Tunnelfoto: Subjekt verstärkt Leere

Manchmal ist eine eindeutige Bildaussage zu viel des Guten. Leere wirkt leerer, wenn etwas drin zu sehen ist.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Ronny Ritschel).

Kommentar des Fotografen:

Die Aufnahme ist im Rahmen eines Photowalks in Hamburg entstanden. Sie zeigt den alten Elbtunnel in einer sehr bekannten Perspektive. Ich finde, dass Bearbeitung (1:1 Format, Kontrastanhebung + leichte Tonung) der Aufnahme das gewisse Etwas verleiht. Tonungen sind natürlich immer Geschmackssache, dennoch finde ich sie passend zu der metallenen Verkleidung.

Profi Stuart Schwartz meint zum Bild von Ronny Ritschel:

Eine interessante Aufnahme – aber auch eine sehr leere. Das mag die Absicht gewesen sein, aber ich brauche ein Subjekt.

Da sind zwei Menschen weit, weit hinten im Tunnel in der Fotografie zu sehen, und meiner Ansicht nach sind sie zu weit weg. Die Aufnahme würde extrem an Kraft gewinnen, wenn ein Quäntchen Leben den Kontrast bilden würde:

Das könnte zum Beispiel ein Pärchen sein, vielleicht auf halbem Weg durch den Tunnel. Es würde damit zu einer zweiten und nicht erst zur dritten Betrachtungsebene. So lässt sich die Tiefenwirkung immens verstärken und damit auch den beabsichtigen Eindruck von Leere. Leere allein wirkt paradoxerweise weniger leer als ein Subjekt, das sich in der Leere befindet.

Der Blickwinkel gefällt mir sehr, er ist nahezu perfekt: Du hast die Perspektive geschickt genutzt, um die Distanzen und den Raum zu betonen und gleichzeitig einige architektonische Eigenheiten in den Vordergrund zu rücken. Durch die niedrige Position werden die Linien am Boden verstärkt; der Gehsteig und die Metallverkleidung der Tunnelwand ziehen das Auge des betrachters in die Fotografie hinein. Das ist besonders schön gemacht, weil es mehr als eine Gruppe an Führungslinien gibt.

Aber daran kann man sich auch stören: Nun hat der Fotograf ein perfektes Beispiel einer vereinnahmenden Perspektive geschaffen – aber was genau betrachten wir eigentlich? Hier muss ich mich wiederholen: Die Menschen im Tunnel müssten eine dominantere Rolle spielen.

Das Licht ist in einer solchen Situation ein unverräckbarer Umstand, mit dem man arbeiten muss und auf das man keinen Einfluss nehmen kann, aber ich würde die Mitteltöne etwas runterziehen und den Kontrast leicht verstärken, was den sterilen Eindruck des Motivs ein wenig reduzieren würde.

Egal ob ich mit eigenen oder fremden Bildern arbeite, ich spiele immer lange mit dem Ausschnitt herum. Es ist wahrscheinlich das einfachste Werkzeug, mit dem ein Fotograf seine Arbeit verbessern kann. Unbestritten ist Deine Komposition im Quadratbeschnitt eine gute Wahl, aber es ist noch immer einiges an Fläche vorhanden, die das Motiv nicht unterstützt. Versuche immer, zusätzliche Spannung zu schaffen.

Ein gelungenes Bild trotz aller Kritik: Weiter so, Ronny.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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7 Kommentare
  1. p.gutzat
    p.gutzat sagte:

    ich finde die aufnahme GELUNGEN,eine gute wahl in S/W.
    der standpunkt ist gut gewählt,eine andere sichtweise des SO OFT GRAFIERTEN TUNNELS.

    gruss peter gutzat

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  2. Ronny
    Ronny sagte:

    Danke Thomas für Deine Einschätzung zur Aufnahme. Im Hinblick auf den Kontrast hat Du genau meine Absicht erkannt. Den Kontrast noch weiter zu verstärken, hätte dazu geführt, dass die Mitten praktisch nicht mehr erkennbar sind.

    Gruß
    Ronny

    Antworten
  3. Dr. Thomas Brotzler
    Dr. Thomas Brotzler sagte:

    Den Dynamikumfang in solch schwieriger Belichtungssituation zu meistern, ist eine Leistung. Insofern gefällt mir besonders, daß Ronny hier die Mitten so nuancenreich darstellen konnte. In dieser Situation „die Histogrammkurve herunterzuziehen“ und den Kontrast somit zu verstärken, wie von Stuart empfohlen, ist daher aus meiner Sicht kontraproduktiv.

    Die Komposition ist sehr gelungen und raumgreifend. Die in Zone I angesiedelten, unteren Bildpartien fungieren als ein kompositorischer Sockel und unterstützen die Blickführung. Das von Stuart beschworene Verdichtungspotential sehe ich deswegen nicht.

    Hinsichtlich der Einbindung der Menschen finde auch ich das Bild zu unentschlossen. Das Paar hätte entweder etwas mehr Prominenz verdient oder auch ganz fehlen können – ich sehe sehr wohl Platz für eine geomtrisch-abstrakte Stadtlandschaft, die auch ohne Menschen „funktioniert“. M. E. ist Stuart hier zu sehr auf seinen Blick als Werbefotograf fixiert, der in seiner Intention letztlich immer auf den Blickkontakt zwischen Betrachter und abgebildeter Person abzielt.

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  4. Ronny
    Ronny sagte:

    Vielen Dank für die ausführliche Bildkritik und vorallem der Hinweis zur zweiten Bildebene. Hier muss ich Dir leider recht geben. Ein wenig warten hätte dem Foto im Hinblick auf das Fussgängerpärchen gut getan.

    Es gibt noch viel zu lernen…

    Gruß
    Ronny

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