Test Lensbaby (2/2): (Un-) kontrollierte Schärfenebene

Lensbaby ist ein gut gewählter Name für dieses simple Tilt/Shift-Objektiv: Es ist kein Stück Hightech-Glas, sondern eine fröhliche Kreativ-Scherbe. Leider entstehen die kreativen Bilder meist mehr aus Zufall als aus der Planung.

lensbaby Test: Das Augenmerk richtet sich aufs Segelboot.
Simpler Lensbaby-Effekt: Das Augenmerk richtet sich automatisch auf das Segelboot. (Alle Bilder © PS/fokussiert.com)

Das Lensbaby hat viele Fans, und ich bin sicher, dass sich der eine oder die andere gleich zu Wort melden und mein Fazit als unseriös bezeichnen wird (siehe zweitletzten Absatz). Insgeheim hoffe ich das sogar:

Denn nach drei Shootings mit dem kleinen Kunstoff-Biege-Objektiv, das Antischeimpflug-Effekte ermöglichen soll, bin ich leise enttäuscht.

Nicht so sehr von den Resultaten: Einige der Bilder, die ich mit dem Lensbaby auf der Nikon geschossen habe, haben einen eigenen Reiz, wirken fremd und ziehen die Aufmerksamkeit an, weil irgendwas eindeutig nicht stimmt. Aber meine Kontrolle über den Effekt war zu allen Zeiten ziemlich beschränkt. Das kann nicht nur, es muss zu grossen Teilen daran liegen, dass ich ungeübt und vielleicht auch ungeschickt mit dem Lensbaby umgegangen bin.

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Schärfeverschiebung innerhalb einer Tiefenebene: Das geht mit keinem normalen Objektiv.

Allerdings habe ich vor allem versucht, den einen Effekt reproduzierbar zu erzielen, den ich dem Lensbaby zugeschrieben und es damit kürzlich gegen einen Kommentar von Mick verteidigt habe: Es soll – zumindest glaubte ich das bis anhin – die Schärfentiefen-Ebene von der Sensor-Ebene abwinkeln können. Mick hatte kritisiert:

„Warum soll ich meinem Original einen Effekt antun, den ich digital genau so gut hinkriege, mit mehr Variationsmöglichkeiten? … Die Art von Sweetspot simuliert sogar Paint Shop Pro ohne viel Aufwand.“

Und ich hatte darauf behauptet,

Das Lensbaby appliziert ja nicht einfach nur einen Focus-Sweetspot, sondern lässt genau wie die «grossen» Tilt/Shift-Objektive das Schrägstellen der Schärfentiefenebene bezogen auf den Sensor/Film zu – der Sweetspot ergibt sich daraus.

Nach einigen Stunden Probierens – mit dem Lensbaby wird leider nur eine rudimentäre Anleitung und keinerlei Einführung in die richtige Handhabung mit Beispielen oder Erklärungen geliefert – bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das, was ich da geantwortet habe, nur Wunschdenken war – oder ob ich einfach das Lensbaby nicht richtig verwandt habe.

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Müsste es nicht gelingen, die ganze Fassade scharf zu kriegen? Mitte: Abwinklung des Objektivs in die gleiche Ebene wie die Fassade; rechts: von der Fassade weg.

Jedenfalls ist es mir nicht in einem einzigen Bild gelungen, die Schärfenebene im Bild sichtbar und gleichmässig schräg zur Sensorebene zu stellen. Egal, wie ich die Feinjustierung nach dem Scharfstellen und dem Verschieben des Sweetspots benutzte – eines runden Bereichs im Sucher, der scharf erscheint und durch Biegen des Objektivbalgs im ganzen Ausschnitt herumgeschoben werden kann – eine sichtbare „Schärfen-Diagonale“ habe ich kein einziges Mal hingekriegt.

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Scharfstellung (naja…) auf Fahne, Säule, Baum…

Zunächst versuchte ich, beispielsweise schräg zu meiner Blickrichtung verlaufende Hauswände oder vor mir aufragende Hochhaus-Fassaden gleichmässig scharf zu kriegen. Das wäre, dachte ich mir, für den ungeübten Lensbaby-Anwender die einfachste Weise, die Handhabung in den Griff zu kriegen und nachvollziehbar zu verstehen, wie der „Rüssel“ des Lensbaby abgewinkelt werden muss.

