Stadtlandschaft: Alles fliesst in HDR

High Dynamic Range (HDR) gilt als nicht mit bewegten Objekten vereinbar. Dieses Bild beweist, dass sich mit bewusstem Bruch technischer Regeln auch Stimmungen zaubern lassen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Jonas Ginter).

[textad]

Kommentar des Fotografen:

HDR ist eine Technik, die mich begeistert. Ich verstehe es als Teil meines Lernprozesses, die Technik zu verfeinern und nach Lichtsituationen zu suchen, die sie überhaupt erfordern. Denn HDR muss nicht immer sein und sieht oftmals schnell übertrieben aus. Bei Langzeitbelichtungen, besonders nachts oder gegen Ende der blauen Stunde bin ich von HDR überzeugt. An diesem Motiv reizte mich besonders die Dynamik des Flusses, der unbeirrt fließt. Egal, wie viel Beton und Stahl man ihm in den Weg baut. Augenommen mit: Pentax k7, PENTAX-DA 35mm F2.8 Macro Limited, f9.0, ISO 100, HDR aus 5 Belichtungen, Photomatix & Co. Dieses Bild habe ich auch auf meinem Blog veröffentlicht.Profi Peter Sennhauser meint zum Bild von Jonas Ginter:

Ein Fluss fliesst in der blauen Stunde durch diese Farbfotografie und belegt dabei in Bewegungsunschärfe rund zwei Drittel des Bildes von unten:

Im linken drittel stehen die Pfähle einer Landungsstelle in einer in die Tiefe des Bildes führenden Reihe, im rechten oberen Drittel kontrastiert eine mit vielen orangen Lichtern beleuchtete Schleuse mit dem blau des Wassers. Im mittleren und linken Hintergrund ist das Stauwehr eines Kraftwerks mit rauchenden Schloten und beleuchteten Kräne vor einem Himmel zu sehen, der das gleiche Blau aufweist wie das Wasser des Flusses.

Auf den ersten Blick scheint die Fotografie von einer vernichtenden Unschärfe geprägt – das fliessende Wasser wirkt verschwommen, weisslich, aber nicht völlig in der Bewegungsunschärfe aufgelöst – offenbar ein Effekt des HDR-Prozesses, den Du für diese Nachtaufnahme angewandt hast.

Deine Erkenntnis, dass HDR nicht immer nötig ist und wahrscheinlich eher zu oft und nicht zugunsten der Bilder angewandt wird, teile ich. Ob HDR hier in dieser Situation nötig war, weiss ich nicht.

Hingegen ist eigentlich eine der HDR-Regeln, möglichst keine bewegte Subjekte in HDR-Bildern verarbeiten zu wollen, weit herum bekannt: Die Algorithmen kommen namentlich mit grossflächigen Bildteilen nicht klar, die von Bild zu Bild verschieden sind – schliesslich werden bei der HDR-Berechnung die gleichen Bildteile erwartet und auf verschiedene Belichtungssituationen verglichen.

Genau deswegen hat mich Dein Bild sofort angesprochen: Der HDR-Effekt ist in Ansätzen (und nicht nur positiv) erkennbar; aber das Motiv ist alles andere als HDR-typisch und wird durch die Berechnungen in einem Mass verfremdet, das eine neue, eigene Stimmung kreiert.

Es ist durchaus anzunehmen, dass dieses Motiv mit einer einzigen Langzeitbelichtung bei leicht überstrahlten Lichtpunkten ein ähnliches Ergebnis zu tage gefördert hätte. Damit ist Deine Frage danach, ob hier HDR nötig ist, wahrscheinlich zu verneinen. Aber die Stimmung, welche der Effekt in dem Bild hin zaubert, ist ein Gewinn und eine nette Entdeckung im Zuge Deiner HDR-Experimente.

Ich würde deswegen etwas weiter mit bewegten Objekten, namentlich fliessendem Wasser, Brandung und vielleicht fahrenden Zügen oder Autos herumspielen und sehen, was in HDR-Fotografien aus ihnen wird.

Die Bildaufteilung, die Komposition und die Dynamik, die durch den Fluss und die beiden zum dominanten Blau komplementärfarbenen gelb/roten Stellen entstehen, sind bemerkenswert. Was mich dagegen stört, sind die Federschatten im Himmel über den Kränen und dem Hauptturm des Kraftwerks.

Das Bild ist ein Blickfang, auf dem man verweilen mag und den man vor allem über seine Stimmung wahrnimmt – und das ist bei Stadtlandschaften das eigentliche Ziel, jenseits des Wusel-Charakters einer detaillierten Szenerie. Insofern ist es eine gelungene Aufnahme, welcher die HDR-Berechnung zusätzlichen Charme verleiht.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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