Peter Bialobrzeski: Lebens(t)raum des Menschen

Peter Bialobrzeski, neuer Träger des Erich-Salomon-Preis 2012, beschäftigt sich mit dem Lebensraum des modernen Menschen: mit Zivilisation und Natur, mit der Globalisierung und den damit verbundenen Umwälzungen.

[textad]Peter Bialobrzeski – aus The Raw and the Cooked

Von „Lebensraum“ bis „Lebenstraum“ ist es nur ein Buchstabe, und auch darum geht es Biablobrzeski: Wie richten sich die Menschen ihre Umwelt ein, mögen die Bedingungen noch so grausam sein?

Im Fernen Osten geschehen zur Zeit die radikalsten und schnellsten Umwälzungen in der Lebenswelt der Menschen – in einer wuchernden Ausbreitung der Urbanität, der Konstruktionen, der Architektur, die Bisheriges, Traditionelles, menschliches Maß gnadenlos umpflügt.. Deshalb liegt Peter Bialobrzeskis aktuelles Augenmerk besonders auf dem Wachstum der asiatischen Megastädte. Er schaut auch in die Slumviertel, zum Beispiel in der phillipinischen Hauptstadt Manila oder nach Kliptown nahe dem südafrikanischen Johannesburg, einer Siedlung nahe des für die Fußball-WM 2010 neu errichteten Stadions.

Peter Bialobrzeski – aus: Case Study HousesDie Trilogie „Habitat“ fasst die drei oben genannten Schauplätze zusammen – und wir können diese Bilder aktuell in einer Ausstellung im Kölner Forum für Fotografie sehen. In „Case Study Houses“ porträtiert Bialobrzeski die ärmlichen Behausungen des unmittelbar am Strand von Baseco, nahe dem Hafen Manilas zwischen zwei Containerterminals entstandenen Shantytown, so teilt das Forum für Fotografie mit.. Trotz der Ärmlichkeit dieser notdürftig aus Zivilisationsmüll und Strandgut zusammengeschusterten Hütten spricht aus diesen baulichen Improvisationen ein unbezwingbarer Gestaltungswille, der von der Unermüdlichkeit der Menschen zeugt, sich ein Zuhause zu schaffen und sich darin, so gut es eben geht, wohnlich einzurichten.

Peter Bialobrzeski – aus: Informal ArrangementsDie 2009 entstandene Serie „Informal Arrangements“ widmet sich den Innenräumen der Slumhütten von Kliptown. An diesem Ort beschloss 1955 der „Volkskongress“ die Freiheitscharta, die Demokratie, Gleichberechtigung und Menschenrechte forderte. Diese Charta der Anti-Apartheid-Bewegung gehört bis heute zu den politischen Basisdokumenten des ANC, dessen 100. Geburtstag im Januar eben gefeiert wurde. Bialobrzeskis Fotografien stellen fest, es habe sich zwar politisch etwas getan, ökonomisch jedoch nur sehr wenig.

In seiner neuesten Serie „Nail Houses“ zeigt Peter Bialobrzeski Aufnahmen von baufälligen Häusern in China, die zum Abriss freigegeben sind. Die Ruinen sind aber doch noch bewoht, sie weisen durch ein Licht im Fenster oder einen Lichtreflex unter der Tür darauf hin. Als „Nail Houses“ bezeichnet man in China Häuser, deren Bewohner bis zuletzt den Abriss ihres Heims zu verhindern suchen.

Peter Bialobrzeski – aus: Nail HousesMit dem Erich-Salomon-Preis 2012 ehrt die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) nach ihrem Bekunden einen der profiliertesten und engagiertesten deutschen Photographen, der seit fast 20 Jahren beharrlich die Welt mit der Kamera beschreibt und interpretiert. Zugleich gelte die Ehrung auch einem einflussreichen Photolehrer und Autor, der stets die theoretische Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie gesucht und auch hier wesentliche Akzente gesetzt habe. Gesellschaftliche Relevanz sei ihm genauso wichtig wie die ästhetische Verführung.

Auch wenn Menschen auf seinen Bildern nur selten zu sehen sind, so geht es doch immer um sie, so die DGPh in ihrer Würdigung: Um die Art, wie sie leben und wie sie die Welt verändern oder die Welt sie verändert. Dabei sieht sich der Fotograf eher als Archivar in einer Ära der ständigen Veränderung. Er ist daran interessiert, wie die Dinge von heute als Vergangenheit aussehen, will sich im wahrsten Sinne des Wortes selbst ein Bild machen, die Deutung jedoch dem Betrachter überlassen. Hier steht er in der Tradition eines Walker Evans, zu dem er Bezüge sieht oder Bernd und Hilla Becher, von denen er sich aber in seiner fotografischen Pracht und künstlerischen Absicht abgrenzt.

Peter Bialobrzeski, Jahrgang 1961, begann seine internationale Karriere Ende der 80er Jahre bei renommierten Magazinen wie Stern, Telegraph Magazine, ZeitMagazin und Geo. Er lebt in Hamburg und arbeitet rund um die Welt an seinen zahlreichen Projekten. Neben zahlreichen anderen Preisen erhielt Peter Bialobrzeski 2003 und 2010 den World-Press-Photo Award ausgezeichnet. Seit 2002 ist er Professor für Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen. Auch seine Bücher wurden mehrfach preisgekrönt, so 2004 mit dem Deutschen Fotobuchpreis für „Neon Tigers“ und 2006 für „Heimat“. Wir können uns die Serien auch auf Peter Bialobrzeskis Website anschauen. Besonders schön ist auch der Bildband [amazon 3775720499]Lost in Transition[/amazon] (Hatje Cantz-Verlag, Ostfildern 2007). Sein aktuellstes Buch [amazon 377573192X]The Raw and the Cooked[/amazon]erscheint Ende Januar ebenfalls bei Hatje Cantz: Dort präsentiert er eine Essenz aus seinen Beobachtungen der asiatischen Megastädte und deren Slums.

Peter Bialobrzeski – Habitat
Bis 11. März
Forum für Fotografie, Schönhauser Straße 8, D-50968 Köln
+49 (0) 221-340 18 30, mail@forum-fotografie.info
Geöffnet Mittwoch bis Freitag 14 – 18 Uhr, Samstag 12 – 18, Sonntag 12 – 16 Uhr

Peter Bialobrzeski
Forum für Fotografie Köln
Deutsche Gesellschaft für Photographie

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  1. […] könnte.”Über Peter Bialobrzeski schrieben wir Anfang des Jahres unter der Überschrift Lebens(t)raum des Menschen.Florian Müller: Fashionvictims – Die Kleider anderer Leute; Indien, Ein 12-jaehriger Junge haengt […]

  2. […] jetzt zu den modernen Klassikern des Mediums“, so die DGPh in ihrer Würdigung. fokussiert.com: Lebenstraum des Menschen.Bettina Flittner hat sich mit Fotoinstallationen im öffentlichen Raum national und international […]

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