Spiegelung: Mehr Gewicht

Ein quadratisches Bildformat eignet sich für totale Symmetrie – oder eben klassische Goldene Schnitte. Irgendwo dazwischen wird’s schnell schwierig.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Mario Baronchelli). Scan ab Mittelformatfoto

Kommentar des Fotografen:

Das Bild wurde mit einer (analogen) yashica 124 mat mittelformat-kamera aufgenommen und enthält darum auch keine exif daten. zeit und blende weiss ich leider nicht mehr, brennweite ist standard 80mm, film ilford 400iso. leider ist durch die verkleinerung die körnung ein bisschen untergegangen.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Mario Baronchelli:

Bäume am Wasser bieten eine beinahe unerschöpfliche Fülle an Variationen des Themas „Spiegelung“. In Schwarz/Weiss wirkt sie meist schon durch die klaren Linien der Stämme und den Bruch in der Wasseroberfläche.

Marios Bild ist eines der ersten, die auf fokussiert.com eingereicht wurden, und es ist bis jetzt „liegengeblieben“. Ich habe es oft angesehen und mich gefragt, warum es mich nicht zu fesseln vermag:

Die Baumreihe hat einen tollen Stamm-Rhythmus, die Wasseroberfläche einen wunderbaren Verlauf ins Dunkle, das Flüsschen eine elegant nach rechts geschwungene Linie – und trotzdem blicke ich hin und bald wieder weg. Was ist los?

Ich sehe zwei Gründe. Der erste und harmlosesere, über den ich mich aber in so vielen Bildern wundere, ist der schiefe Horizont. Er ist so leicht zu korrigieren und im Bild so unauffällig – und stört so gewaltig. Hier neigt er sich nur ein Grad nach links. Genug, um das Bild aus der Balance zu werfen, ohne dass auf den ersten Blick klar ist, warum.

Der Horizont ist namentlich in Landschaftsfotografien eine der stärksten Linien, ganz besonders dann, wenn es sich um eine Gerade handelt, etwa eine Wasseroberfläche. Das ist hier zwar nicht der Fall, und man könnte argumentieren, das Gelände steige leicht nach rechts an – aber ich vertraue meinem natürlichen Empfinden, und das stört sich an der Neigung. Irgendwas in meinem Kopf scheint zu wissen, dass der Horizont gerade sein müsste.

Der zentrale Punkt liegt in der Bildaufteilung. Hier kommt eine zweite Linie – das dunkle, gegenüberliegende Ufer des Flüsschens – ins Spiel, die dominanter ist als der Horizont, aber unter dessen Neigung leidet. Vor allem aber liegt sie fast in der Bildmitte, und zwar vertikal genauso wie horizontal.

Ich kann sehen, weshalb das so ist: Du wolltest den hellen Schwung des Flüsschens rechts im Bild haben. Er ist in der Tat elegant.

Aber meiner Ansicht nach wäre er ein eigenes Bild. Will heissen: Du bist einen Kompromiss zwischen Spiegelung und Flussverlauf als Hauptmotiv eingegangen. Das stört mich. Und zwar grade darum, weil es sich um ein quadratisches Bildformat handelt: Die Kantensymmetrie lässt mich eins von zwei Dingen erwarten – eine inhaltlich ebenso starke Symmetrie, oder einen ganz deutlichen Schwerpunkt im Bild. Hier spüre ich nicht, ob jetzt die Spiegelung und das Stakkato der Baumstämme in der Horizontalen dein Motiv war oder aber die geschwungene Linie des Flüsschens. Beides zusammen ist nach meinem Empfinden in einem Quadrat zu viel. Es könnte in einem rechteckigen Format allenfalls klappen.

Am Standpunkt, an dem Du warst, würde ich mich auf die Stämme konzentrieren. Der rechte Flussverlauf ist interessant, wird aber auch durch die Grasbüschel vorne und das Astgewirr oben gestört. Für eine Landschaftsaufnahme des Flüsschens hätte ich einen anderen Standort und eine Perspektive mit einem klaren Fluchtpunkt „rechts hinten“ gewählt.

Hier ist die Stammkomposition stärker, aber sie leidet unter der Bildaufteilung. Regeln sollen gebrochen werden, aber das wirkt beim Goldenen Schnitt erfahrungsgemäss am besten, wenn er entweder zugunsten einer knallharten Zentrierung oder einer deutlichen Übertreibung ins andere Extrem vernachlässigt wird. „Ein bisschen“ Goldener Schnitt hingegen wirkt unentschieden.

In diesem Fall würde ich ihn einhalten:

Marios Bild: Beschnitten, nach rechts gekippt, und Grasbüschel rechts weggeklont.

Wenn der unterste Punkt der Uferlinie ein Drittel von rechts und ein Drittel von oben in den Schnittpunkt gelegt wird, verlieren der Himmel und die uninteressante Wiese hinter den Baumstämmen ihre Ablenkungskraft. Der Horizont wirkt im obersten Bilddrittel als sanfter Kontrast zur Vertikalen der Baumstämme und der starken Uferlinie. Die Reihe der Baumstämme selber wird auf den Rhythmus reduziert, den man schon fast trommeln möchte. Die Spiegelung im Wasser mit ihrem Tonwertverlauf nimmt ihn zwar auf, macht ihn aber durch Kräuselung, Wolken und die Auflösung der Stämme in den gespiegelten Baumkronen weich und setzt damit den Kontrapunkt.

