Perspektiven in Heidelberg: Blass ohne Grund

Fotos kommen meistens nicht perfekt aus der Kamera. Sie unbearbeitet zu lassen, läßt mich als Betrachter im Regen stehen. Hier hätte es zumindest eine Farbkorrektur gebracht.

Nikon D70 - f/9 - 1/320 s - ISO 640 - 50 mm - (c) Lisa Rossbach

Nikon D70 – f/9 – 1/320 s – ISO 640 – 50 mm – (c) Lisa Rossbach

Lisa Rossbach aus Heidelberg schreibt zu diesem Bild:

„Das Bild habe ich in Heidelberg auf dem Unigelände aufgenommen, wo es überwiegend Architektur aus den 80er Jahren gibt. Ich habe mit unterschiedlichen Formen und Perspektiven gespielt um eine spannende Komposition zu erreichen.“

Es ist fazinierend, was mal architektonisch als schön galt. Zumindest ist es irgendwo fotografisch interessant, und das hast Du hier gezeigt.

Zu sehen ist links oben ein Wasserbecken, in das, allerdings nicht durchgängig, Wasser fließt. Daneben angeordnet Betonstufen mit verwitterten Holzsitzen, aus den Ritzen im pockennarbigen, verfärbten Beton wächst Unkraut, und alles sieht aus, als hätte es seine besten Tage schon gesehen.

Den Lichtverhältnissen und benutzten Kameraeinstellungen nach zu urteilen warst Du am späten Nachmittag unterwegs. Wenn man das Foto auf hundertprozentiger Größe betrachtet, sieht man, daß Du auf den zweiten Sitz rechts scharfgestellt haben mußt, alles andere ist verschwommen. Weil Du es hier darauf angelegt hattest, ein Abstrakt zu fotografieren, hätte ich mir fast gewünscht, der Rest wäre genauso scharf dargestellt worden, aber dann hättest Du eine wesentlich kleinere Blende gebraucht, und aufgrund der resultierenden Verschlußzeit ein Stativ, wenn nicht der ISO ins super Körnige geraten soll. Da Du in Heidelberg zu wohnen scheinst, kannst Du die Aufnahme natürlich entsprechend wiederholen. Man kann das jedenfalls diskutieren.

[bildkritik]

Die Betonstufen und auf ihnen angebrachten Holzsitze sind das bestimmende Element im Foto:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Ich finde es gut, daß sie nicht so angeordnet sind, daß sie rechts oben direkt in der Ecke münden – das wäre mir hier zu vorhersagbar gewesen. Es bildet außerdem das Echo auf die entsprechende Ecke links unten, wie auch die Linie, die die Gischt im Wasser bildet, das Echo auf die Linien im Beton ist.

Der Rest des Bildes wird vom Wasser ausgefüllt, ist negativer Raum, bildet aber auch das visuelle Gegengewicht zur Betonstruktur:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Den Kontrapunkt zu den langen Diagonalen setzen die Fugen im Beton, sowie die Wasserfontänen:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Bis auf die Unschärfe, die wie erwähnt diskutiert werden kann, also ein für mich sehr gut komponiertes Bild. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, daß es nicht aussieht, als hättest Du es irgendwie nachbearbeitet. Die Farben sind blaß und es fehlt Kontrast. Fotos kommen selten perfekt aus der Kamera, und dieses hier ist eines davon. Du bist den Weg nicht zuende gegangen und hast mich als Betrachter irgendwo im Regen stehen gelassen.

Zumindest die Farbsättigung und den Kontrast hätte ich also angehoben:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Ob das jetzt mit dem Grün im Wasser wieder zuviel war, sei dahingestellt – das kann man noch angleichen. Jedenfalls hat es jetzt etwas mehr Pepp.

