Schneediamanten: Bokeh sei mit Dir

Es ist schwierig, die optischen Effekte, die unsere Umwelt so reich machen, bewusst wahrzunehmen – und zu fotografieren. Es ist noch schwieriger, die technischen Mittel voll auszuschöpfen, um sie als Motiv zu betonen. Die Belohnung sind aussergewöhnliche Fotos.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Carola Gregersen).

Kommentar der Fotografin:

Klövsjö, Schweden, im Januar 2009. Der unberührte Schnee faszinierte mich ungemein, und die Sonnenstrahlen liessen tausende von Diamanten im Schnee glitzern. Einfach toll, finde ich. (exif: F8, 1/250 sek. ISO 100, Focal length 60 mm) Sony alpha200, Kitobjektiv 18-70.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Carola Gregersen:

Das Diamantenfeld abzubilden, ist Dir jedenfalls gut gelungen – und das ist keine Selbstverständlichkeit, denn häufig sind grade solche Lichteffekte in ihrer subjektiven Wahrnehmen sehr schwer wirkungsvoll in einer Fotografie umzusetzen.

Aber, und daran muss ich mich auch immer wieder selber erinnern:

Das umgekehrt gilt auch!

Was soll das denn jetzt heissen?

Die Kamera sieht Dinge, die Du mit dem Auge nicht so siehst (das heisst, nicht so wahrnimmst). Weil diese Effekte durchaus unserem Sehen entsprechen, aber von uns nicht bewusst wahrgenommen werden, bis sie in einer Fotografie kopiert werden und so in den Vordergrund drängen, haben sie eine starke Wirkung. Der Unschärfebereich ist so ein Effekt: auch unser Auge fokussiert und lässt Hinter- oder Vordergründe verschwimmen, aber unser Hirn blendet diesen Teil des Blickfelds fast ganz aus.

Ein anderes Beispiel dafür sind die Veränderungen, die Lichtquellen im Unschärfe-Bereich einer Fotografie mit offener Blende erfahren: Sie werden zu grossen Flecken, wo in der Schärfe nur ein kleiner, aber sehr heller Punkt zu sehen ist. Beliebt ist der Effekt für Porträtbilder im städtischen Umfeld bei Dämmerlicht – das Glitzern der Stadt im Hintergrund, sozusagen.

Diese Flecke sehen, je nach Qualität des Objektivs, kreisrund oder mehreckig aus – Je besser die Bauart des Objektivs (Lamellen der Blende etc), desto natürlicher muten diese Unschärfe-Zeichnungen an.

Die Rede ist hier von „Bokeh“ oder „Boke“, einem Begriff, der aus dem japanischen („unscharf“) stammt und die Anmutung der Unschärfezeichnung einer Aufnahme respektive eines Objektivs bezeichnet. Weil der Unschärfekreis einer Aufnahme die Form der Eintrittsöffnung (Blende, Pupille) annimmt, kann man davon ausgehen, dass Blenden mit wenigen Lamellen weniger runde Zeichnung haben als das menschliche Auge.

Wozu dieser Diskurs in die Fototechnik? Weil Du grade bei Aufnahmen wie dieser mit dem Bokeh operieren kannst. Die Milliarden von Diamanten in deinem Bild kämen noch viel schöner zur Geltung, wenn es gelänge, sie auf eine grössere Distanz in allen Schärfebereichen der Aufnahme abzulichten. Ansatzweise ist der Effekt hier schon sichtbar, weil aber die Schneeverwehung, die Dein Hauptmotiv war, eine Kuppe ist, geht die Abbildung der Glitzerkristalle zu wenig in die Tiefe.

Durch die Nähe des Motivs hat sich hier trotz einer moderaten Tele-Brennweite von 60mm (90mm Kleinbild) bei einer relativ geschlossenen Blende eine geringe Tiefenschärfe ergeben, was für Deinen Zweck ideal ist, in der reinen Landschaftsfotografie aber eigentlich zu vermeiden wäre (noch weiter geschlossene Blende ergäbe mehr Detail im Hintergrund).

Den Hintergrund finde ich gut gewählt, in der Komposition aber schlecht platziert. Zum einen stört mich die Mittung, zum andern die abgeschnittene Baumkrone. Achte auch auf die vertikale Einteilung. Mir fällt derzeit grade überall die Zweiteilung der Bilder durch den „Horizont“ auf – irgendwie tendieren wir dazu, die Welt in zwei gleiche Teile „Erde“ und „Himmel“ aufzuteilen, was in Fotos schnell langweilig wirkt.

Mein Tipp hier wäre: Deutlich weiter nach links gehen, etwas mehr gegen die Sonne fotografieren; dabei versuchen, die Hütte im Hintergrund besser und ganz zu positionieren, zugleich aber den „Horizont“ nach oben zu verschieben und damit mehr vom kristallglitzernden Schneefeld gerafft in grösserer Tiefe ins Bild zu kriegen, wenn immer möglich so, dass grosse Teile davon vor dem dunklen Hintergrund des Gebäudes und des Schattenhangs liegen, was das Glitzern weiter betont (die umgekehrte Version mit mehr Himmel wäre einen zweiten Versuch wert).

Ich hätte dabei ausserdem mit einer Belichtungsreihe mit verschiedenen Blenden (sehr viel weiter offen und deutlich geschlossen) experimentiert.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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1 Kommentar
  1. Carola Gregersen
    Carola Gregersen sagte:

    Hallo Peter.
    Vielen Dank für deine Kommentare. Ich bekomme Lust, sofort wieder nach Klövjö zu fahren. Aber so viel Schnee wird dort nicht mehr sein. Der halbe Baum wurde mir schon woanders kommentiert. Ich muss eingestehen, dass ich (als DSLR Anfänger) nur das eine Bild mit der einen Einstellung gemacht habe. Aber ich werde mich sofort über das Original stürzen und sehen was mit einem anderen Beschnitt gemacht werden kann. Zukünftig werde ich daran denken müssen, mit verschiedenen Einstellungen zu arbeiten.
    Grüsse aus Dänemark
    Carola

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