Teichspiegelung: Fünf Ebenen, eine Dimension

Fotos von Spiegelungen in Wasser- und Glasflächen können verwirren und faszinieren. Der „Was ist das“-Effekt sollte aber mit weiteren kompositorischen Elementen ergänzt werden.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Kurt Worni).
Kommentar des Fotografen:

Über einem Teich lehnend entdeckte ich die hellgrünen Algen, „darunter“ die sich im Wasser spiegelnden Wolken, dahinter den Grund des leicht trüben Teiches und links oben noch unscharfe Grashalme, die über dem Teich waren, also 4 Ebenen in einem Bild. Das Faszinierende am Foto ist, dass man ohne Erklärung kaum auf einen Teich käme!

Peter Sennhauser meint zum Bild von Kurt Worni:

Die Spiegelung in einem Teich, darunter der Teichgrund, schwimmende Algen und etwas Umgebung: eine Zwiebel von einem Bild. Auf den ersten Blick ist tatsächlich nicht ganz offensichtlich, worum es sich handelt.

Auf den zweiten allerdings schon, und damit ist die Faszination für das Bild auch schon verflogen, weil es eigentlich nichts mehr zu entdecken gibt. Wolken und Bäume sind in der Schärfe, aber ohne weitere inhaltliche oder kompositorische Funktion inszeniert; die andern Elemente des Bildes liegen alle in der Unschärfe und werden dadurch auf die Aufgabe der „Bildtarnung“ reduziert:

Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie als Betrachter nicht weiter ergründen.

Du hast diese Szene im Vorbeigehen gesehen und erkannt, dass sie Potential bietet. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung einer aussergewöhnlichen Fotografie. Häufig ist es so, dass einem ein Bild gelingt, welches irgendwas hat, das den Betrachter fesselt – und es ist nicht ganz einfach zu erkennen, was es ist, ganz zu schweigen davon, dass es dem Fotografen während der Aufnahme vollständig klar war.

Hier ist es offenbar umgekehrt. Du hast die verschiedenen Ebenen erkannt und warst vom Anblick so fasziniert, dass Du daraus ein Bild gemacht hast.

Das Problem daran ist, dass es in der Fotografie fast gar nicht möglich ist, das Sehen des menschlichen Auges zu kopieren – denn das erfasst ein Bild nicht in einem Sekundenbruchteil, sondern „scannt“ die Szenerie konstant in hoher Frequenz und passt dabei „Blende“ und „Fokus“ ständig an. In der Landschaftsfotografie zwingt uns das zur möglichst weitgehenden Schärfentiefe, damit der Betrachter die Möglichkeit hat, das Bild ebenso zu scannen, wie er es vor Ort machen würde – dabei müssen wir aber auch noch die Tiefe des Raums durch eine Schichtung simulieren, die dazu geeignet ist, und schliesslich aus dem ganzen mit einer spannenden Komposition ein anregendes emotionales Erlebnis machen.

Dies ist keine Landschaftsaufnahme im klassischen Sinn, aber sie bietet ähnliche Herausforderungen. Die Landschaft, im Nah- und Fernbereich, ist das Motiv, und die Komposition beruht auf der Schichtung. Wenn wir vor der Szene stehen und sie uns angucken, wird unser Auge ständig den Fokus wechseln und alle Ebenen mindestens einmal separat erfassen. Das ist in der fotografischen Umsetzung nicht möglich.

Ein weiteres Problem der Fotografie besteht darin, dass die Spannung des Bildes fast ausschliesslich in der Frage „Was ist das“ liegt. Wir haben diesen Punkt eben diskutiert: eine gute Fotografie soll überraschen und vielleicht auch Fragen aufwerfen, den Betrachter herausfordern – wirklich grossartig wird ein Bild aber darin, wenn sich hinter dieser ersten erfahrung eine weitere Entdeckungsreise eröffnet – sei sie nun imaginär in Form einer Geschichte wie bei der Strassenfotografie oder bildhaft in Details, Verwinkelungen und Trouvaillen wie in der Landschaftsfotografie.

Das vermisse ich hier. Weder in den Bäumen, noch in den Wolken, noch auf der Wasseroberfläche noch auf dem Grund des Tümpels oder in den Grashalmen ist eine weitere Kompositionsstruktur enthalten, die mich über dem Moment des Erkennens hinaus zu fesseln vermag.