Du kannst auch noch einen Schritt weitergehen und es in Schwarzweiß umwandeln:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Den Wasserteil habe ich mit einem stärkeren Kontrast bedacht, um die hellen Bereiche besser herauszuarbeiten. Jetzt wird aus dem Foto schlußendlich das, was bereits in ihm angelegt war: ein Kunstfoto, das ich mir gut als Anfang einer Serie vorstellen könnte.

10 Kommentare
  1. Marcus Leusch
    Marcus Leusch sagte:

    „Die Readymades von Duchamp sind keine Kunstwerke, sondern Manifestationen“ – gegen den Kunstbetrieb, gegen das Schöpferische, gegen eine emphatisch vorgetragene Auffassung vom individuellen Charakter künstlerischer Produktion, wie ergänzt werden muss. Dem Satz von Peter Bürger („Theorie der Avantgarde“), auf den ja auch in dem verlinkten wikipedia-Artikel verwiesen wird, ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Duchamp ist uns ein schlechter Chronist dafür, was heute Kunst ist, weil sich diese künstlerischen Provokationen längst überholt haben. Im Kontext der historischen Avantgarde (1909/1925) markiert er aber einen bedeutenden Wendepunkt in der Kunstgeschichte, ohne den ein neoavantgardistisches Werk wie „Campbell‘s Soup Cans“ (1962) von Andy Warhol kaum denkbar wäre … 


    Ein Bild wird nicht zur Kunst, indem man ihm einen monochromen Charakter verleiht. Da hilft es auch nicht, wenn man einem technisch perfekt in Szene gesetzten Werk das Etikett „Fine Art“ auf den Bauch bindet. Aber warum muss es denn auch immer gleich eine falsch verstandene Museumsreife sein, die dem eigenen Schaffen einen herausgehobenen Stellenwert verleiht? Das Künstlerische an einem Kunstwerk war noch nie massentauglich. Und warum sollte man Kunst der Beliebigkeit aussetzen, gerade in solch nebulösen Zeiten, in denen selbst Werbefotografen und frei phantasierende Photoshopartisten sich als frei schaffende Künstler bezeichnen? … Ein weites Feld.

    Grüße in die Runde
    Marcus

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    • Tilman
      Tilman sagte:

      Marcus, ich verstehe einfach nicht, was Du schreibst und sagen willst. Besonders der zweite Abschitt ist entweder eindeutig zweideutig, oder ich bin zu dumm…

    • Marcus Leusch
      Marcus Leusch sagte:

      Lieber Tilman,

      ich bin eigentlich immer um eine klare Sprache bemüht. Sorry, wenn ich manchmal daran scheitere … liegt vielleicht an meinem geisteswissenschaftlichen Vorleben. … 


      Meine Anmerkung bezog sich auf die Äußerungen von Werner und Sofie (unten), in denen es um die Bezeichnung „Kunstfoto“ ging. Was soll das sein??
Außerdem wird der Künstler Marcel Duchamp mit einem seiner Werke („Fountain“ = ein Urinal) zitiert, das man in der Kunstgeschichte als Readymade (franz. objet trouvé) bezeichnet, da es hier nicht für eine eigene künstlerische Leistung (Schaffensprozess) steht, sondern an Stelle dafür ein industriell gefertigtes Objekt der Massengesellschaft (Urinal) auf den musealen Sockel gehoben wird und Duchamp bloß seine Unterschrift darunter setzt. Das führte seinerzeit (1917) zu heftigen Kontroversen ebenso wie später einige Werke von A. Warhol. Beide sind Geschichte – Kunstgeschichte. Sie gehören in ihre Zeit und sollten auch aus dieser heraus erst einmal verstanden werden, ebenso wie aus dem Kontext der Kunstgeschichte, auf die sie sich beziehen. Nichts anderes war mein Sinn. 


      Solche Provokationen in der Kunst bedeuten nun aber nicht, das „alles, was ich zur Kunst erkläre, auch Kunst ist“ (Beliebigkeit), wie es Sofies Äußerungen nahe legen, die sich ja sehr deutlich bei Duchamp rückversichert.


