Telefotografie: Bewusst freistellen

Die Telefotografie eröffnet dank reduzierter Schärfentiefe Gestaltungsoptionen, die sonst nur mit Offenblende möglich sind. Jetzt geht es aber darum, diese Option zur Freistellung des Motivs ganz bewusst zu nutzen.

Telefotografie eines persischen Seidenbaumes

Der Seidenbaum – Canon EOS 5D Mark III , 1/30s bei Blende 9 mit 235 mm Brennweite und ISO 100. © Jan-Michael Buckowitz

Jan-Michael Buckowitz aus Dittelsheim-Heßloch: Nach einem kurzen Regen diesen Zweig mit Tele fotografiert (Südkorea). Ein hier häufig vorkommender Baum.

Was wir hier sehen, darüber können wir ebenso diskutieren wie darüber, was wir hier sehen sollen: Du nennst das Bild „Mimosa Strigillosa“, was aber eine eher blumenartige Pflanze aus Nordamerika ist. Ich halte das hier für den persischen Seidenbaum, ebenfalls eine Mimosenart, aber eine der bäumigen Sorte. Um die Pflanzenbestimmung geht es aber hier weniger als um den Einsatz der Schärfentiefe.

Diese Telefotografie einer Verästelung in einem Baum zeigt im unscharfen Vordergrund die Spitze eines puderquasten-artigen Blütenbüschels und eines fein gegliederten grünen Blatts. Am linken Bildrand sehen wir im Schärfenbereich eine weitere Blüte, daneben, im Bildzentrum vor dunkelgrünem Hintergrund, die Astgabel eines bemoosten Baumes, auf dem zusätzlich kleine, weisse Pilze zu wachsen scheinen.

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Reden wir kurz von der Technik: Telefotografie verlockt dazu, sich nicht zu weit zu bewegen und die Dinge mit dem Fernrohr auf den Sensor zu holen. Diese Methode hat Vor-, aber auch einige Nachteile. Einer davon besteht eindeutig darin, dass lange Brennweiten Licht kosten. Das bedeutet, dass Empfindlichkeit, Blendenöffnung oder/und Belichtungszeit erhöht werden müssen. Bei preiswerten Objektiven steht aber für die längste Brennweite meistens nicht die gleiche grosse Blende wie für die kurzen zur Verfügung. Damit bleiben noch zwei Optionen: Empfindlichkeit erhöhen (und rauschen in Kauf nehmen) oder Zeit erhöhen und Verwackelung riskieren. Du hast Dich für die zweite Version entschieden, und das in einem Ausmass, von dem ich dringend abraten würde:

Telefotografie Freistellung Vergrösserung Bewegungsunschärfe.

Der langen Belichtungszeit geschuldet: Bewegungsunschärfe in der Blüte.

  • Erstens hättest Du die Blende zweifelsfrei noch weiter öffnen können, denn typischerweise steht auch bei sehr langen Brennweiten wie den hier gewählten 235mm mindestens Blende 5.6 zur Verfügung – und das gilt jedenfalls für das von Dir verwandte [amazon  B0001G8VFY]Teleobjektiv 28-300 f3.5-5.6 L IS[/amazon].
  • Zweitens würde ich auch bei Kameras mit Bildstabilisator in der Nähe der Faustregel bleiben, dass bei Aufnahmen aus der Hand der Umkehrwert der Brennweite in Sekundenbruchteilen als Belichtungszeit die längste Zeit sein sollte. In deinem Fall also eigentlich 1/250 Sekunde.  Dein Super-Teleobjektiv hat zwar einen Bildstabilisator, aber ich würde auch damit nicht unter die Faustregel gehen, zwei Blenden länger zu belichten. Das heisst, dass die Belichtungszeit zwei mal verdoppelt werden dürfte – von 1/235 ist das dann 1/60 Sekunde, nicht 1/30s.
  • Und zum Dritten: Die Empfindlichkeit kann bei solch hochwertigen Kameras wie der [amazonna  B007KKKJYK]Canon EOS 5D Mark III[/amazonna] bedenkenlos bis 400 ISO, oft auch bis 800 ISO gesteigert werden, ohne Rauschen zu riskieren. Du hättest also die Zeit locker auf 1/60s und die Empfindlichkeit auf ISO 200 stellen können (ISO-Verdoppelung entspricht der Licht-Verdoppelung, ebenso die Verdoppelung der Zeit. Bei der Blende sind die Verdoppelung jeweils bei  2, 2.8, 4, 5.6, 8, 11.).

Zusammenfassend gesagt: Mit Einstellungen von Blende f5.6 und ISO 200 hättest Du die Aufnahme mit 1/120s machen können und ziemlich genau das gleiche Resultat erhalten, ohne jedes Risiko einer Verwackelung.

Ok, Ok: Nicht genau das gleiche Resultat. Denn zumindest das Öffnen der Blende hat einen gehörigen Einfluss auf den Bildeindruck.

Denn damit wird die Schärfentiefe verringert. Die ist hier schon recht gering, was einerseits an der enormen Brennweite und zweitens daran liegt, dass da Motiv verhältnismässig nah war.  Mit Blende 5.6 wäre wahrscheinlich die Blüte am unteren Bildrand nur noch ein violetter Schimmer, wenn sie überhaupt sichtbar wäre; das Baumblatt wäre deutlich weniger gut erkennbar, und der Bereich mit den weissen Pilzen wäre nur auf einer kurzen Distanz scharf.

