Seilspringen in Nepal: Glaubwürdig perfekt

Diese Strassenfotografie ist in absolut jeder Hinsicht eine gelungene Aufnahme. Minimale Imperfektion macht sie glaubwürdig. Und wenn man dann weiss, wie es entstanden ist…

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Panasonic G70/G7, Voitgländer Nokton 25mm (manuelle Festbrennweite), f/1.4, 1/320s, ISO 200. © Alexander Schulz

 

Alexander Schulz aus Dresden: Dieses Bild entstand im April 2016 in Bhaktapur, Nepal. Während einer zweiwöchigen Reise war ich immer wieder über die Freundlichkeit, die Neugier und die Lebensfreude in diesem einem der ärmsten Länder der Erde erstaunt. Während eines Spaziergang durchs durch ein schweres Erdbeben stark zugerichtete Bhaktapur sah ich plötzlich die beiden Mädchen abwechselnd Seilspringen, zückte meine Kamera und machte dieses Foto.

Mal abgesehen davon, dass ich überrascht war, die Schärfe mit meinem manuellen Objektiv halbwegs getroffen haben, gefallen mir Bewegung, Kadrierung, die Geometrie durch das Haus im Hintergrund und vor allem der etwas neidische Blick des wartenden Mädchens außerordentlich gut. Egal wo man auf der Welt ist, Kinder gleichen sich in ihren Freuden und Bedürfnissen doch sehr.

 

Das [amazon B0046EC1OE]Voigtländer Nokton 25mm f/0.95 (der Lichtriese) ist nicht gerade ein Objektiv für Point-And-Shooter, sondern für Fotografen, die wissen, was sie wollen. Und auf der [amazonna B010G2AI08]Panasonic G7[/amazonna] hat Dir dieses Objektiv hier wirklich einen Volltreffer gebracht. ich fange die Woche gerne mit solchen Fotografien an…

Wir sehen zwei Mädchen in einer Gasse in einer offensichtlich fernöstlichen Stadt. Im Vordergrund dieser Farbfotografie ist das eine Mädchen im höchsten Punkt eines Seilsprungs eingefangen, die Füsse mit pinken Flipflops nach hinten gebogen, das in der Bewegungsunschärfe unter ihm durchschwingende Seil an drei Stellen mit Knoten versehen. Der Blickwinkel des Fotografen von rechts vorne fühlt sich sehr natürlich an, im Hintergrund ist das zweite, dunkelhäutigere Mädchen zu sehen, das auf dem Bordstein an der Hauskante vor einer in den linken Bildteil aus laufenden Zeile von fünf gleichförmigen Holztüren sitzt. Die Strasse besteht aus in Fischgräten gelegten Backsteinen und ist am rechten Bildrand mit Unrat übersät. In der Hauswand über den Türen sind drei Fenster/Balkontüren in weiss, alle geschlossen, zu sehen.

Zur Technik kann ich hier fast genauso nur gratulieren wie zum ganzen Bild. Mir fällt als erstes das unglaublich weiche, alles umspülende Licht auf, das hier selbst die im Schatten unter dem Mädchen liegenden Füsse zeigt, und zusammen mit der geringen Schärfentiefe (wir sehen hier ein 25mm-Bild, KB-äquivalent 50mm, bei Blende 1.4) und der Unschärfe der Bewegung für eine Räumlichkeit sorgt, die schon fast 3D-Charakter hat. Und das ist erst der Anfang.

[bildkritik]

Ich finde, Du hast die Schärfe genau getroffen. Zwar ist das Gesicht des Mädchens ganz leicht verschwommen, aber ich denke, das ist Bewegungsunschärfe, den Augen und Nase liegen ziemlich genau in der Ebene des Rocks, der gestochen scharf ist. Das ist in Kauf zu nehmen, denn Du hast mit der verhältnismässig langen Belichtungszeit von 1/320 Sekunde (ISO 200) eben diese Bewegung ins Bild gebracht, die einen guten Teil zur Perfektion beiträgt: Ich finde deshalb, diese „Imperfektion“ gereicht dem Bild zur Perfektion, weil es an Glaubwürdigkeit gewinnt. Dazu gehört auch die Unschärfe, die das Objektiv in den Bildecken entwickelt.

Ich gehe mit Dir einig: Abgesehen von der technischen Perfektion gefällt die Szene inklusive der Tatsache, dass Du nicht in das Bild einbezogen, sprich von einem der Mädchen angesehen wirst; die perfekte Komposition, die Dich ebenfalls wie einen unsichtbaren Beobachter, aber in den Bann der beiden Freundinnen bringt; die perspektivisch nach links weglaufenden Linien und der Negativraum vor dem springenden Mädchen, der ihm Platz schafft.

