Reiner Riedler: Künstliche Ferien

Wer an grauen Tagen Sehnsucht nach einem Traumstrand hat, kann erwsatzweise auch einen Freizeitpark benutzen. Reiner Riedler hat solche künstlichen Ferienlandschaften fotografiert.

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„Faked Holidays“ – künstliche Ferien nennt der Österreicher Reiner Riedler seine über mehrere Jahre hinweg entstandene Fotoserie. Aktuell sind die Bilder in Ulm ausgestellt.

Die Tempel der Freizeitindustrie werden den Urlaubs- und Freizeitträumen nachgebildet, teils mit großem technischen Aufwand und überall auf der Welt verbreitet: Da gibt es dann Südseeinseln in Brandenburg, Indoor-Skihallen in Dubai oder Niagarafälle in China. Den Simulationen werden wiederum oft Sehnsuchtsbilder der wirklichen Orte zugrunde gelegt.

Halten die Angebote, was sie versprechen? Reiner Riedler hat sich diese Frage gestellt und fotografierte mit dem Blick des Ethnologen systematisch diese Anlagen der Freizeitindustrie. Es entstanden ironische, witzige, auch nachdenklich stimmende Bilder, die besonders dann aufmerken lassen, wenn die Inszenierung Brüche zeigt.

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Auf die Frage, warum er diese Freizeitparks fotografiert hat, sagte Reiner Riedler Geo.de:

Das Projekt fing an mit aufgeschütteten Stränden, die es mittlerweile in vielen Städten gibt. Die habe ich gesehen und mich gefragt, was es damit auf sich hat. Wir können im Westen alles haben, uns Reisen überallhin leisten, alles ist immer und überall erreichbar. Und trotzdem gibt es diese Stadtstrände. Hier reichen ein paar Ingredienzien, um ein Urlaubsgefühl zu simulieren. Das war der Ausgangspunkt. Dann habe ich zusammen mit dem Autoren Jens Lindworsky recherchiert und gemerkt, welch riesige Industrie dahinter steckt. Uns interessiert, wie man Gefühle simuliert und künstlich erzeugen kann. Wir wollen den Reiz, diesen Thrill, ein Abenteuer zu erleben, aber auch nur innerhalb eines bestimmten Rahmens. Alles Negative wollen wir weglassen.

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Im Bildband [amazon 3981234448]Fake Holidays[/amazon] (Verlag Moser, München, 2009) schreibt Autor und Herausgeber Jens Lindworsky:

Es sind genau diese kleinen Brüche, die ich auf so vielen von Reiners Bildern wieder finde, diese leisen Enttäuschungen zwischen dem, was etwas sein will, und dem, wie es sich anfühlt. An der türkischen Riviera nahe Antalya besuchen wir zwei benachbarte Hotels. Eines ist dem Istanbuler Sultanspalast Topkapi nachempfunden, das zweite stellt den Roten Platz in Moskau dar. Besonders das Kremlin Palace Resort Hotel ist mit seinem verkleinerten Nachbau der Basilius-Kathedrale auf einen Schlag bekannt geworden. Dass dieses Hotel ausgerechnet bei Russen so beliebt ist, war auch für die Hotelleitung eine Überraschung. Belma Basank aus dem Management berichtet von russischen Gästen, die selbst noch nie in Moskau waren, und die ihren Kindern hier in der Türkei die Wahrzeichen ihrer Hauptstadt „zeigen“. In Badehose und Bikini.

 

Die Sache nur negativ zu sehen, greift aber zu kurz. So zitiert Lindworsky einen Freizeitforscher:

Peter Zellmann, der Freizeitforscher, sieht auch in solchen Begegnungen viel Positives: es ist immer noch besser, die Türkei in einem Cluburlaub kennen zu lernen, als überhaupt nicht.

Es stellt sich gar die Frage, wie die künstliche Welt die wirkliche beeinflusst:

So manche Simulation könnte aber eines Tages nachträglich zur Wirklichkeit werden – subjektiv, in unserem Gehirn. Denn das Gedächtnis funktioniert keineswegs wie ein unabänderlicher Speicher, auch wenn wir das gerne glauben. Gerade wenn es um Episoden aus dem eigenen Leben geht, verändert und ergänzt das Gehirn die Erinnerungen, passt sie dem jeweils aktuellen Bedarf an Erfahrungen an. Was erinnert wird, ist wandelbar.

Junge Snowboardfahrer, die den Sommer über in der Allrounder Winterworld im nordrhein-westfälischen Neuss trainieren konnten, räumten bei manchem Air-and-Style-Nachwuchswettbewerb in den Alpen sämtliche Preise ab. Andererseits kann es auch nach hinten losgehen: Wie groß mag die Enttäuschung sein, wenn ein Gast des Hotel Venetian in Las Vegas sich zum Flug nach Italien durchringt, hier bei unklimatisierter, heißer Wetterlage mit den echten Kanälen Venedigs konfrontiert wird, die zwar das Auge erfreuen, aber die Nase beleidigen – und alle Eingeborenen sprechen Italienisch?

 

Reiner Riedler – Fake Holidays
Bis 17. April
Stadthaus Ulm, Münsterplatz 50, D-89073 Ulm
+49 (0)731-1617700, stadthaus@ulm.de
Geöffnet Montag bis Samstg 9 – 18 Uhr, Donnerstag 9 – 20 Uhr, Sonntag 11 – 18 Uhr

Reiner Riedler
Stadthaus Ulm

1 Kommentar
  1. Feylamia
    Feylamia sagte:

    „fake“ bedeutet übersetzt keinesfalls „künstlich“, viel mehr heisst es „falsch“ im Sinne von nachgemacht, geschwindelt, gefälscht, so getan als ob. :)

    Antworten

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