Spiegelungen fordern genauso zur Schwerpunktsetzung auf wie ein quadratisches Bildformat: Entweder sie sind so perfekt, dass sie kaum mehr als Spiegelung zu erkennen sind – oder aber sie setzen den Kontrast zwischen dem Objekt und seiner Spiegelung. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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4 Kommentare
  1. Peter Sennhauser
    Peter Sennhauser sagte:

    Danke für die Einwände. Gibts noch viel zu selten hier…
    Zunächst: Ein Bildschnitt ist natürlich keine Alternative zu einer andern Komposition, nur ein Behelf – insofern kann das Beispiel sich nur an das annähern, was ich meine.

    @Markus: Eben – totale Symmetrie oder ein Bruch damit. Ich finde auch, dass der Verlauf unten im Bild durch den Schnitt zu wenig ins Dunkle geht. Ich musste ja aber das Quadrat beibehalten.

    @Mario: Wir verlieren keine Bilder ;-) Was die Retusche angeht, war ich bis zum Seminar mit George Barr Deiner Meinung. Inzwischen bin ich geläutert: Kunst und Dokumentation sind zwei Paar Schuhe. Was für einen Fotojournalisten absolut nicht in Frage kommt, muss für Dich als Künstler nicht tabu sein.

    ich versuche, die welt abzubilden, wie sie ist,

    Ist die Welt denn Schwarz/Weiss und quadratisch? In der Ferne unschärfer als im Vordergrund? Gekörnt? Und wenn all diese Mittel Dir zur Gestaltung erlaubt sind und Du mit dem Teleobjektiv das „wegretuschieren“ darfst, was im Weg ist – warum sollst Du das in der Dunkelkammer nicht mehr dürfen? Ich werde dazu wohl noch einen eigenen Post machen – bin gespannt auf die Diskussion!

    @Reinhard: Im Grossformat würde das alles unbestrittenerweise nochmals anders wirken – Mario sagt ja auch, dass die Körnung verloren ging durch die Verkleinerung. Und dass in diesem Schnitt die Tiefe fehlt, ist ebenfalls richtig. Bei einer entsprechenden Komposition müsste das durch einen Vordergrund kompensiert werden.

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  2. Reinhard
    Reinhard sagte:

    Sorry, Peter, aber das beschnittene Bild wirkt auf mich völlig steril und flach! Gerade das von links einfliessende Flüsschen bringt dem Bild die interessante Tiefe.
    Dieses Bild im Maxiformat (mindestens 1mx1m) wäre mit Sicherheit attraktiv, würde den Betrachter richtig ins Bild hineinziehen.

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  3. mario
    mario sagte:

    aha, ihr hab das bild also nicht verloren, das lag ja fast ein jahr bei euch rum…

    zur kritik: stimmt absolut, schräg geht gar nicht. mit deinem gewählten ausschnitt bin ich aber auch nicht richtig glücklich, ist mir zu steril und durch die strikte einhaltung der heiligen regeln doch zu langweilig.

    was für mich auch nicht in frage kommt, sind so sachen wie gebüsche wegretouchieren. ich versuche, die welt abzubilden, wie sie ist, und nicht, wie ich sie gerne hätte. nichts gegen nachschärfen, tonwertkorrektur, farbkorrektur und derlei.

    nundenn. merci für die kritik!

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  4. Markus
    Markus sagte:

    Es geht mir auch so, dass das Bild zwar sehr nett anzusehen ist, aber man schnell darüber hinweg blickt. Allerdings ist die Spiegelung für mich ein klassischer Fall, wo ich mit der Drittel-Regel oder dem goldenen Schnitt wenig anzufangen weiß. Verschiebt man bei gespiegelten Bildern die Achse aus der Mitte, so stört das meist die Symmetrie. Nicht unbedingt bei einer Person die sich im Spiegel, oder einer Architektur, die sich in einem Fensterglas spiegelt, wenn der Spiegel nicht im 45°-Winkel zum Horizont steht und dadurch auch keine wirkliche Symmetrie entsteht. Aber sehr wohl bei Landschaften die sich im Wasser spiegeln, denn diese sind meist äußerst symmetrisch. Da wirkt in meinen Augen das Anwenden der Drittel-Regel oft gekünstelt und willkürlich – wo auch hier. Demnach hätte ich wahrscheinlich sogar versucht, das Ufer mehr in die optische Mitte zu bringen, denn von ihr weg.

    Was mir an der Nachbearbeitung im Verhältnis zum Original auch nicht mehr gefällt, ist, dass das Wasser im untersten Bildbereich zu hell geworden ist. Hier ist gerade daraus, dass sich die Äste an dieser Stelle schon fast etwas im Dunkel verlaufen haben durchaus ein Reiz entstanden. Das wirkt auf mich jetzt zu steril.

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