Tagebuch eines Fotoreporters (2/3): Der Geheimdienst stellt Fragen

Am zweiten Tag der Wahlbeobachtung in Weissrussland standen vor allem Informationsgespräche auf dem Programm – harte Zeiten für den Fotografen. Jan Zappner gibt an Hand einer Journalistenreise Einblick in die Arbeit eines Fotoreporters.

26. September 2008, Freitag – 2. Tag Gespräche und erste Fotos

Vorgespräche mit Offiziellen (© 2008 Jan Zappner)

Die Gruppe von Journalisten aus dem Westen, die tags zuvor angereist ist, führt am Freitag weitere Gespräche mit dem Botschafter der EU und dem Chef der OSCE. Beide verweisen zum großen Teil auf die offiziellen Stellungsnahmen: Die Kontrolle der Wahlbeobachter sei nur eingeschränkt möglich, da diese zu weit weg von den Stimmauszählungen sitzen würden, um sie wirklich kontrollieren zu können.

Auch die vorzeitige Stimmabgabe entspreche nicht den demokratischen Kriterien. Dabei werden vor allem Studenten, Soldaten oder Polizisten aufgefordert, ihre Stimme schon vor dem Wahlsonntag abzugeben. Geködert werden sie mit freien Wochenenden oder Druckmitteln wie Urlaubssperre oder ähnlichem. Das Problem dabei sei die Kontrolle der Stimmen, da die Überwachung der Wahlurnen über drei Tage vor allem nachts nicht gewährleistet ist und somit Wahlfälschung sehr wahrscheinlich sei.

Ich werde langsam nervös, da ich bisher noch keine interessanten Fotos machen konnte:

In den Strassen von Minsk gibt es nur allgemeine Plakate für die Wahlen. (© 2008 Jan Zappner) Die Hintergrundgespräche dienen nur der Information, und die Termine sind sehr eng gelegt.

Im Straßenbild dagegen finden die Wahlen nicht statt. Es gibt keine Werbeaktionen der Kandidaten. Vereinzelt sehe ich Plakate mit der neutralen Information, dass am Sonntag Wahlen sind. In den öffentlichen Verkehrsmitteln wird ebenfalls dazu aufgerufen, am Sonntag wählen zu gehen.

Abends der erste Fototermin: Ein Wahlveranstaltung von Olga Kozulina (Opposition). Ich fahre mit meinem Kollegen vom Kurier und unserem Stringer Irina in eine Wohnsiedlung am Rande von Minsk in ein Gemeindehaus. Es wird eine absurde Veranstaltung. Ein kleiner Raum von kaum 50 Quadratmetern, gefüllt mit vielleicht 80 Menschen. Vorne eine Bühne, auf der Olga Kozulina mit ihrem Vater Alexander Kozulin sitzt.

Alexander Kozulin ist ein sehr prominenter Kandidat der Opposition, der 2006 Gegenkandidat zu Alexander Lukaschenko bei den Präsidentenwahlen war und kurz darauf zu sieben Jahren Gefängnis wegen „Rowdytums“ (höchstwahrscheinlich aber wegen seiner Kandidatur) verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurde. Kozulin wurde im August 2008 aus der Haft entlassen: Damit hatte Lukashenko eine zentrale Forderung der EU – keine politischen Gefangenen – erfüllt.

Alexander Kozulin (2. v. l.) und Tochter Olga. (© 2008 Jan Zappner)Nach einer kurzen Vorstellung des Programms werden Fragen aus dem Publikum gestellt und zumeist von Alexander Kozulin beantwortet, obwohl Tochter Olga die Kandidatin für einen Platz im Parlament ist.

Die Zuhörer sind zum größten Teil Senioren und – Geheimdienstmitarbeiter. Diese stellen gezielte Fragen, um Schwächen der Kandidatin aufzuzeigen. Zusätzlich filmen sie die Veranstaltung, um die anwesenden Personen später überprüfen zu können.

Fernsehteams aus Polen, Russland und der BBC sowie vier weitere Fotografen sind anwesend. Wir stehen uns alle ein wenig im Weg und rotieren abwechselnd von vorne nach hinten. Ich setze das Teleobjektiv auf und fange an: Zuerst die Bühne mit ein paar Köpfen im Vordergrund, anschließend das Podium, die Köpfe von der Seite mit Alexander und Olga, dann nur das Publikum (dabei duckt sich einer der Gemeindienstler immer wieder weg).

Kozulin stellt sich den Medien. (© 2008 Jan Zappner)Dann das Weitwinkelobjektiv. Da der Raum spärlich beleuchtet ist und die Deckenlampen nicht ausreichen, blitze ich mit Kabel indirekt auf die Personen auf dem Podium. Ich versuche, dem Hintergrund mit der schönen belarussischen Fahne und den kyrillischen Buchstaben und dem Wahlplakat von Olga Kozulina Raum zu geben, damit klar wird, wo und wann Bild entstanden ist. Die Schwierigkeit besteht darin, einen Moment zu erwischen, bei dem die Personen eine interessanten Gesichtsausdruck und eine aktive Gestik zeigen, und man den Kollegen während dessen nicht im Weg steht. Das gelingt mir nicht immer: Ein Kameramann raunzt mich an und schlägt meine Hand mit dem Blitz runter. Pech gehabt! Mein Bild habe ich bekommen. Am Ende organisiere ich noch einen Interviewtermin mit Olga Kozulina für den Wahlsonntag.

Der Kollege vom Kurier braucht die Bilder nicht sofort. Deshalb beschrifte und bearbeite ich sie auch nicht umgehend. Wir gehen ins Hotel und treffen die anderen Kollegen, die sich für ihre Fahrt in die Regionen bereit machen. Wir reden über Fototechnik, die neue Canon 5d Mk II, Mittelformat und warum fotografieren auf Film eigentlich viel besser ist.

27. September 2008, Samstag: 3. Tag: Interview mit Milinkievich,
2. Wahlveranstaltung Kozulin / Milinkievich

Mittags haben wir ein Interview mit Alexander Milinkievich, einem Führer der Opposition und 2006 ebenfalls Präsidentschaftskandidat, in seinem Büro. Das liegt im Erdgeschoss und ist ziemlich dunkel. Ich suche einen Platz, wo noch genug Licht durch kommt, damit ich während des Gesprächs fotografieren kann. Entscheide mich für den kleinsten Raum. Sage, wohin Milinkievich, unsere Dolmetscherin und der Autor sich setzen sollen, damit ich die besten Möglichkeiten zum Fotografieren habe. Während des Interviews stelle ich fest, dass aufgrund der von mir ausgesuchten Positionen Milinkievich nur das Licht von der einen Seite abbekommt. Bin nicht besonders glücklich.

Oppositionsführer Alexander Milienkewich (© 2008 Jan Zappner)Milinkievich selbst gestikuliert kaum, es gibt also auch keine Fotos mit einer Hand als schönem Vordergrund. Nach dem Interview mache ich noch ein paar Portraits digital und hole dann die Mittelformat Kamera raus.

Milinkievich wird nervös, da inzwischen andere Journalisten auf ihn warten. Ich habe vergessen, den nächsten Film einzulegen und versuche die Zeit mit Reden zu überbrücken. Zum Glück ist die Hasselblad immer ein Hingucker, so dass die Zeit relativ schnell vergeht. Ich mache ein paar Bilder im Büro und bitte ihn dann in den Hausflur, der in einem Himmelblau strahlt. Drei, vier, fünf Bilder, dann ist Schluss.

Insgesamt höchstens 5 Minuten für die Portraits gehabt, inklusive Mittelformat. Wundere bis ärgere mich, dass für Fotos immer so wenig, für Interviews aber immer genügend Zeit ist. Ist aber teilweise auch meine Schuld, da ich die Portrais ja auch vor dem Interview machen könnte, um den Streß zu verringern. Vom Interview selber bekomme ich leider fast nichts mit, da ich mich aufs Fotografieren konzentriere.

Anschliessend gehen Stefan und ich Pizza essen und Bier trinken. Erzählen unsere Geschichten aus Osteuropa und bekommen den Blues. Die Kellnerin wundert sich, dass wir nach dem vierten Bier schon gehen wollen.

Abends ist die nächste Wahlveranstaltung der Opposition. Milinkievich und Kozulin und ein Kandidat der Opposition stellen sich vor. Die Presse ist wieder anwesend. Auch der Geheimdienst mit den gleichen Gesichtern wie am Tag zuvor. Nur filmt diesmal ein anderer.

Die Presseausweise: Deutlich erkennbar (© 2008 Jan Zappner)Ich schnappe mir Kozulin vor der Veranstaltung und mache schnell vier Mittelformat-Bilder fünf Meter neben den Kollegen. Diesmal war die Filmkassette zum Glück geladen. Frage ihn nach den Geheimdienstleuten, er lächelt nur und sagt, das sei halt so. Im Gemeindehaus drängen sich inzwischen die Fernsehleute, die Fotografen und ein paar Zuhörer plus Geheimdienst. Diesmal sind meiner Meinung nach noch weniger Wähler anwesend. Ich warte draußen, bis die meisten Fernsehleute und Fotografen fertig sind und ein wenig Platz ist. Dieses Gedränge im Haifischbecken kann ich nicht ertragen. Wobei das hier im Vergleich zum Westen ja geradezu friedlich ist.

Abends sind wir auf einer Party, wo mir Vladimir, 29 Jahre alt, erzählt, dass er gerade einen neuen Job als Salesmanager für Fortbildungen angenommen hat. Dort verdient er 200 US Dollar monatlich plus Prozente an den Verkäufen. Wählen will er nicht, ist doch egal, sagt er.

Im Hotel haben sie den Schlüssel „verlegt“. Ich durchsuche mein Zimmer, ist aber alles noch da. Komisch.

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