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Noch ein Versuch, die Schärfe in die Ebene der Hecke zu stellen – einmal im spitzen, dann in einem stumpferen Winkel.

Das Resultat war immer ungefähr das gleiche: Selbst mit der grössten Blende (2.0) lässt sich nicht mehr als ein ziemlich runder Schärfenbereich im Bild erzeugen, der allerdings an ungewohnten Stellen im Bildausschnitt liegen kann. Der Rest des Bildes wird, abhängig von der Stärke der Balg-Verwinkelung, unscharf.

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Die Schärfe liegt im Zentrum des Bildes. Ein Verschieben des Ausschnittes (bei gleichen Einstellungen des Lensbaby) bringt plötzlich den Turm im Hintergrund in den Fokus.

Darüber hinaus allerdings fiel mir irgendwann auf, dass auch in diesem Sweetspot praktisch keine Schärfentiefe-Unterschiede mehr festzustellen sind, will heissen: Alles, was im Sweetspot auftaucht, ist scharf, ungeachtet von der Distanz zur Kamera. Eindeutige Unterschiede sind nur grade im Nahbereich von einem bis höchstens zwei Metern zu erkennen.

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Kreisrunder Haarausfall…nichts zu machen: Das einzige, was das Lensbaby kontrollieren lässt, ist ein runder Sweetspot – in dem die Schärfentiefe auch bei grosse Blende sehr weit reicht.

Danach habe ich versucht, in diesem Bereich mit einem simplen Motiv wie einer Rasenfläche erkennbare Schärfeneffekte zu generieren, die über den runden Sweetspot hinausgehen. Ohne Erfolg. In einzelnen Beispielen ergab sich sogar rund um den Sweetspot ein unscharfer Ring, gefolgt von einem zweiten, wieder nahezu scharfen Ringbereich.

Alles in allem hat mein ohnehin schwaches räumliches Vorstellungsvermögen unter den Eindrücken der Lensbaby-Testshootings Schaden genommen. Ich bin mir inzwischen nicht mehr ganz sicher, ob ich kapiert habe, was das Abwinkeln des Objektivs genau bewirken sollte, inwiefern mit einer normalen Linse die Sachrägstellung der Schärfentifen-Ebene überhaupt möglich ist und was sich bei einer Fachkamera genau abspielt.

All das soll nicht heissen, dass mit dem Lensbaby nicht wundervolle, spannende, interessante oder verträumte Effekte möglich sind, oder dass es keinen Spass macht, das Lensbaby zu benutzen. Nach der ersten Begeisterung darüber war ich allerdings ein wenig frustriert über den Mangel an Kontrolle, die, wie ich erhofft hatte, doch über die reine Lage des kreisrunden Schärfebereichs hinausgehen sollte. Und zwar schon deshalb, weil ich ansonsten mit einem verhältnismässig teuren Zubehörteil vor Ort etwas auf ein Original appliziere, was, wie Mick in seiner Kritik festgehalten hat, mit jedem Foto-Bearbeitungsprogramm gezielter und in mehr Variationen möglich ist.

Wenn das alles ist, was das Lensbaby bietet, werde ich das Objektiv wohl noch in der 30-Tage-Frist zurücksenden und müsste Interessenten dazu raten, nicht das teurere, „feinjustierbare“ Lensbaby 3G, sondern die alte Version ohne die Feststellmechanik zu kaufen, die inzwischen für rund die Hälfte erhältlich ist: Der Spassfaktor dürfte der gleiche sein, und die Kontrolle ist wohl nicht wirklich massiv kleiner.

Andrerseits habe ich das Lensbaby einem typischen „naiv“-Test unterzogen: Ohne grosses Vorwissen und Studium von Literatur herauszufinden, was mit dem Gerät möglich ist. Vielleicht habe ich ein paar wichtige Kniffe verpasst, die man nun mal kennen muss, um mehr aus dem Objektiv herauszuholen.

Falls ein Lensbaby-Experte unter Euch mit solchen Kniffen dienen könnte oder die Ehre des flexiblen Objektivs verteidigen möchte, wäre ich für einen entsprechenden Bericht und einige Beispielfotos an unsere Redaktions-Mailadresse dankbar. Ich würde gern einen eigenständigen Artikel eines Fachmanns oder einer Fachfrau an dieser Stelle als eigenständigen Artikel posten – oder die besten eingesandten Tricks als übersichtliche Liste publizieren.

