Schwarzweiss-Fotografie mehrschichtig: Fensterausblick

Eine einfache Szenerie, die unglaublich viel in sich verborgen hält und dem Blick ganze Geschichten erzählt. Die strenge Geometrie dient hier als raffinierter Blickfang.

Strenge Geometrie im fesnter. © Hans Georg Sandforth

© Hans Georg Sandforth

Hans Georg Sandforth aus Rietberg schreibt: Das Photo wurde mit einer Canon EOS D5 II aufgenommen; ISO 10’000, Brennweite 50 mm, Blende 2,8, Zeit 1/320 sek. Mit Photoshop bearbeitet und in S/W konvertiert.
Interessiert haben mich die graphische Strenge des Motivs, unterstrichen durch die Tristesse des Wintertages.

Das hätte ja vielleicht in unser Fotobuch gepasst… Doppelt gesehen, oder dreifach. Was in einem Bild alles stecken kann!

Viel wissen wir nicht, um nicht zu sagen: Wir wissen nichts über dieses Bild. Fragt sich, ob man etwas wissen muss.

Es ist eine Schwarz-Weiss-Fotografie, die ein Fenster von innen zeigt. Weniger den Blick durch ein Fenster als eben das Fenster selbst, plus links ein Stück Wand mit davor herabhängender  Stoffgardine, und vor dem linken Flügel des hohen, im oberen Drittel mit einem Kreuz unterteilten Fensters die Hälse zweier Bügel-Bierflaschen.

Der Blick durch das Fenster zeigt an der gegenüberliegenden Hauswand vier weitere, ebenfalls mit Kreuz in zwei Drittel/ein Drittel aufgeteilte Fenster: Jedes davon kommt streng geometrisch in einem Quadrat innerhalb des Kreuzes des Fensters, durch das wir blicken, zu liegen. Links darin ist eine vertikale Regenrinne zu erkennen. An der Scheibe unseres Fensters sind schräg verlaufende Regentropfen  zu sehen. Die einfachen Dreh-Fenstergriffe im Innern sind beide nicht in der Waagerechten, sondern leicht nach links oben verdreht.

[premiumkritik]

Zur Technik ist hier sicher die enorm hohe Empfindlichkeit von 10’000 ISO zu erwähnen, so es sich denn dabei nicht um einen Vertipper handelt – was ich aufgrund des Rauschens im Bild aber eigentlich nicht annehme. Letzteres wirkt hier sehr passend wie grobes Korn eines empfindlichen Films und fügt sich in die Gesamtwirkung positiv ein.

Die sehr weit geöffnete Blende sorgt für ein leichtes Verschwimmen der fernen Fenster und sorgt zugleich für eine durchwegs ideale Belichtung des Innen- und des Aussenraums. Das Schräg von rechts einfallende Licht sorgt für das genau richtige mass an Beleuchtung in der Gardine und dem linken Fensterrahmen, so dass diese vertikalen Linien in der linken Bildhälfte bis nicht ganz zuoberst für einen spannenden Blickfang sorgen.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass in diesem Stillleben ganz schön viel los ist, und zwar auch oder gerade an der Peripherie. Die Fotografie hat zwei Ebenen: Eine geometrische, die mit der Aufteilung der Fensterlinien und dem Spiel mit dem Blick durch ein Fenster auf vier Fenster draussen spielt.

Und eine zweite, die mit den Details im Raum und draussen vor der Fensterscheibe operiert, den Blick über die Gardinen, die Bierflaschen, die Fenstergriffe auf die Regenspuren an der Scheibe führt. Es entstehen ganze Geschichten über einen melancholischen Regen-Nachmittag, mit Bier (oder Holundersirup von Tante Gerda…), nicht ganz geschlossenen Fenstern und einem Knick in der Gardine links oben.

In einem dritten Reflex wandert der Blick zurück auf die Fenster draussen an der gegenüberliegenden Hauswand, die uns durch die Schärfen-Untiefe leicht vorenthalten werden und von denen ich jederzeit erwarte, dass sie vom Kameramann mit einem Dreh an der Linse in die Schärfe geholt werden und sich die Action entspannen kann: Kino im Kopf in einem Stilleben der ruhigen Sorte –und zwar ganz grosses Kino.

Grade haben wir den Blick aus einer Hütte eines Beduinen in die Wüste mit einem Sandsturm diskutiert und dabei die Vorzüge von Farbe und Schwarz-Weiss wieder einmal diskutiert. Ich getraue mich deswegen hier darauf hinzuweisen, dass das Lichtspiel in den Linien und den verschiedenen Details viel besser zur Geltung kommt, als wenn verschiedene Farben wie grüne Bierflaschen, Messing und allenfalls der braune Verputz des Gebäudes gegenüber die Aufmerksamkeit auf sich lenken.

Fenstergeometrie Schwarz Weiss

Ohne weisse Lücke

Femstergeometrie Schwarz Weiss

Mit Fensterrahmen rechts

Das einzige, über das ich mir hier nicht ganz sicher bin und gerne auf die hoffentlich einsetzende Diskussion verweise, ist das Abschneiden der rechten Fensterseite. Ich vermeide es grundsätzlich, gerade Linien und rechte Winkel schön säuberlich in die Kanten und Ecken des Bildausschnitts zu legen: Ich bin der Ansicht, das wirkt zu schnell gekünstelt, und es würde hier die Gewichtung der linken Bildhälfte, die uns im Raum hält, entgegen wirken.

