Steinlinien: Zwei Bilder in einem

Kontraste können ein Bild verstärken, aber auch abschwächen: Wenn Linien und Formen keine weitere Unterstreichung brauchen.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Thomas Strauss).

Kommentar des Fotografen:

Eine Langzeitbelichtung in der Bretagne. Die Steine sind nur so lange schwarz, wie sie nass sind. Es musste also genau der Zeitpunkt für das Zurückgehen der Flut abgewartet werden. Gerade diese schwarzen Steine haben mich fasziniert und zusammen mit der Landschaft in einen entrückten Zustand versetzt, das wollte ich mit diesem Bild vermitteln. Zudem ist es ein schwer auffindbarer, abgelegener Ort.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Thomas Strauss:

Ein Küstenabschnitt in Schwarz-Weiss. Im Vordergrund sind ist ein Streifen rundgeschliffener, nasser Kiesel zu sehen; im Mittelgrund liegen einige ebenso rundgeschliffene, grössere Felsbrocken im durch die Langzeitbelichtung vernebelten Wasser; den Hintergrund der hochkontrast-Aufnahme bilden äusserst kantige, in diagonaler Schichtung von links unten nach rechts oben aufragende Felsen.

In der Regel sind Widersprüche respektive inhaltliche Kontraste in einer Fotografie wünschenswert – sie schaffen Spannung.

Im vorliegenden Fall wären dies die weichen Formen der fast schon organisch anmutenden Kieselsteine und rundgeschliffenen Felsbrocken im Vorder- und Mittelgrund, die einen Gegensatz zu den scharfkantigen Küstenfelsen im Hintergrund abgeben.

Das funktioniert dann, wenn der Kontrast einen wesentlichen Teil des Bildes ausmacht und ausmachen soll, und wenn damit ein anderer Aspekt betont werden kann.

In deiner Aufnahme allerdings liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den Rundungen der Felsen und Steine. Zu den erstaunlich weichen Formen dieser Steine gesellt sich eine grossartige Linienführung ins Bild hinein: Der Blick fliesst von unten links über den Kieselstrand mit einer scharfen Kurve ins Bildzentrum zum grossen Brocken, von wo der Vektor nach einer weiteren Haarnadel wieder im weichen Bogen nach rechts zum einzigen nicht ganz so runden Stein führt.

Diese Linie ist dermassen stark, dass alles, was dahinter im Bild zu sehen ist, zu einer Ablenkung wird.

Abgesehen davon, dass die Felsen im Hintergrund absaufen (wahrscheinlich durch den Verlaufsfilter), dienen sie der Aufnahme nicht mehr. Der Kontext „Küste“ ist in der Fotografie gegeben und braucht keine weitere Erklärung.

Der Blick zwischen der vorgelagerten Felsnase hindurch auf die weiteren pyramidenförmigen Klötze im Hintergrund ist nicht uninteressant, aber eher Inhalt eines zweiten Bildes. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass Du diese Kanten in den Kontrast der Rundungen stellen wolltest – es funktioniert hier nicht, weil der Vordergrund zunächst mit der skurrilen Gesteinsformation und der starken Linie vollständig vereinnahmend ist und durch das „zweite Bild“ im Hintergrund lediglich wieder abgeschwächt wird. Wäre der Hintergrund einfacher, dann liesse sich eine leichte Steigerung noch herbeiführen – wie hier bei Gary Yost, der den scharfen Horizont den Bowlingbällen am gleichnamigen Strand entgegensetzt.

Reduziert auf die Frontlinie

Ich habe versucht, mit Cropping zu illustrieren, wie die Steingruppe im Vordergrund allein arrangiert werden könnte – allerdings wäre es hier eindeutig besser gewesen, wenn das Bild vor Ort auf die runden Brocken reduziert worden wäre.

Wenn Du an der Kombination der beiden Ansichten festhalten willst, würde ich empfehlen, die kantigen Felsen an den zentralen Stellen leicht aufzuhellen, um ihre Zeichnung und die Linien annähernd in die Regionen der Kontraste auf den runden Steinen zu bringen. Umgekehrt würde ich die Region ein Drittel unter dem oberen Bildrand rechts deutlich abdunkeln, weil die Spitzlichter dort enorm irritieren.

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