Spiegelbild: Täuschung durch Sehfehler

Vermeintliche „Bildfehler“ ergeben bisweilen spannende Fotografien. Das kann eine Spiegelung ebenso sein wie ein falsch eingesetztes Objektiv.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Erich Werner).

Kommentar des Fotografen:

Durchs Fenster im Luidpoldpavilion in Neustadt a.d. Aisch fotografiert – im Sommer ein Jugendtreff im Winter eingemottet und verschlossen. Leider (oder zufällig) war das Fenstergitter eng und weit weg von der Scheibe und es kam die faszinierende Spiegelung zum Vorschein. Es erscheint so, als wäre man weder drinnen noch draußen. – Keine Montage

Peter Sennhauser meint zum Bild von Erich Werner:

Wir blicken in dieser Farbfotografie von aussen in einen Gartenpavillon, vielleicht aus der Jahrhundertwende. In dem Raum mit Kerzenleuchtern und Schwarz-Weissem Plattenboden stehen zwei Stapel Plastik-Gartenstühle, die hier nicht wirklich hineinpassen; am rechten Bildrand mischt sich der Blick in den raum mit einer Spiegelung der verschneiten Aussenwelt.

Fotografien, sagt unser Hirn, sind Abbilder der Realität – oder dessen, was wir gemeinhin für Realität halten. Dass die Kamera anders sieht als unser Auge, oder vielmehr eben unser Hirn, kann einerseits für Bilder verwandt werden, die wir so noch nicht gesehen haben und nie in der „Realität“ sehen werden:

wie Sternspuren und andere Langzeitbelichtungen.

Der Umstand gereicht den Fotografen bisweilen aber auch zum Nachteil, beispielsweise bei den Kontrastumfängen, die ein Sensor nicht so erfassen kann wie unser Auge, weshalb die HDR-Technik zu Hilfe genommen werden muss.

Und dann gibt es Anblicke, welche die Kamera liefert, weil sie gnadenlos „realitätsnah“ bleibt und einfach das Licht so abbildet, wie es eben grade in die Kamera einfällt. Das menschliche Sehen würde daraus gelegentlich etwas anderes machen, ineinander vermischte Bilder wie Spiegelungen oder Tiefenunterschiede auflösen. Das führt unter anderem auch dazu, dass unser Hirn inzwischen weiss, welche Schärfentiefenebenen bei welchen Grössenverhältnissen von Objekten zum Tragen kommen – was dazu führt, dass Fake Tilt Shift uns in Bildern und Videos vorgaukeln kann, etwas viel kleineres zu betrachten als es in Wirklichkeit ist: Das ist eine rein erworbene und keine natürliche Funktion unseres Hirns.

Du hast hier einen solchen Aspekt der Fotografie bemerkt und für Deine Aufnahme genutzt, der im menschlichen Blick ebenfalls kaum so aufgenommen würde, wie er es im Ausschnitt der Fotografie tut. Es entsteht eine Mischung aus Spiegelung und Motiv, die wir nur deshalb nicht sofort als solche erkennen, weil der Ausschnitt der Fotografie uns nicht alles zeigt und dem Hirn nicht die Anhaltspunkte liefert, die es in der Realität zur Auflösung des Rätsels hätte und anwenden würde.

Man kann diesen spannenden Effekt auch mit noch mehr Technik auf die Spitze treiben, wie es der Schweizer Fotograf Hans Jörg Walter (mein Arbeitskollege) mit dem iPhone und einer Panorama-Software getan hat – mit ähnlichen, aber noch weiterführenden Resultaten als hier in Deinem Bild.

In der Rubrik „Bildkritik“ analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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1 Kommentar
  1. Erich
    Erich sagte:

    Ganz herzlichen Dank für die ausführliche Bildbesprechung und vor allem für die Links, die mir bei den nächsten Aufnahmen dieser Art bestimmt hilfreich sein werden.

    Viele Grüße
    Erich

    Antworten

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