Robert Häusser: Fotografie und Lyrik

Robert Häusser – die Fotografien dieses Klassikers der deutschen Fotografie sehen wir aktuell in Köln zusammen mit eigens dazu verfassten Gedichten.

[textad]Definitivum_1977 © Robert Haeusser

37 bekannte Lyrikerinnen und Lyriker – darunter Wolf Biermann, Ulla Hahn, Günter Kunert oder Peter Rühmkorf – schrieben eigens Gedichte zu Bildern aus dem siebzig Jahre umfassenden Werk von Robert Häusser. Fotos und Gedichte – wie geht das zusammen?

Acker_1950 © Robert HaeusserWenn wir Gedichte als Momentaufnahmen, als Zustände oder Beobachtungen sehen, treffen sie sich in dieser Eigenschaft mit der Fotografie. Die längere Geschichte wäre in der Welt der Bilder der Film, in der Literatur der Roman, die Erzählung.

Die Fotografie hält ebenso wie das Gedicht den kurzen Moment fest, den komprimierten Zustand, die augenblickliche Stimmung.

Wolf Biermann schrieb den folgenden Text zum Bild “Acker, 1950”:

Acker
Betrachtung

Ja, gut, dieser Pflüger! Das Pferd! Schön die Furchen!
Doch Ikarus – wo ist des Dädalus übermütiger Sohn
Der aus dem Himmel stürzte ins Meer auf der Flucht
Grad über der Insel Samos, den Fischen zum Fraß. Und
Wo! ist sein Vater, der feige Mörder und Tausendkünstler
Hoch oben mit falschen Flügeln auf seiner Flugbahn?
Wo find ich den Holland-Himmel, wo Schäfer und Herde?
Und wo liegt das Messer am Feldrand? Wo find ich die Leiche:
Den Mann im Gehölz? Wo segelt die Handelskogge hinaus
Aufs Meer? Und wo hockt das Rebhuhn im Strauch am Ufer
Der genialische Perdix, den Sturz des Cousins zu genießen?
Und wo find ich in diesen endlosen Ackerfurchen den Maler
Wo Pieter Breughel – die Pinsel die Farben-Palette hält er
In seiner Rechten – mit links das Buch: Die Metamorphosen
Des Dichters Ovid. Wo steckt Poet, Wystan H. Auden
Im Musée des Beaux-Arts in Brüssel? Wo steht hier die Sonne
Tief unten am Horizont großrot? oder gelbklein im Zenit?
Ich finde sie alle! hier in diesem Acker, gemalt nur mit Licht
Es wimmelt von Menschen und Tieren, die grade nur fort sind
Herr Fotograph, ich sehe sie alle auf diesem Schwarzweißbild
Was wird mir hier wachsen in diesen Breughelschen Furchen?
Wohl Drachenzähne wie Spargel? Kartoffeln wie Köpfe im
Massengrab? Da wuchern blutige Bilder auf diesem Acker
Und schärfer seh ich so Bilder im Bild nun, die ich einst sah.

Im Dienstbotenzimmer_1960 © Robert HaeusserRobert Häusser gilt als einer der Wegbereiter der zeitgenössischen Fotografie. Er gehört zu den wenigen international anerkannten deutschen Fotografen der Nachkriegszeit, die eine unverwechselbare Handschrift entwickelt haben.

Seine Bilder wurden schon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in Galerien und Museen ausgestellt, zu einer Zeit, als die Fotografie in Deutschland noch nicht den künstlerisch autonomen Stellenwert besaß wie heute.

Günter Kunert zu “Im Dienstbotenzimmer”:

Im Dienstbotenzimmer

Aus allernächster Tiefe
hebt der Tagtraum
das unauslöschliche Bild
mit dem Signum der Sehnsucht,
der Sucht und der Suche. Aber
was niemals gefunden ward, geht
auch niemals verloren. So
betrittst du die fantasmagorische Kammer,
heimlicher und anheimelnder
als sonst ihresgleichen. Wonach
es dich stets verlangte, sie bietet dir
einen bildhaften Trost
für deine immerwährende Verlorenheit
zwischen den ärmlichen Resten
vergeblicher Tage.

