Saxophonspieler im Gegenlicht: Das einsame Konzert

Ein schönes Stimmungsbild musikalischer Versunkenkeit, darüber hinaus finden noch einige Aspekte der Kontrast- und Hintergrundbehandlung Erwähnung.

Ausgangsbild

Unser Leser Ueli Bühler aus Rubigen bei Bern hat uns das obige Bild unter dem Titel „einsamer Saxophonspieler” in der Kategorie ‚Schnappschuss‘ zur Besprechung eingereicht.

Der tollen Akkustik wegen übt der Saxophonspieler einsam im Tunnel unter der Autobahn mit Bach und Fussgängersteg. Auf meinem täglichen Spaziergang hörte ich sein Spiel schon Minuten zuvor. Aber erst als ich auf meinem Weg in den Tunnel einbog, gewahrte ich die Quelle der Musik. Ich schoss schnell ein paar Bilder und genoss anschliessend ein paar Minuten sein Spiel. Nachbearbeitung mit Tiefen/Lichter, Dfine2 und Silver Efex. Schwierig war der starke Kontrast des sehr dunklen Tunnel mit dem sonnenbeschienenen Hintergrund. Mich stört der fast ausgebrannte, unruhige Hintergrund, der wohl mit einigem Aufwand noch korrigiert werden könnte.

Zur Aufnahme wurde eine Nikon D300S mit Zoomobjektiv 70.0-300.0 mm f/4.5-5.6 (Sigma, Tamron?) verwendet. Die Brennweite betrug 280,0 mm (entsprechend 420,0 mm Kleinbildäquivalent bei einem Formatfaktor von 1.5), die Belichtungsdaten waren 1/1250 Sekunde bei Blende f/5,6 und ISO 800 .

***

Betrachten wir zunächst wieder die grundsätzlichen Bildelemente.

Komposition (siehe dazu untenstehendes, gleichnamiges Bild):

Horizontal in den Goldenen Schnitt nach rechts gesetzt, vertikal das Bild zu etwa zwei Dritteln füllend und als Scherenschnitt im Profil bildet ein Saxophonspieler Zentrum und Blickfang des Bildes (rote Linie ebd.). Er ist ganz ungestört, in sein Spiel versunken.

Reizvoll ist auch die Umrahmung unseres Protagonisten mit der Brückendecke und -wand, sich fortsetzend über den Boden und das Geländer (orange Linien ebd.).

Einzelne Streben des Geländers bilden links unten Gegenpol und Abschluß und strukturieren den Raum (gelbe Linien ebd.).

Im Hintergrund geben sich schemenhaft, aber auch etwas schartig noch Zweige und Blattstrukturen zu erkennen (blaue Linien ebd.).

Die Blickführung läßt sich hier bildeinwärts in einer spiraligen Bewegung über Decke, Wand, Boden und Geländer zum Protagonisten beschreiben (violette Linie ebd.). Auch der umgekehrte Weg (vom Protagonisten ausgehend und dann bildauswärts) ist natürlich denkbar.

Tonwerte (siehe dazu untenstehendes, gleichnamiges Bild):

Das Histogramm weist einen Median von knapp 100 auf und zeigt sich angedeutet zweigipflig – mit einem Peak im Bereich der Schatten und breit belegten Mitten und gedämpften Lichtern.

Unser Protagonist liegt als Scherenschnitt in den Zonen 0 bis I, seine unmittelbare Umgebung in den Zonen I bis II (Geländer und Boden ) bzw. I bis IV (Decke und Wand), wobei trotz des geringen Sprungs von geschlossenen zu geöffneten Schatten eine ausreichende Figur-Grund-Differenzierung vorherrscht.

Deutlich setzt sich davon der Hintergrund in den Zonen III bis IX ab.

Zusammenfassung:
Ueli sprach noch seinen Kummer mit dem ’starken Kontrast des sehr dunklen Tunnels mit dem sonnenbeschienenen Hintergrund‘ und dem ‚fast ausgebrannten, unruhigen Hintergrund‘ an.Mir gefällt dieses Bild, insbesondere durch die atmosphärische Darstellung von Versunkenheit und Intimität im Augenblick des einsamen Musizierens. Der Scherenschnitt erscheint als probates Mittel, um das Bild dafür von einem Porträt- in Richtung eines Stimmungsbildes zu bewegen. Auch die Komposition mitsamt der Einrahmung und der spiraligen Blickführung unterstützt die Bildidee in guter Weise.

Zu Ersterem muß ich schon sagen, daß eine solche Belichtungssituation mit dunklem Innen- und hellem Außenraum eine enorme Herausforderung darstellt. Mildern könnte man sie eigentlich nur durch ein Hilfslicht auf den Protagonisten, doch hätte dies der Spontanität der Szene zugleich geschadet. Und ich finde diese ‚Scherenschnittlösung‘ aus dramaturgischen Gründen recht gelungen.

Zu Letzterem ist plausibel, daß er sich (über eine geringere Schärfentiefe und ein weicheres Bokeh) eine bessere Freistellung vom Hintergrund gewünscht hätte. Dies hätte den bereits vorhandenen atmosphärischen Qualitäten des Bildes gewiß noch Auftrieb gegeben. Andererseits war er sehr weit weg vom Protagonisten, wie wir an der faktischen Brennweite von 420 mm erkennen. Ein solches Heranzoomen führt immer zu einem ‚Verkürzungs- und Verdichtungseffekt des Entfernten‘ – weiteres hierzu bei Interesse in meinem Tutorial ‚Schärfentiefe‘, insbesondere die Abschnitte 4 und 5.

Ein näheres Herangehen, so die Situation dies erlaubte, wäre also ein probates Mittel gewesen …

Bildteil:

Komposition: Grundelemente

Komposition: Blickführung

Tonwerte: Histogramm und Zonenverteilung


Anmerkung der Redaktion: Thomas Brotzler arbeitet nicht mehr aktiv für fokussiert.com, aber er hat einige fertige Kritiken hinterlassen. Die möchten wir Euch nicht vorenthalten; eine Diskussion kann jedenfalls entstehen, und Thomas ist als Gast immer wieder zugegen.

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