Schärfentiefe gezielt einsetzen

Hier liegt die Faszination von Offenblende- oder Teleaufnahmen: Die geringe Schärfentiefe kann sehr gezielt dazu verwandt werden, inmitten von vielen Objekten das Motiv zu isolieren, also „freizustellen“.  Das kann durchaus auch so geschehen, dass man eine Komposition wählt, in der die Stelle mit der grössten Schärfe keineswegs in der Bildmitte liegt. Mann kann Menschenmengen und andere Sammlungen von Objekten mit der Telefotografie „zusammenziehen“ und einen Eindruck von ungeheurer Masse erzeugen. Oder man kann den Blick des Betrachters auf ein winziges Detail hin steuern, das er, wäre alles im Bild scharf, nicht einmal richtig gesehen hätte.

Du hast als Titel Deines Bildes den vermuteten Namen der Pflanze verwandt. Und das ist es, was mich verwirrt. Denn wenn ich nach der Freistellung und der Komposition urteile, willst Du mir die kleinen, weissen Pilze zeigen, die auf dem Baum, nein: Auf dem Moos im Baum, wachsen. Die typischen Merkmale des Baums nämlich sind seine Blätter und die Blüten, und die sind allesamt entweder in der Unschärfe oder am Bildrand.

Die Blüte links ist eindeutig zu weit ausserhalb der Komposition, um inhaltlich im Zentrum zu stehen; das Blatt ist aufgrund der Blende so stark in der Unschärfe, dass ich es fast gar nicht mehr wahrnehme. die Astgabel aber ist wahrscheinlich kein Merkmal des Seidenbaums, und der kleine Pilz, der nach dem Regen spriesst, wäre etwas, was als Bildtitel hier funktionieren würde, wenn es denn um ihn geht.

Telefotografie Blüte Ebenen der Freistellung

Die Ebenen in rot sind zu nah beieinander und ergänzen den Bildinhalt nicht, sondern lenken immer noch von ihm ab.

Dann aber wären immer noch die Objekte in der Unschärfe falsch platziert. Damit wir uns richtig verstehen: Es ist sinnvoll, Objekte in der Unschärfe im Vorder- und im Hintergrund zu haben, das verleiht dem Bild Tiefe. Aber wenn sie so angeschnitten oder übereinander liegen wie hier, entsteht eher ein Wirrwar von Ebenen als ein Raum.

Ich glaube, mit einer leichten Verschiebung Deines Standpunktes nach links hättest Du das Problem rasch entschärft.

Und wenn jemand weiss, wie der kleine Pilz im Baum heisst: Für mich ist sein Name der Bildtitel…

6 Kommentare
  1. Dierk Topp
    Dierk Topp sagte:

    es ging Jan-Michael wohl weniger um die Technik des Freistellens als eher um eine Dokumentation. Dafür finde ich jedoch den Bildausschnitt nicht gut gewählt, es ist rechts zu viel unwichtiges und links fehlt zu viel.

    Zum Freistellen möchte ich noch ergänzen, dass dabei auch der Hintergrund und wie dieser aufgelöst wird (bokeh genannt) eine große Rolle spielt. Dazu gibt es endlose Bildserien mit den ungewöhnlichsten Objektiven.
    Ein Beispiel gemacht mit einer Vollformat Sony und dem ca. 60 Jahre alten Dreilinser von Meyer Optik Trioplan 2.8/100mm, aufgenommen mit f/2.8.

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    • Stefan Jeschke
      Stefan Jeschke sagte:

      Hallo Dierk, eine sehr schoene Aufnahme zu der das Trio m.E. hervorragend passt. Dieser leichte Haze der das Bild so wunderbar vertraeumt macht kommt bei den zarten Blueten sehr gut! Die Hintergrundaufloesung finde ich hier auch perfekt: gibt ein gutes Gefuehl fuers Umfeld aber lenkt nicht zu stark ab. Einzig die Schaerfe der naechsten Bluete koennte hoeher sein, aber das ist meckern auf hoechstem Niveau. Ein tolles Bild, danke fuers zeigen!

      Viele Gruesse,
      Stefan

  2. Johannes Nieß
    Johannes Nieß sagte:

    Bei der Fotografie im Makro-Bereich kommen einige Besonderheiten ins Spiel. Diese vermisse ich auf der technischen Seite der Bildbesprechung und Fehleranalyse. Insbesondere für die Unschärfe scheint Wind bei dieser Außen-Aufnahme eine wesentliche Ursache zu sein. So ist das flexible Blütenbüschel nur teilweise und besonders stark außen verwischt, während der starre Ast weiterhin scharf bleibt. Ein klassischer „Verwackler“ ist gleichmäßig und ähnlich einem bewussten Mitzieher gerichtet unscharf. Auch die Faustregeln zur Bildstabilisierung sind nicht ungeprüft in den Makro-Bereich übertragbar.

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  3. Stefan Jeschke
    Stefan Jeschke sagte:

    Ich kann Peter nur beipflichten: bei diesem Foto ging so ziemlich alles schief was schief gehen kann. Angefangen von den Kameraeinstellungen (mit wirklich abenteuerlicher Belichtungszeit. Ich empfehle dem Author ein paar grundlegende Uebungen, um ein Gefuehl fuer die Verwackelungsgefahr bei Brennweite vs. Belichtungszeit und weiters fuers Rauschen vs. Iso zu bekommen.) bis hin zur Komposition (Hier koennte man sogar streiten, was nun eigentlich das Hauptmotiv sein soll.). Mehr faellt mir hier leider auch nicht ein als Ratschlag, es wurde wohl „geknipst wie gesehen“, mit dementsprechenden Resultat..

    Viele Gruesse,
    Stefan

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