Dabei muss es nicht unbedingt ein Vexierbild wie dieses von Matt Mallens werden, das mich in der Ausstellung, wo ich es gesehen habe, minutenlang zum Narren gehalten hat, bis ich endlich das eigentlich (scharfe!) Motiv erkannt habe. Das Bild würde bereits massiv gewinnen, wenn es weitere kompositorische Stärken aufwiese: Eine spannende Aufteilung, diagonale Flächen von Wolken und Bäumen und Grashalmen statt der waagerechten, etc.

Es lässt sich dabei nicht einfach sagen, so und so hättest Du das Bild machen können, und es wäre spannender geworden – das bedingt eine Erkundung der Szenerie. „Working the Scene“ nennt das George Barr: Nachdem er ein Motiv entdeckt hat, nähert er sich im in konzentrischen kreisen und sucht einen Blickwinkel, eine Perspektive, die mehr als den Anblick des Objekts bietet.

Den ersten Schritt dazu hast Du gemacht: Du hast die Schichten gesehen und als Motiv definiert.

Hier liegen tatsächlich vier Ebenen mit Bildelementen vor. Genau genommen sind es sogar fünf, denn die Wolken stehen hoch über den Bäumen. Sie bilden aber mit diesen zusammen eine Ebene, weil beides in der Schärfentiefe liegt.

Darin versteckt sich eine Möglichkeit, dem Bild noch mehr der impressionistischen Wirkung zu verleihen: Wenn all diese Ebenen, alle fünf Schichten, in der Schärfe lägen, wäre die optische Spannung grösser. Dazu hättest Du, statt auf die Spiegelung der Bäume oder gar die Wolken, auf die Wasseroberfläche – also kurz vor die Algen – fokussieren und dazu die hyperfokale Blende wählen können.

Zusätzlich hätte sich die Spiegelung mit einem Polfilter teilweise transparent machen lassen. Du hättest auch versuchen können, etwas Konkreteres in die Bildspiegelung einzuschliessen. Die Gras- oder Schilfhalme schliesslich hätten sich als etwas weniger zufällig wirkender Kontrastpunkt oben links stärker einbeziehen lassen. Auf dem Grund des Tümpels hätten sich vielleicht eine spannende Anordnung von Kieselsteinen oder eine andere Struktur herausmodellieren lassen – und so weiter.

Das Objekt, das Du gesehen hast, bietet eindeutig eine Fülle von Möglichkeiten – das zu sehen, ist der Anfang für ein faszinierendes Bild. Aber um das Potential auszuschöpfen, wären Detzailarbeit, Experimente und kompositorische Gestaltung hilfreich gewesen, um den fünf Ebenen eine weitere Dimension zu verleihen.

[hide][/hide]

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
Mehr über die Profi-Bildkritik erfahren / Eigene Bilder zur Kritik einreichen.

3 Kommentare
  1. Kurt Worni
    Kurt Worni sagte:

    Danke für deine Analyse. Wie immer hast du Recht mit deinen Erklärungen und Beurteilungen. Diese hyperfokale Blende kannte ich bisher nicht.

    Alle Ebenen scharf zu machen (plus noch mein Gesicht ohne Brille darin zu spiegeln :)) war fast nicht möglich. Der Grund des Teiches war eher trüb und die Grashalme bewegten sich im Wind. Ist zwar fototechnisch alles kein Problem, wenn der Zugang zu dem Teich nicht abfallend wäre und rutschgefährdet. Für ein Boot war der Teich wieder zu klein. Somit musste ich in extremis mich über das Wasser lehnen und hatte keine andere (ohne riesigen Aufwand und nur mit diesem Objektiv) Möglichkeit, den optimalen Platz auszuwählen.

    Wie schon andere „Fotografen“ oft bemerkten, kann man nicht immer eine ideale Situation für ein optimales Fotoobjekt vorfinden, aus welchen Gründen auch immer. Und letztendlich dient es dem Leser hier mehr, wenn er deine „kritischen“ Analysen lesen kann….der Lerneffekt ist somit höher als wenn du ein „perfektes“ Bild beurteilen würdest;)

    Antworten
  2. Corinne ZS
    Corinne ZS sagte:

    Ich erlaube mir, hier ein eigenes Bild als Replik vorzustellen. Es ist übrigens das Lieblingsbild meiner Zwillingsschwester.

    Ich denke, die Aussage wir schnell klar und es hat auch nicht zuviel Gespiegel. Ansonsten ist es technisch natürlich nicht perfekt, wie sollte es auch, ich habe es ja selber gemacht ;-)

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert