Obdachlosen-Strassenszene: Gut präsentiert

Weil Obdachlose schon so häufig fotografiert wurden, kann es schwierig werden, mit solchen Fotos ein Publikum zu finden. Neben der richtigen Komposition kann aber auch die Präsentation Aufmerksamkeit erregen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Besim Mazhiqi).

Kommentar des Fotografen:

Das Foto ist bereits im April 2008 entstanden und zeigt eine Frau, die auf der Straße lebt. Während sie ihr Lächeln bei dem schlechten Wetter nicht verloren hat und zugleich dafür Sorge tragen muss, ihr Hab und Gut trocken zu halten, verschwinden die Gesichter der Passanten unter ihren Regenschirmen.

Um dem Bild einen zusätzlichen Reiz zu verleihen, habe ich eine Textur mit eingearbeitet, die sicherlich Geschmackssache ist, dem Foto aber gleichzeitig den „Alltagscharakter“ dieser Szene nehmen soll.

Profi Douglas Abuelo meint zum Bild von Besim Mazhiqi:

Obdachlose wurden ad infinitum fotografiert, und das meist nicht besonders gut. Dieses Foto einer offenbar obdachlosen Frau ist jedoch aus einer Reihe von Gründen interessant:

Durch die ausgewogene Komposition und den niedrigen Blickwinkel wirkt das Bild sofort ansprechend: Die Froschperspektive ist besonders interessant, weil sie uns als Betrachter mit dem Objekt bildlich sowie wörtlich auf die selbe Ebene stellt. So erlaubt uns der Fotograf, die Welt aus einem ähnlichen Winkel zu sehen wie die Frau.

Indem er die Umgebung vorteilhaft nutzte, leitet uns der Fotograf direkt zum Hauptobjekt. Fast jedes Objekt im Bild, von den Gebäuden und dem Fußweg über den hellen Himmel im Hintergrund bis hin zu den Kartons und Tüten im Vordergrund, führen unseren Blick genau zum lächelnden Gesicht der Frau, das den wichtigsten Aspekt in diesem Foto darstellt.

Sehr häufig verfallen Fotografen beim Fotografieren Obdachloser oder benachteiligten Menschen unserer Gesellschaft in die Klischees von Sorgenfalten und runzliger Stirn zurück. Hier hat der Fotograf das Objekt erfolgreich nicht als klischeehafte Karikatur dargestellt, sondern als ein Individuum, ohne dass wir Mitleid oder Nostalgie empfinden müssen.

Während all diese Dinge sich zu einem ordentlichen Foto addieren, ist in meinen Augen erst die Art der Präsentation das i-Tüpfelchen. Die Bildecken sehen aus, als wären sie abgenutzt, die Bildoberfläche wurde mit Kratzern versehen, und der Fotograf hat die Farben so manipuliert, dass sie aussehen, als wäre das Foto Wind und Wetter ausgesetzt gewesen.

Dies ist sehr effektiv, denn es ist eine direkte Referenz zu den Lebensbedingungen der Frau.

Ich denke, das Foto könnte dennoch an Stärke gewinnen, wenn nicht ein Passant aus der Schulter Frau herausragen, und die Schrift auf der Tüte nicht da wäre und uns vom Objekt ablenken würde. Beides hätte leicht vermieden oder entfernt werden können – entweder bei der Aufnahme oder später in der Dunkelkammer.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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