Letztlich sorgt der Müll in der Strasse vorne rechts für die inhaltliche Glaubwürdigkeit, wie die leichte Unschärfe im Gesicht für die technische: Diese Fotografie ist dermassen stark, hat eine solche Lebendigkeit und emotionale Kraft, dass man sie fast für eine Konstruktion halten könnte, wenn sie gänzlich perfekt wäre, also für eine bis ins letzte Detail gestellte Szene oder sogar ein fotorealistisches Konstrukt.

Nepal goldener schnitt

Die leicht entsättigten Farben passen ebenfalls in die Szenerie und den insgesamt überaus weichen und doch so lebendigen Look der Fotografie. Ich habe, weil die Diskussion darüber erfahrungsgemäss aufbrechen wird, eine Schwarz-Weiss-Version dazugestellt, favorisiere aber den leicht pastellenen Rotton in der von Dir produzierten entsättigten Version.

Alles in allem ein Bild, das mich nach einem Äquivalent für dieses Objektiv für Vollformat-Sensorkameras recherchieren lässt – dabei ist der grösste Wert natürlich hier der Szene und der grossartigen Umsetzung durch den Fotografen zu verdanken.

nepalspringendekinder

Wenn ich unbedingt muss, bringe ich einen einzigen Vorschlag an, was vielleicht noch eine Verbesserung hätte sein können: Wenn die Türe rechts nicht auf den letzten Zacken angeschnitten, sondern noch ganz im Bildausschnitt wäre, könnte ich mir vorstellen… andrerseits: Vielleicht braucht es zur einzigen inhaltlichen und technischen „Unreinheit“ auch noch eine in der Komposition, um die Glaubwürdigkeit zu wahren. Das Bild ist ganz einfach grossartig, und Gott sei dank nicht bis ins allerletzte Detail perfekt, es würde schon fast kippen.  Ich sage nur: herzlichen Glückwunsch!

12 Kommentare
  1. Carsten Schröder
    Carsten Schröder sagte:

    Glückwunsch zu dem tollen Bild. Es zieht meinen Blick magisch an und fesselt ihn zunächst an dem seilspringenden Mädchen. Insgesamt, meiner Meinung nach, ein perfektes Foto, vor allem vom Motiv, aber auch von der Bildgestaltung und der Farbgebung.
    Ich bin auch der Meinung, dass das Bild von dem Schärfe-/Unschärfespiel und den Farben lebt!

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  2. Matthias Bäuml
    Matthias Bäuml sagte:

    Zwei Dinge vorweg: Großartiges Bild! Und: Die Bildbesprechung von Peter Sennhauser ist sehr gut und bringt es inhaltlich und sachlich auf den Punkt.
    Zur Frage Schwarz/Weiß oder Farbe: Persönlich gefallen mir fast immer Schwarz/Weiß Varianten besser. Aber bei diesem Bild nicht. Dem Bild geht einfach was verloren und zwar für meine Begriffe von der Aussage.
    Wenn man den Kontext betrachtet (sehr armes Land + von Erdbeben zugerichtetes Gebiet) dann ist das Bild positiv und erfrischend. Viele Fotografen hätten sich wahrscheinlich auf die reißerischen aber negativen Aspekte gestürzt. Hier wird aber bewusst das Positive und Schöne hervorgehoben. Und das wird für mich durch die Warmen Farben unterstrichen. Im Kontext einer Schwarz/Weiß Bilder Serie könnte ich mir dieses Bild as Farbtupfer vorstellen.
    An der Stelle auch Lob für das Post-Processing. Gute entsättigte aber kräftige Farben. Gefällt mir.

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  3. Stefan Jeschke
    Stefan Jeschke sagte:

    Jetzt habe ich ueber 10 Minuten lang was zu dem Bild geschrieben, eine Datei angehaengt die groesser ist als 2MB und ich darf nun von komplett vorne anfangen.. I’m not amused! :-(
    Also in aller Kuerze (hab keine Zeit das alles nochmal zu tippern):
    – Das Bild ist wirklich toll: eine naiv-vertraeumte Kindheitszsene einer scheinbar einfacheren Welt, wem geht das nicht das Herz auf?
    – SW Umsetzung taugt hier fuer mich gar nicht, die Farben passen perfekt in diese Region der Welt.
    – Ecke links unten koennte man abdunkeln damit der Blick nach unten abgebremst wird / nicht aus dem Bild faellt, aber das nimmt irgendwie die Leichtigkeit die zum Springseil passt
    – Hauptakteure sind beide Kids. Der Kontrast Ruhe vs. Bewegung gibt dem Bild eine (weitere) interessante Komponente. Angehaengt ein Bild wo ich jeweils ein Kind geloescht habe, es verliert fuer mich in jedem Falle..
    Gratuliere zu diesem schoenen Bild.

