Traumwandlerin: Idee und Resultat

Langzeitbelichtungen in Menschenmengen bieten tolle Effekt-Möglichkeiten. Alle anderen fotografischen Grundregeln dürfen dabei aber auch angewandt werden.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Dariusz Misztal).

Kommentar des Fotografen:

Das ist ein Bild dass mir schon lange Zeit durch den Kopf gegangen ist. Mir kam die Idee als ich einen Artikel zum Thema Schlafwandeln gelesen habe. Ich wollte irgendwas darstellen, dass das Träumen deutlich verstärkt und nicht so real wirkt. Da kamen mir die verschwommenen Leute, der Schlafanzug und der Teddy in den Sinn. Die Ausführung war witzig. Sonntag nachmittag in der Kölner Innenstadt. Viele neugierige Blicke, Kommentare und sogar zwei mal die Frage ob sie auch mit aufs Bild dürfen. Wir haben uns amüsiert :-) Wir haben auch Passanten angesprochen ob sie mitmachen wollen. Sehr offene Menschen in Köln. Und sogar Polizisten waren sich nicht zu schade mitzumachen ;-) Ich zähle das noch nicht zu der digitalen Kunst, weil nicht die Bearbeitung wichtig ist, sondern die Aussage zu der Thematik. Es wurden drei Bilder gemacht um eine gleichmäßige Belichtung aller Ebenen zu bekommen. Das Hauptbild (stehendes Mädchen) aber wurde mit Blende 4.5 bei 1/100s, ISO 160 und 24mm gemacht. Damit die Leute verschwommen dargestellt werden hab ich die Zeit hochgeschraubt und die Blende erhöht. Für den Himmel genau umgekehrt. Die Bilder wurden mit der Nikon D80 gemacht. Lieben Gruß Dariusz

Peter Sennhauser meint zum Bild von Dariusz Misztal:

Eine junge Frau im Schlafanzug steht, mit Teddybär an der Hand, mit geschlossenen Augen in einer geschäftigen Ladenstrasse. Links und rechts von ihr strömen die Menschen in der Bewegungsunschärfe entlang den Schaufenstern.

Methoden, um (vermeintlich) feststehende Objekte inmitten von Bewegungsunschärfe glasklar abzubilden, gibt es mindestens drei Methoden:

Während der Aufnahme (mit sehr ruhiger Hand…) ein- oder auszoomen, in einer Menge mit einem Bewegten Objekt mitziehen oder eben ein feststehendes Subjekt in einer bewegten Menge mit langer Belichtungszeit aufnehmen.

Die ersten beiden Methoden verlangen viel Geschick, die letzte eine gute Planung. Du wolltest hier eine Traumszene mit dieser Technik generieren, und das ist Dir nicht schlecht gelungen.

Ich denke allerdings, dass sich aus dem Sujet noch viel mehr herausholen liesse – und Du Dich dabei vielleicht mehr auf die Komposition des Fotos als auf die reine Bildtechnik konzentrieren solltest.

Die Dreifachbelichtung beispielsweise halte ich für überflüssig – das Bild würde sich in einer Aufnahme machen lassen, wobei das Stück Himmel nicht unbedingt sein muss.

Mich stört nämlich vor allem der sehr statische Bildaufbau: Genau zentriert, ohne bewegte Masse zwischen Kamera und Subjekt, auf Augenhöhe, mit direkt in einen zentralen Fluchtpunkt verlaufenden Linien.

Traumszenen im Film werden dagegen häufig aus sehr ungewöhnlichen Perspektiven fotografiert – namentlich die „Aus dem Körper“-Erfahrung, der Blick von oben auf das Geschehen, wäre hier einen Versuch wert.

Und das nicht nur, um die statischen Linien zu brechen, sondern auch, um den Fluss der Menschen rund um das Subjekt herum strömen zu lassen. Das hätte sich zum Beispiel mit einer Bockleiter und einem überhöhten Stativ von rechts oben undmit dem extrem-Weitwinkel mit zusätzlichen Verzerreffekten anstellen lassen. Dadurch hätten die Menschen die Möglichkeit gehabt, zwischen Dir und dem Mädchen hindurch zu gehen, der Himmel wäre aus dem Bildausschnitt herausgefallen, udn die gesamte Szenerie würde verträumter, unwirklicher erscheinen.

Dazu wäre natürlich etwas mehr Aufwand und vielleicht sogar ein weiterer Helfer nötig gewesen, der die Passanten gebeten hätte, weiterzugehen als ob nichts wäre. Aber deshalb heisst das ja auch „Konzeptfotografie“.

Jedenfalls ein vielversprechender Anfang, der sich noch weiterentwickeln lässt.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Thomas Brotzler
    Thomas Brotzler sagte:

    Ich mag diese Art von Konzeptfotografie sehr, die „aus einer Idee eine Bild werden läßt“ und darüber hinaus mit traumartig-vagen Bildelementen arbeitet. Aber ich sehe es wie der Rezensent: es ist zu wenig verdichtet in der Aussage, und der blaue Himmel lenkt vom Motiv und eigentlichen Geschehen zu stark ab. Die zentrale Positionierung des Motiv im Sinne einer ikonenartigen Darstellung stört mich hingegen weniger. Solche Szenen und Ideen lassen sich nach meinem Dafürhalten übrigens auch ganz gut mit dem Lensbaby realisieren.

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  2. Peter Pietruk
    Peter Pietruk sagte:

    Die statische zentrale Anordnung der weiß gekleideten Person mit hängenden Schultern und an den Beinen anliegenden Händen erinnert mich an das Gemälde GILLES von A. Watteau und stört mich daher weniger.
    Die 24mm Weitwinkelperspektive führen dazu, dass die Leute sich am Rand des Bildes relativ schnell zu bewegen scheinen, während im Hintergrund kaum noch Bewegung erkennbar ist.
    Falls das so nicht beabsichtigt war, solltest Du eine andere Perspektive wählen oder die Belichtungszeit noch WESENTLICH länger wählen.

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