Pont Alexandre Colorkey: Effekte-Overkill

Zu viele Tricks in einem Bild machen das Motiv zum Statisten und das Bild zum Knallkörper ohne Nachhall.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Ronny Ritschel).

Kommentar des Fotografen:

Aufgenommen wurde dieses Foto an einem Februartag in Paris. Ich wollte schon lange mal die Pont Alexandre III in Paris fotografieren. Diese Brücke ist meiner Meinung nach sehr schwierig zu fotografieren. Es gibt zwar viele Aufnahmen, jedoch zu wenig Interessante. Ich wollte mit dieser Aufnahme Architektur und Streetfotografie vereinen. Aus diesem Grund habe ich diese Perspektive auf die Strasse genommen. Um der Aufnahme noch ein wenig Dynamik zu schenken, wählte ich eine diagonale Ansicht. Zusätzlich wollte ich durch ein Colorkey-Effekt das „Street“ in der Aufnahme unterstreichen.

Ich wartete also ca. 20 min bis ein gelbes Auto vorbei fuhr. Ich wählte eine etwas längere Belichtung, um auch noch dem Auto eine Eigendynamik zu geben. Die Belichtungszeit betrug eine 1/13 sek. (Freihand, hatte leider mein Stativ vergessen). Als Objektiv kam ein 17-55mm 2.8 mit der Blende f14 zum Einsatz. Ich wollte noch eine geringere Blende einstellen, um die Schärfe nicht zu sehr zu beinträchtigen. Leider war dies nicht mehr möglich, denn ich hätte sonst das Auto verpasst. Da ich mich nicht zu den Größen der Fotografie zähle, würde ich mich freuen wenn ich eine Profikritik erhalte.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Ronny Ritschel:

Wenn unser Hirn eine Sicherung gegen Reizüberflutung hätte, sie würde bei diesem Werk durchbrennen. Obwohl die einzelnen Effekte für sich jeweils eine gute Idee und meist auch gut umgesetzt sind, als Sammlung fliegen sie einem mit einem Knall um die Ohren, ohne dass danach etwas nachhaltiges bleibt.

Wenn Du das Resultat auf Erfüllung Deiner Absicht überprüfst – bist Du dann zufrieden? Du wolltest eine interessante Aufnahme des Pont Alexandre machen. Die Brücke wird hier aber zur Statistin im Bild, zur Umrahmung für ein – ehrlich gesagt nicht sehr interessantes – vorbeifahrendes Auto. Und während ich als ahnungsloser Betrachter nicht weiss, was eigentlich dein Motiv war (es muss das Auto sein), erkenne ich eine Vielzahl von fotografischen Effekten, allesamt in einem einzigen Bild zusammengeworfen:

  • Colorkey
  • Schräger Horizont
  • Klischee-Hintergrund
  • Bewegungsunschärfe
  • Genre-Mix

Das verfehlt nicht eine gewisse Wirkung. Hingucken wird jeder, und auf die erste Betrachtung wird Dein Publikum staunen: Wow, so viele Tricks! Den künstlerischen Wert Deiner Arbeit kannst Du aber just mit dieser Fragestellung überprüfen. Was macht das Bild zum Blickfang? Deine Photoshop-Skills, oder der emotional berührende Inhalt des Bildes?

Das ist vergleichbar mit einem angehenden Schriftsteller, der sich an einen Thriller wagt im Bewusstsein, dass das ein schwieriges Unterfangen ist. Und weil das Resultat langweilig ist, setzt er nachträglich einen Haufen Zwischentitel, wechselt alle zwei Absätze die Schrift und druckt das ganze auf Pergamentpapier. Das ist zwar spektakulär, aber es macht den Inhalt nicht besser.

Ich will niemanden entmutigen, mit bekannten fotografischen Effekten oder auch Dunkelkammer-Tricks und Dingen wie Color-Key zu experimentieren (oder sogar eigene Effekte zu erfinden). Aber wenn ich durch die Flickr-Accounts und die Fotosammlung vieler Anfänger surfe, fällt mir auf, wie inflationär diese Dinge angewandt werden, und dabei noch häufig auf Bildern, in denen sie keinerlei Sinn machen.

Nach Durchsicht Deiner Website bin ich indes erstaunt, dass Du uns just dieses Bild geschickt hast. Denn Du hast einige interessante S/W-Aufnahmen im Portfolio, und daneben weit bessere Beispiele für einen sinnvollen Einsatz von Color-Key als das hier.