Aber trotzdem mutet das Fenster hier bei längerer Betrachtung irgendwie amputiert an, wie wenn es, doch immerhin der Hauptdarsteller in diesem Panoptikum an Geschichten eines Tages, nicht richtig in die Komposition aufgenommen worden wäre.

Ich hätte ausserdem möglicherweise versucht, die weisse Linie über den Fenstern an der gegenüberliegenden Hauswand aus dem Ausschnitt zu bugsieren, indem ich den Standort in unserem Zimmer versuchsweise erhöht hätte. Eine grobe Montage simuliert diese Ansicht, die ein klein wenig Komplexität aus dem Original reduziert und die grafische Wirkung verstärken könnte.

Wenn das denn nötig und möglich ist, darf man sagen.

5 Kommentare
  1. Hans Georg Sandforth
    Hans Georg Sandforth sagte:

    Lieber Peter, vielen Dank für die kritische Bildanalyse, die mir
    den Blick auf mögliche Kompositionsfehler und Verbesserungsmöglichkeiten
    geöffnet hat.
    Zunächst: Ich habe mich vertippt, das Bild wurde mit ISO 1000 und nicht 10 000
    aufgenommen. Ich musste bei schlechten Lichtverhältnissen „aus der Hand“
    photographieren, hatte kein Stativ dabei. Die Unschärfe des Hintergrunds (Fenster
    auf der anderen Strassenseite) habe ich allerdings bewusst gewählt und mich für
    die kleine Blende entschieden. Der Hintergrund wirkt so etwas „malerischer“.
    Des Weiteren: Die Beschneidung des rechten Bildrandes, die Du zu Recht
    hinterfragst, ergab sich für mich aus den Gegebenheiten des Motivs. Zur
    Veranschaulichung habe ich eine Abbildung des Originalbildes hochgeladen.
    Auf dem Original waren rechts weitere Anteile der Fenstergardine zu sehen, die auch den
    rechten Fensterrahmenanteil verdeckten. Für meine Begriffe hätte ich dem Bild
    zu viel Spannung genommen, wenn ich diesen Gardinenteil mit einbezogen hätte.
    Dass ich zudem die hinter dem vorderen Fenster zu sehenden Pflanzen und Zweige
    sowie die gegenüberliegende Wand unten rechts mit dem Stempelwerkzeug bearbeitet
    und die unteren Wandanteile damit monochrom gemacht habe, mag für einen
    puristischen Photographen zu weit gehen; ich halte diese Technik der Bildbearbeitung,
    natürlich abhängig vom Motiv, jedoch für legitim. Sie dient der Abstraktion und somit einer
    Verdeutlichung der Bildaussage.
    Deine Bearbeitung des Bildes (mit der Komplettierung des Fensterrahmens) wäre eine
    auch für mich einleuchtende Möglichkeit gewesen. Leider war ich zum Zeitpunkt der
    Aufnahme zu blöd, diese Gardine einfach beiseite zu schieben: Dann muss man
    eben sehen, was man aus dem nun entstandenen Photo noch machen kann…
    Herzlichen Dank an Dich und alle Kommentatoren.
    Hans Georg

    Antworten
    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Danke für diesen Upload – das ist sehr erhellend. Nach meinen Manipulationsversuchen kann ich ja schlecht sagen, dass Deine Eingriffe nicht zulässig sein sollten. Ich finde, Du hast genau die richtigen Griffe angewandt.

  2. Werner
    Werner sagte:

    Ich bin mir nicht sicher, ob durch die Zufügung des rechten Fensterrahmens (Variante „MIT FENSTERRAHMEN RECHTS“) die Perspektive hier noch stimmt. Es sieht für mich so aus, als ob das Bild etwas von rechts nach links aufgenommen wurde und aus Gründen der Symmetrie der gegenüberliegenden Fenster zum Mittelrahmen des Vordergrundfensters dieses nicht komplett einbezogen werden konnte. Mein Favorit ist deshalb: „OHNE WEISSE LÜCKE“. Gruß Werner

    Antworten
    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Die Idee dieser kruden Bearbeitungen ist natürlich keineswegs, dass sie die Bildbearbeitung sein sollen, es geht nur darum, das visuelle Konzept aufzuzeigen. Der rechte Fensterrahmen hier ist der Linke, gespiegelt und eingefügt, das geht natürlich gar nicht, der ist so ja auch falsch beleuchtet.

  3. Michael Gündling
    Michael Gündling sagte:

    Ich bewundere dieses Bild, die strenge Geometrie, die durchbrochen wird z.B. durch den Vorhang und den beiden Flaschen. Und tatsächlich: Das Bild ist der RAHMEN und damit das Bühnenbild für Geschichten, die im Kopf statt finden. Toll.

    Ich muss zugeben, dass ich Peters Besprechung und insbesondere seine beiden Verbesserungsvorschläge stimmig finde. Damit wird die Geometrie noch vollkommener gemacht, ohne dass die Leichtigkeit durch Vorhang/Flaschen gestört wird.

    Aber ich bin in den Genuss einer tollen Fotografie gekommen und habe wieder etwas gelernt! Danke!

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