    Viele Gruesse,
    Stefan

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    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Lieber Stefan, danke, dass Du drangeblieben bist! Bei manchen Browsern hilft ein BACK-Knopf drücken, aber nicht bei allen. Und Dein Kommentar ist auch in dieser kurzern Form sehr willkommen!

    • Stefan Jeschke
      Stefan Jeschke sagte:

      Danke Peter, ich hab mich schon wieder abgeregt.. ;-)
      (Bei meinem Firefox half der back button leider nichts.)

    • Tilman
      Tilman sagte:

      Super, Stefan. Wirklich interessant, das Bild mit jeweils nur einem Mädchen zu sehen. Das für mich das rechte Mädchen so wichtig ist, hat sicher was mit der Komposition und der Leserichtung zu tun… ☺ Mir fällt aber auch auf, dass dieses Mädchen sich harmonisch in das Bild fügt, die Seilspringerin wirkt wie rein kopiert. Also, für nicht nur ein interessantes Detail, sondern eine wichtige Komponente des Bildes. MfG, Tilman

    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Die beiden Bilder sind wirklich genial erhellend. Sie zeigen das Blickführungs-Dreieck zwischen Mädchen 1, Gasse und Mädchen 2 unmissverständlich auf. Tolle Technik, muss ich mir für weitere Besprechungen merken!

  4. Alex
    Alex sagte:

    Hallo, hier ist der Fotograf des Seilspringen-Fotos. Vielen Dank für die überaus positive und ausführliche Kritik! Ich hatte übrigens die selben Gedankengänge wie du: erst dachte ich, die angeschnittene Tür und der Müll rechts im Bild stören. Dann wurde mir aber klar, dass das Bild ohne zu perfekt, zu steril aussehen würde. Immerhin sind wir in Nepal, außerdem geht es um Streetfotografie, die in meinen Augen die Lebensverhältnisse abbilden soll und nicht um ein entrücktes Kunstprojekt. Schön, dass du es genauso siehst Peter!

    Wenn du übrigens ein Vollformatäquivalent zum Nokton 25mm finden solltest, bitte gib mir Bescheid! Ich schau mich diesbezüglich schon lange um, hab aber nix gefunden was dem Nahe kommt. Im Moment ist das Nokton der einzige Grund, warum ich noch bei MFT bleibe… Das Bokeh ist ein Traum, die Lichtstärke sowieso und es verleiht den Bildern eine Weichheit und arbeitet mit den Farben, wie man es sonst nur von bestimmten Cineobjektiven kennt. Der Preis dafür ist dann allerdings die manuelle Schärfe…

    @Tilman:
    Danke auch für deine Worte! Das Mädchen rechts sehe ich aber nicht als Hauptperson. Es ist dunkel, unscharf, klein und deutlich im Hintergrund. Für mich ist es eher ein interessantes Detail welches man erst richtig wahrnimmt, wenn man sich an der Seilspringerin „sattgesehen“ hat. Ich glaube, das Bild hätte viel seiner fast antiken Wirkung verloren, wenn alles scharf gewesen wäre und es dadurch einen digitalen Look bekommen hätte.

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  5. Tilman
    Tilman sagte:

    Hallo, erst ein mal herzlichen Glückwunsch zu diesem Bild, Alexander. Ich kann mich dem Lob von Peter – danke für Deine Kritik – nur anschließen. Eine kleine Kritik habe ich aber… Ich finde die Bewegungsunschärfe nicht bedeutend. Das Seil sieht super aus… und das Gesicht ist nur minimal unscharf. Die Hauptperson in dem Bild ist für mich jedoch das Mädchen rechts. Dort wandert mein Blick automatisch hin. Hier jedoch bemerke ich ein Unschärfe, die durch die kleine Schärfentiefe von ~50cm (Gegenstandsweite 300cm geschätzt) bei Blende 1.4 kommt. Mit freundlichen Grüßen, Tilman

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    • Mark Piontek
      Mark Piontek sagte:

      Sehr gelungenes Bild!

      Für mich ist die Hauptperson im Bild ganz klar das linke Mädchen. Das zweite Mädchen ist wichtig im Bild, keine Frage.

      Die Schwarzweiß-Umwandlung funktioniert für mich nicht so richtig. Vermutlich liegt das daran, dass sich die Seilspringerin nicht ausreichend vom Hintergrund abhebt. Da die Kleidung und die Backsteine im roten Bereich liegen, hilft da auch kein Farbfilter.

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