      Wenn dem so wäre, dann hätten wie es bei fokussiert nur noch mit Kunst zu tun, oder mit Fotografien, aus denen sich Kunst „machen lässt“ (Zauber der Schwarz-Weiß-Umwandlung). Dem ist ja bei Weitem nicht so, ungeachtet der Tatsache, dass man mit einer Schwarzweiß-Bearbeitung vielen Bildern (wie dem Vorliegenden) durchaus zu einer besseren Anmutung verhelfen kann, wenn damit auch die Inhalte adäquater präsentiert werden. Anders gesagt: 1. Mir ist vollkommen unklar geblieben, was ein „Kunstfoto“ denn nun ist und worin es sich von anderen unterscheidet. 2. Duchamp führt bei dieser Frage gewiss in die Irre, wovor ich ihn bewahren wollte. 3. Wer von Kunst spricht, legt die Messlatte doch sehr hoch – für sich selbst und für andere. Warum reden wir nicht einfach über Kreativität, über technisches und gestalterisches Vermögen über den Sinn für das „Fotografische“ und bleiben so mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität?


      LG
      Marcus

    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Da muß ich Dir leider widersprechen. Der ganze Grund für „Fountain“ (und das heißt nicht „Urinal“, sondern „Brunnen“) war doch, daß er etwas als „Kunst“ provokativ zu einem Wettbewerb eingereicht hat, was dann prompt und absehbar abgelehnt wurde. Es wird heute noch in dem Zusammenhang zitiert, und ist meines Erachtens genauso „Kunst“ wie die Fettecke von Beuys und das Zeug, was immer wieder in die Schlagzeilen gerät, weil eine Putzfrau es wegschmeißt. Die raubkopierten Instagram-Posts von diesem Richard Prince werden als „Kunst“ verkauft, weil man sie dazu erklärt hat. Und das ist es dann. Man muß weder Geisteswissenschaften noch Kunstgeschichte im besonderen studiert haben, um eine Meinung dazu bilden zu können.

      Der Grund, warum ich ihr Bild als „Kunstfoto“ bezeichnet habe, war der: sie ging durch das Unigelände, um Schnappschüsse zu machen, die irgendwie interessant waren. Dieses Foto, mit der neuen Bearbeitung, transzendiert das Motiv zu etwas, was über das Gesehene hinausgeht, Abstrakt oder nicht. Und das bezeichne ich eben als Kunst. Hätte eine Farbbearbeitung gepaßt, hätte ich die angewandt.

    • Tilman
      Tilman sagte:

      Lieber Marcus, vielen Dank für Deine lange Antwort. Jetzt habe ich auch verstanden, was Du bei Deinem ersten Kommentar gemeint hast! Ich bin halt Ingenieur :->
      MfG, Tilman

    • Marcus Leusch
      Marcus Leusch sagte:

      Liebe Sofie,

      ad 1: Der „Brunnen“ ist für alle, die sehen können, ein sehr reales „Urinal“ (mir ging es hier nicht um eine Übersetzung des Wortes aus dem Französischen!), zumal Du ja selbst sogar von einem „Pissoir“ gesprochen hast, was zumindest den Vorstellungsraum des Objekts (für diejenigen, die des Französischen mächtig sind,) um einiges erweitert. 



      ad 2: Ich halte mich in der Interpretation von Marcel Duchamp unter anderen an Peter Bürger, der diesen Part der Kunstgeschichte aus meiner Sicht sehr gut erläutert hat und ja auch in Deinem Link Erwähnung findet („Theorie der Avantgarde“ – eine international sehr anerkannte und unumgängliche Analyse, die immer noch lesenswert ist!).



      ad 3: Was der Kunstmarkt (= Rendite, An-und Verkauf) zur Kunst erhebt ist ja mitunter sehr irrational, wie die Aktienkurse an der Börse: Ein Plagiat ist immer noch ein Plagiat (Richard Prince) und hier wohl kein guter (!) Leumund der Beliebigkeit, aber im geistigen Bilderklau sehr up to date; bei Josef Beuys können wir uns gerne über einen „erweiterten Kunstbegriff“ streiten, der ja wieder einmal auf der letzten „documenta“ in Kassel sehr interessant zur Debatte stand und bis heute wirkt (wie Marcel Duchamp).