Meine Neugierde jedenfalls ist geweckt, und da ich weder über eine Fachkamera noch über das Geld für die Anschaffung eines der neuen Nikon Tilt/Shift-PC-Objektive verfüge, hoffe ich darauf, dass die bald in den Angeboten der Foto-Vermieter auftauchen, was zu einem Test-Wochenende mit anschliessender Berichterstattung führen wird.

[postlist „and“ „Anti-Scheimpflug,“ „Lensbaby“]

7 Kommentare
  1. Thomas Brotzler
    Thomas Brotzler sagte:

    Seit 2008 ist einige Zeit ins Land gegangen. Wir haben hier bei Fokussiert noch weitere Artikel zum Lensbaby veröffentlicht, die dem geneigten Leser zum Durcharbeiten empfohlen werden können:

    [1] Mit der Entwicklung und Wirkungsweise befaßt sich das Tutorial „Lensbaby-Objektive“ vom April 2013.

    [2] Die Unterschiede zwischen „Lensbaby-Bildern“ und „Lensbaby-Look“ beschreibt das Tutorial „Lensbaby-Look“ vom Mai 2013.

    [3] Meinen eigenen Ansatz der „monochromen Streetfotografie mit Lensbaby“ zeigt das Tutorial „Fallstricke und Lösungsansätze in der Streetfotografie“ vom Oktober 2014, dort insbesondere der 6. Abschnitt auf.

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  2. Horst Klemme
    Horst Klemme sagte:

    Was will ich, fotografieren oder am Rechner bearbeiten ? Ich finde das Lens Baby ist ein schönes Spielzeug und für Leute die fotografieren wollen eine Herausforderung .Ich kann aber auch meine Zeit am Rechner verbringen und auf Teufel komm raus bearbeiten !!!

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  3. mee
    mee sagte:

    Das Lens Baby ist echt super. Hab das auch mit meiner D300 im Einsatz (jedoch die neue Version). Leider ist jedoch ein klarer Nachteil zum Nikkon Objektive, dass der Unschärfebereich nur rund ist und nicht als Linie durch das Bild geht.
    Der Effekt ist trotzdem da, aber es sieht irgendwie toller aus mit dem linearen Effekt …

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  4. Christian Kurmann
    Christian Kurmann sagte:

    Hallo zusammen,

    Ich bin Fan des Lensbaby. Wie dieser bericht zeigt lässt sich das Lensbaby nicht wirklich für genaues verwenden. Und einverstanden man kann das gleiche auch in der Nachbearbeitung machen. NUR: Weil es eben immer etwas unerwartetes am Ergebnis hat bekommt man Resultate wie man sie nicht erwartet hat und genau das sind dann oft die schönsten Bilder. Wenn man im PS was editiert muss man schon eine ziemlich klare Vorstellung haben was man erreichen will. Damit wird das künstlerische Ergebnis von seinen eigenen Fähigkeiten im PS und der vordefinierten Meinung eingeschränkt. Mit Lensbaby oder Lomo kommt unerwartet besseres hervor. (Nebst 90% schrott natürlich ;-). Ich bin aber einverstanden das der Preis etwas hoch ist. Aber gerade jetzt ist Ausverkauf und die „alten“ 2 und 3G gehen für ca 70 respektive 110 euro.

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  5. Peter Sennhauser
    Peter Sennhauser sagte:

    Stefan, Gerd: Ich komme zu dem gleichen Schluss – angereichert mit der Frage, ob sich eine Investition von 260 Euro für einen Lomo-Effekt lohnt. Zumal man ihn per Software genau so haben kann.

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  6. Gerd Orfey
    Gerd Orfey sagte:

    Stefan Junger hat recht. Das Lensbaby ist kein Tilt-/Shiftobjektiv und wird auch nicht als solches beworben. Von daher wundert es auch nicht, wenn es diese Anforderung nicht erfüllen kann.

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  7. Stefan Junger
    Stefan Junger sagte:

    Wenn man meint im Lensbaby einen preisgünstigen Ersatz für eine Fachkamera oder ein Tilt/Shift-Objektiv gefunden zu haben, dann führt dies sicher schnell zu Frust. Wenn man hier aber einen ähnlichen kreativen Weg sucht wie bei der Lomografie, ist man sicher auf den richtigen Weg.

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