Bereits als 17- und 18-jähriger schuf er 1941/42 eine Reihe von Bildern, die wegweisend waren für die Fotografie nach dem Zweiten Weltkrieg. Unbeirrt von Tagesmoden entwickelte er kontinuierlich seine Formsprache und ist im Laufe der Jahre stilbildend geworden für die Fotografie in Deutschland Für Robert Häusser ist die Fotografie ein künstlerisches Medium, bei dem Inhalt und Form sich wechselseitig bedingen. Seine Bilder fordern vom Betrachter eine kontemplative Annäherung. In der bildnerischen Interpretation einer Situation macht Häusser ein Mehr an Wirklichkeit und einen inneren Zustand sichtbar. Seine ausschließlich schwarz-weißen Fotografien sind von strenger, oft symmetrischer Komposition.

Kultstaette_2000 © Robert HaeusserFast grafisch heben sich die Hell-Dunkel-Flächen voneinander ab und verdichten sich zu einem symbolischen Ausdruck. Die Inhalte sprechen oft von Melancholie und Einsamkeit und zeigen eine geistige Verwandtschaft zu Malern wie Caspar David Friedrich, Edward Hopper und Giorgio de Chirico.

Peter Rühmkorf zum Bild “Kultstätte”:

Kultstätte

Frage mal an Sisyphos:
Welcher kommt zum Ersten.
Sisyphus – sprich Praktikus:

Leichteres als Lohn zum Schluß
logisch nach dem Schwersten.
Abwägend zwischen Stein und Stein:
Der Schwerste muß logisch der Erste sein,
dann scheint der Zweite zum guten Schluß
ein leichtes Spiel für Sisyphus.

Das Leiden seiner Familie in der Zeit des Nationalsozialismus – der Vater war im KZ – findet in vielen seiner Arbeiten einen Niederschlag.

Die Unbekannte_1982 © Robert HaeusserRobert Häusser wurde 1924 in Stuttgart geboren, erhielt eine fotografische Ausbildung und lebte von 1946 bis 1952 als Bauer auf dem Hof seiner Eltern in der Mark Brandenburg.

1953 baute er sich in der Bundesrepublik eine neue Existenz auf und fotografierte für Auftraggeber in vielen Ländern der Welt. Später gab er sein erfolgreiches Werbestudio auf, um sich nur noch seiner freien künstlerischen Arbeit zu widmen.

Zu “die Unbekannte” schrieb Ulla Hahn:

Die Unbekannte
Täuschung

Hier lebt was tot ist
auf hier heben sich die Toten
mitten ins Leben aus verwestem Stein
starrt über Marmorfalten
kein Gesicht entgegen
uns winkt kein Blick
uns wird kein Arm geboten
niemand
holt uns ein.

Robert Häussers Werk wurde mit vielen Ehrungen ausgezeichnet – an der Spitze der Hasselblad-Preis im Jahr 1995, den “Nobelpreis” in der Fotografie. Häusser lebt seit vielen Jahren in Mannheim und hat sein Werk den Reiss-Engelhorn-Museen gestiftet. Die Ausstellung in Museum für Angewandte Kunst in Köln ist eine Auswahl daraus – und mit den Gedichten zusammen doch einzigartig.

Das Buch und die Ausstellung im Kölner Museum für Angewandte Kunst haben den gleichen Titel: Ins Wort gesetzt: [amazon 3899042573]Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser[/amazon], erschienen im Verlag Edition Braus.

Ins Wort gesetzt – Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser
Bis 30. Januar 2011
Museum für Angewandte Kunst Köln, An der Rechtschule, D-50667 Köln
+49 (0)221 221 238 60, makk@stadt-koeln.de
Geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 – 17 Uhr; jeden ersten Sonntag im Monat 10 – 17 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat 11 – 22 Uhr, Montag geschlossen, sowie am 24., 25. und 31. Dezember und am 1. Januar 2011.

Robert Häusser bei Wikipedia
Museum für Angewandte Kunst Köln

1 Kommentar
  1. Sofie Dittmann
    Sofie Dittmann sagte:

    Ich habe die Ausstellung vor ein paar Jahren in Mannheim gesehen – danach war ich nach Kunstfotografie süchtig und wollte unbedingt eine Leica… Zu meinem Leidwesen muß ich gestehen, daß mich die Gedichte vollkommen kalt gelassen haben – ich war in den Fotos versunken.

    Antworten

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