      

ad 3: Ich wusste gar nicht, dass ein Studium der Geisteswissenschaften/Kunstgeschichte einmal zu einem negativen (Vor)urteil herhalten würde. Ich für meinen Teil möchte bloß etwas verstehen und nicht zwischen Vielleicht und Wahrscheinlich schwanken. Ansonsten würde ich ja bloß aus Behauptungen heraus leben und sprechen, das ist aber nicht mein Stil, auch nicht in der so genannten „Kunst“.

      

ad 4: Deine Meinung, ob etwas Kunst ist oder nicht, ob Etwas „transzendiert“, „Abstrakt oder nicht“ (ja, was denn nun?), ob etwas „über das Gesehene hinaus geht“ (wohin??) ist natürlich Deine persönliche Meinung, die ich respektiere, aber nicht immer teilen muss. Dafür gibt es ja die Möglichkeit, zu diskutieren und nicht alles Gut zu heißen, was geschrieben steht. … 



      Und nicht zuletzt: Ich möchte mich nicht streiten und noch viel weniger Recht behalten, das ist mir Sternschnuppe. Mir geht es nur um eine gewisse Klarheit, die auch ein Blog wie dieser ertragen kann und vielleicht dem ein oder anderen helfen mag, seine eigene Kreativität und seine eigenen Anschauungen im fotografischen Ausdruck zu finden. … 



      Herzliche Grüße
      
Marcus

    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Übersetzt habe ich „Brunnen“ aus dem Englischen, und das mit den Geisteswissenschaften habe ich nicht abwertend gemeint. Aber sei es drum – präzise der hiesige Diskurs ist der Grund, warum ich nie die Diskussion „Was ist Kunst?“ vom Zaun gebrochen habe, wenn ich auch schon zig mal versucht war, wenn ich Zeug online als „Kunst“ angepriesen zum Verkauf gesehen habe. Belassen wir es dabei.

    • Marcus Leusch
      Marcus Leusch sagte:

      „… belassen wir es dabei …“


      Ja, ein weiser Entschluss, dem ich mich allzugerne anschließe, und: Bei der Diskussion „Was ist Kunst?“, um die es hier, wenn wir ehrlich sind, gar nicht ging, kommt einem leider manchmal das Grausen. In diesem Punkt stimme ich mit Dir zu 100 % überein. … 


  2. Werner
    Werner sagte:

    Warum nur gefällt mir die Schwarzweiß-Konversion von Sofie so viel besser?
    Hängt wohl mit dem Begriff „Kunstfoto“ zusammen. Was ist ein „Kunstfoto“ (keine Ironie – ernsthafte Frage)?
    Ich rätsele schon seit Jahren herum, was es ist, das ein Foto eines banalen Gegenstands (Motiv) zur Kunst macht – siehe z.B. William Egglestons Arbeiten.
    In diesem Falle scheint mir nicht die Anhebung von Farbsättigung und Kontrast der Knackpunkt zu sein, sondern die Abstraktion hin zu SW. Ich glaube, das Rätseln hält an.

    Antworten
    • Sofie Dittmann
      Sofie Dittmann sagte:

      Marcel Duchamp hat die Frage nach dem, was Kunst ist, damit beantwortet, daß er ein Pissoir unterschrieb. https://en.wikipedia.org/wiki/Fountain_%28Duchamp%29

      Schlußendlich lautet die Antwort in diesem Sinne: was wir dazu machen. Für mich ist ein „Kunstfoto“ schlußendlich eines, was zu keinem anderen Zweck gemacht worden ist. Das hat nichts damit zu tun, daß ein Architekturfoto beispielsweise auch Kunst ist/sein kann.

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