Strassenporträtfoto: Freistellung reicht nicht

Ein Portrait lebt nicht nur von der Pose des Motivs, der Schärfentiefe und der Freistellung, sondern auch vom Licht.

[textad]

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Daniel Haeker).

Kommentar des Fotografen:

Raheem, Obdachloser, lebt auf der Straße und im Obdachlosenheim in Harlem. Ich traf ihn, kaum dass ich die Metro an der Station 125th/Lexington Av. verlassen hatte. Das Bild ist ein „Zwitter“, es handelt sich einerseits um ein spontanes Straßenportrait und insofern um Street Photography, andererseits verschleiert die Freistellung den Zusammenhang, den ein deutlicher wahrnehmbarer Hintergrund bieten würde. Manchmal finde ich ein Gesicht auf der Straße aber einfach so stark, dass ich nicht widerstehen kann, mich nur auf die Person zu konzentrieren und den Hintergrund mit voller Absicht der weit geöffneten Blende zu opfern. Raheems Gesicht, sein blindes Auge, hatte eine enorme Wirkung auf mich und hat sie immer noch. Nachdem wir uns dann eine Weile unterhalten hatten und er mir seinen Gesichtsausdruck mit „I’m an angry old man“ erläutert hatte, fing er an, für weitere Aufnahmen in rascher Folge mit wechselndem Ausdruck zu posieren.

Profi Jan Zappner meint zum Bild von Daniel Haeker:

Ein Portrait auf der Straße. Ein interessantes Gesicht, und vor allem eine schöne Geschichte. Das Foto lebt vor allem durch den persönlichen Austausch vor dem Fotografieren. Technisch ist es sehr gut gelöst. Allerdings stört etwas ganz anderes.

Zur technischen Seite:

Die weit geöffnete Blende läßt den Hintergrund verschwinden, und der Betrachter konzentriert sich automatisch auf den Menschen. Und auch wenn Du das für ein Manko hältst – ich brauche keinen Hintergrund für Stimmungen oder Zusammenhänge. Hier erzählt der Blick genug.

Die Brennweite von 85mm ist perfekt für Portraits, da man mit ihr nicht zu nah an die Menschen heran muss, ihnen also nicht so auf die Pelle rückt. Ausserdem stellt diese Brennweite das Gesicht auch fast verzerrungsfrei dar. Und um das geht es ja hier. Die Aufteilung ist nach dem Goldenen Schnitt gut gelöst. Nicht zu mittig, aber auch nicht zu sehr an den Rand.

Was mich dennoch stört: Das Licht. Es kommt hier hart von oben. Es durchschneidet Raheems Gesicht; die Nase und der Mund sind in der Sonne, die Augen im Schatten. Das sieht nicht gut aus. Die Augen sind naturgemäss unser erster Ankerpunkt bei der Betrachtung eines Gesichts, und sie werden hier von den andern Partien zu sehr übertönt.

Ein wenig wurde hier im Gesicht aufgehellt, den Kontrastunterschied kann man dadurch aber nicht beseitigen. Bei einem Portät sollten das Gesicht und die Augen im Vordergrund stehen und ideal ausgeleuchtet werden -entweder durch das natürliche Licht oder durch einen Blitz.

Bei einem Mittagshooting kann man mit einen Blitz das Gesicht aufhellen. Ich halte es aber für wesentlich eleganter, das natürliche Licht zu suchen, das man braucht, auch wenn das mittags ziemlich schwer fällt: Im Schatten geht das am einfachsten. Da herrschen gleichmäßige Lichtverhältnisse.

Oder man sucht sich einen Lichtspot, der im Hintergrund dunkel wird. Das sind Hauseingänge, am Fenster oder ähnliches. Das bedeutet aber auch, dass man die Person ein wenig bewegen muss, damit sie dort steht, wo das Licht schön ist.

Das würde hier heissen – nochmal zur 125th, dieses Foto als Geschenk mitbringen, und um ein weiteres Shooting bitten. Raheem, das zeigt Deine Galerie mit den andern Porträts, wäre sicher dabei.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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3 Kommentare
  1. Uwe S.
    Uwe S. sagte:

    Das Gesicht ist zweifellos sehr ausdrucksstark, doch die von der Sonne „abgeschnittene“ Nase stört enorm.

    Auch wenn das Bild als spontanes Straßenfoto entstanden ist, wirkt es stilistisch als Portrait. Und mit Portraits muss es sich messen lassen. Für den Betrachter spielt es keine Rolle, dass deine Intention eine andere war.

    Ich finde Jans Überlegung angebracht, außergewöhnliche Menschen spontan anzusprechen, und nach ein bisschen Smalltalk darum zu bitten, ein paar Portrait-Aufnahmen machen zu dürfen. Es kostet Überwindung, doch die dürfte sich oft lohnen, besonders wenn man ein kleines Portfolio aus der Jackentasche ziehen kann.

    Jan, bei solch einem Menschen halte ich blitzen für ein No-Go. Das Problem sind krasse Reflexe in den dunklen Augen. Ein weißer Lieferwagen im Rücken der Kamera käme als Aufheller besser rüber.

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  2. Daniel Haeker
    Daniel Haeker sagte:

    Na ja, vielen Dank… Ich hätte wohl den ganzen Erklärungstext nicht schreiben sollen, denn ich habe offenbar den Eindruck erweckt, dass es sich um ein gestelltes Portrait handelt, das ich dann selbtverständlich hätte anders belichten können – und müssen! Dieses Bild aber ist ein spontanes Straßenfoto, ein Street, von Blitzen oder davon, Raheem in ein anderes Licht zu bitten, konnte keine Rede sein… Erst danach habe ich mit ihm gesprochen. Aber ich finde seinen Gesichtsausdruck viel zu stark, um dieses Foto nicht zu zeigen.

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    • peter gutzat
      peter gutzat sagte:

      ALSOOOOOOOOOOOOOOOooooooooo,

      mir gefällt es, nicht nur weil du auf der STRASSE schnell schuss bereit sein must !!! MOTIVE lassen sich nicht wiederholen,sind da u. W E C H.

      zum meckern bleibt wenig zeit.ich hab nichtzzzzsss zu…….

      weiter so,der weg ist gut. gruss peter

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