Immerhin hast Du bei dieser Aufnahme vieles geplant. Aber Du hast dabei Dinge vermischt, die sogar einen Profi überfordern würden: Architektur- und Streetfotografie, Farbe und Schwarzweiss, Statik und Dynamik. Du hast vor Ort erkannt, dass Dein Bild langweilig wird und Dich sogleich dafür entschieden, es mit einer Sammlung von Effekten aufzuwerten. Das muss schief gehen, weil die Effekte dabei vom Stützmittel zum Motiv werden. Das sagst Du selber: Du hattest das Stativ „vergessen“ und Dir fehlte die Zeit, um die Blende zu schliessen (abgesehen davon: Die Blende noch weiter zu schließen wäre wohl nicht gut rausgekommen, schon so hast Du das Verwacklungsrisiko auf die Spitze getrieben). Zusammengefasst lautet die Kritik:

Du hast die Aufnahme selbst noch vor dem Auslösen hinter die Photoshop-Bearbeitung zurückgestellt.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Deine Fotografie inklusive (mit Mass angewandter) Effekte besser wird, wenn Du Dich zunächst voll und ganz auf die Grundlagen konzentrierst: Bildkomposition, Blende, Verschlusszeit. Mach mit diesen drei Dingen eine spannende Aufnahme des Pont Alexandre. Nimm Dir Zeit dafür, such nach den Gründen, die es so schwierig machen oder nach den Perspektiven, die plötzlich die Spannung der Brücke rüberbringen. Den Ansatz davon sieht man in deinem Bild, der Blick entlang der Brüstung links, mit dem Löwenkopf im Vordergrund und den Laternen aufgereiht, bietet erste einfache Möglichkeiten. Spiel mit den Extremen vor Ort, statt mit den Extremen in Photoshop: geh ganz nah an den Löwenkopf und probier eine Blenden-Reihe. entfern Dich von der Brücke und zieh die Laternen mit dem Tele dicht aneinander ran. Probier Perspektiven von ganz unten, von höher oben. Dein Portfolio zeigt ungewohnte Blickwinkel, aber fast immer auf Augenhöhe.

Effekte sollten dazu eingesetzt werden, die Stärke eines Bildes zu unterstreichen. Mehrere Effekte unterstreichen so viel, dass am Schluss nichts mehr zu erkennen ist. Mehr noch: Sie wirken dilettantisch, weil der Verdacht auf der Hand liegt, dass sie etwas übertünchen sollen.

Und leider tun sie das in den meisten Fällen auch, weil viele moderne Amateure die Abkürzung zu „spektakulären Bildern“ via Nachbearbeitung nehmen wollen. Das wird schnell in einer Enttäuschung enden, weil sich die Effekte erschöpfen und abnutzen, dabei die fotografische Entwicklung aber vernachlässigt wird. Die Abkürzung ist eine Sackgasse.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
Mehr über die Profi-Bildkritik erfahren / Eigene Bilder zur Kritik einreichen.

2 Kommentare
  1. Ronny
    Ronny sagte:

    Hallo Peter,

    erst einmal vielen Dank für Deine ausführliche Kritik. Mir ist gerade aufgefallen, dass ich die falsche Aufnahme hochgeladen habe, So ein Mist aber auch. Mir war nämlich der Colorkey-Effekt auch zu viel und ich hatte aus diesem Grund nur das Auto gelb gelassen. Sehr wahrscheinlich hätte es aber am Effekt-Overkill nichts geändert!?

    Danke, dass Du auch einen Blick auf meine Webseite geworfen hast um mein Portfolio anzuschauen. Ich hatte diese Aufnahme (also eigentlich die Andere ohne farbigen Effekt der Statuen) aus folgendem Grund für eine Kritik ausgewählt:

    Ich wollte unbedingt eine interessante Aufnahme von dieser bekannten Brücke in Paris machen. Auf den ersten Blick hab ich die ja auch gemacht, nur ist mir nach kurzer Zeit aufgefallen, irgendetwas passt nicht zusammen.

    Jetzt bin ich schlauer, dank Deiner Kritik.

    Ja, ich muss Dir Recht geben. Ich stand an dieser Brücke und wollte diese Aufnahme als Colorkey realisieren. Das ich dabei zuviel Fototechniken vereint habe ist mir jetzt stärker bewusst geworden.

    In diesem Sinne und bis zur hoffentlich nächsten Aufnahme
    Ronny

    Antworten

Trackbacks & Pingbacks

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu Monatsrückblick: Das Beste vom April » fokussiert.com Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert