U-Bahn-Foto: Der entscheidende Augenblick

Street photography, oder zu deutsch Straßenfotografie, lebt vom Augenblick, der eingefangen wurde – mehr noch als andere Arten der Fotografie, weshalb die üblichen Gesetze von Technik und Komposition außer acht gelassen werden können.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Cüneyt Bekler).

Kommentar des Fotografen:

In der Münchner U-Bahn, leider nur mit dem iPhone fotografiert, weil ich diese natürliche Atmosphäre nicht verändern wollte. In dem Augenblick, in dem ich meine Kamera rausgeholt hätte, wäre alles verloren. Mich würde interessieren, wie man solche Aufnahmen spontan, ohne dass dieser Zauber des Moments weg ist, sonst machen kann. Wohl eher nicht, oder??

Profi Sofie Dittmann meint zum Bild von Cüneyt Bekler:

Henri Cartier-Bresson, einer der Väter von Street, sprach gerne vom „entscheidenden Augenblick“ eines Fotos. Dieser Ausspruch wurde ihm später zum Fluch, weil er immer wieder zitiert wurde.

Auch wenn er auf den ersten Blick trivial klingt, ist er doch so einfach, wie er manchmal unerreichbar scheint. Was ich damit meine, ist, daß wir als Fotografen natürlich alle zu wissen glauben, wann wir auf den Auslöser drücken müssen, um eine Szene einzufangen. Das Schwierige daran ist, daß wir es im Großteil der Fälle bestenfalls so quasi schaffen.

Du hast mit deinem Foto, aufgenommen in der Münchner U-Bahn, eine stimmungsvolle Szene eingefangen. Der Mann im Vordergrund schaut nachdenklich vor sich hin. Er wirkt irgendwie müde. Die Frau mit Kopftuch eine Reihe dahinter hat Dich in dem Moment gesehen, als Du das Foto gemacht hast – sie schaut direkt in die Kamera. Du mußtest das iPhone direkt auf Gesichtshöhe halten, um diese Aufnahme zu machen – und das fällt natürlich auf.

Der Sepiaton paßt zu diesem Foto, wenn es allerdings auch OK gewesen wäre, es nur schwarzweiß zu belassen. Daß die Jacke der jungen Frau rechts absäuft, finde ich hier nicht störend, da sie Nebensache ist. Auch sind die Leuchtstoffröhren rechts ausgebrannt, was aber meines Erachtens nicht zu verhindern war.

Die Lichtverhältnisse waren hier schwierig, denn Du mußtest mit Kunstlicht arbeiten. Das iPhone hat zwar eine gute Kamera – verglichen mit anderen Mobiltelefonen – aber viel Kontrolle hat man über die Einstellungen verglichen mit „normalen“ Kameras nicht. Als Randbemerkung: Es gibt übrigens eine ganze Fotografiebewegung, die sich „iPhoneography“ nennt, und die sich wie bei anderen „Kultkameras“ die Unzulänglichkeiten als Positives zunutze macht.

Man könnte argumentieren, daß die Jacke in PS hätte aufgehellt werden können, aber wichtiger noch ist es, daß die Jacke des Mannes und die Bank, auf der er sitzt, genug Detail haben, und das ist hier der Fall. Die hellen Stellen, einmal ausgebrannt, sind nicht zurückzuholen. Wie gesagt, bei einer Momentaufnahme wie dieser hier (und mit dieser Kamera), muß man eben Abstriche hinnehmen.

Anstatt auf der technischen Seite herumzureiten, möchte ich mich Deiner Frage widmen, wie solche Aufnahmen generell zu machen seien. Ich selbst bin ein großer Fan von Strassenfotografie, und nerve meine Familie zu Tode, wenn wir irgendwo außerhalb des Kaffs sind, wo wir wohnen, weil ich praktisch ununterbrochen fotografiere. Street, genauso wie alle anderen Arten von Fotografie, erfordert Übung, Übung, Übung, damit man ein bischen mehr Kontrolle darüber erhält, wie sich eine Szene vor einem entfaltet.

Und Zeit.

Wenn Du an Strassenfotografie interessiert bist, würde ich Dir folgendes empfehlen:

Erstens einmal würde ich eine Kamera benutzen, die Dir mehr Kontrolle gibt, als das iPhone, aber klein genug ist, um nicht ohne weiteres aufzufallen. Cartier-Bresson etwa hat mit einer Leica fotografiert, und manchmal sogar aus seiner Jacke heraus oder mit einem Taschentuch darüber. David Hurn geht/ging ebenso vor. Meine v-Lux hat einen ziemlich guten Zoom, wenn er auch digital ist, und daher viel Bildrauschen bringt. Auch ist die Kamera ziemlich groß. Allerdings macht sie unglaubliche Fotos und ist insgesamt sehr vielseitig, weswegen ich sie bevorzugt mitnehme, wenn ich Street fotografiere. Wenn ich mal groß bin, werde ich mir eine M9 kaufen – generell sind Rangefinder für diese Art Foto das Beste, wenn man sie sich leisten kann.

Weiterhin, nimm Dir Zeit. Manchmal braucht man nicht zu fotografieren; beobachten reicht, um das Auge zu schulen.

Und last but not least, leg Dir aus dem selben Grund ein paar Bücher von Leuten wie Cartier-Bresson, Hurn, Levitt zu. Übung macht den Meister.

Was das Natürliche und Spontane betrifft: In Deutschland gelten allerdings andere Regeln als hier in den USA, was das Fotografieren von Leuten in der Öffentlichkeit angeht. Peter Sennhauser spricht in diesem Zusammenhang gerne vom „Abmahnland“. Ohne Rechtsrat zu erteilen, ein kleiner Überblick: In den USA gilt das, was man „reasonable expectation of privacy“ nennt – wenn Du nicht damit rechnen konntest, in Deiner Privatsphäre ungestört zu sein (etwa an einem öffentlichen Ort), kannst Du Dich hinterher nicht beschweren, daß man Dich fotografiert hat.

In Deutschland dagegen gilt das Recht am eigenen Bild – was allerdings auch keine absolute Einschränkung ist. Ich persönlich denke, daß Strassenfotografie im klassischen Sinn nicht möglich ist, wenn man durch die Gegend läuft, und Unterschriften der Fotografierten sammelt, hinterher oder vorher. Vorher zerstört man dadurch eben den „entscheidenden Augenblick“, den Cartier-Bresson für so wichtig hielt. Und hinterher mag das manchmal auch nicht möglich sein, zu aufwendig, oder schlicht undurchführbar. Wenn Dich aber jemand bittet, sein Bild wieder zu löschen, würde ich es auf jeden Fall tun.

Eine hilfreiche Website zu Strassenfotografie könnte diese hier sein. Ich hoffe, es hilft.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Michael (R.)
    Michael (R.) sagte:

    Gerade die deutschen Regeln schützen den Einzelnen vor einer Überflutung mit Bildern im Netz. Anstatt über das Abmahnland zu lamentieren, sollten wir uns alle an der Nase packen und uns Fragen, wie wir es als Fotografen mit dem Persönlichkeitssschutz halten. Ist die Privatsphäre im Öffentlichen Raum tatsächlich passe? Brauchen wir noch mehr Exhibtionismus und Inszenierung?
    Lassen wir die Aushöhlung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu?
    Oder wiedersetzen wir uns, auch wenn das heisst, auf Streetfotos im herkömmlichen Sinn zu verzichten?
    Ich möchte schon gerne die Kontrolle darüber behalten, wer mich fotografiert und was mit den Fotos passiert. Nicht nur, aber auch zum ganz konkreten Selbstschutz. Es gibt Gegenden und politische Szenen in diesem Land, wo Fotos zur Waffe werden und Steckbriefe engagierte Menschen zu Vogelfreien erklären. Recht am eigenen Bild? Recht auf Schutz der Persönlichkeit? Recht auf körperliche Unversehrtheit? Recht auf Leben? Die Grenzen sind manchmal eng und keiner von uns weiss, wer in der Zukunft nach ihm fahnden wird…

    Antworten
    • Roland Horni
      Roland Horni sagte:

      Hallo Michael, schön wäre es ja, wenn wir die Kontrolle darüber hätten, wer uns fotografiert. Denke nur an all die Kameras, die uns überall im öffentlichen Raum überwachen, (und ob das für die Sicherheit etwas bringt, bleibe dahingestellt, verhindert hat es sicher noch nicht viel, höchstens bei der Fahndung kann es helfen) und es werden immer mehr.
      Andererseits, immer mehr Menschen stellen freiwillig ihr Konterfei ins Netz, z.B. auf Partyseiten, was auch nicht immer der Karriere förderlich ist…;-) Die oft noch jungen Menschen wissen anscheinend nicht, was sie damit anrichten können.

      Gute Streetfotografie ist sicher nicht ein Problem, wenn man das noch verbieten wollte, müsste man allen Touristen das Fotografieren verbieten, denn man kann kaum das Kolosseum in Rom oder seine Freunde an einen Strand ablichten, ohne dass darauf fremde Menschen zu sehen sind. Was ich jedoch ablehne ist, Menschen in einer kompromittierenden weise abzulichten, z.B. wie sie sich im Auto in der Nase bohren oder ihre Hose aus der Arschspalte ziehen.

      Aber nun zur Foto: Ich bin erstaunt, wie gut das Bild mit dem iPhon geworden ist. Auch meine Kamera in meinem Handy macht recht gute Fotos, 5MB.jpg bei Einstellung „gross“!
      Von der Bildkomposition her finde ich das Bild gelungen, auch was das Bild zeigt: einen, so scheint es, müden (von der Arbeit kommenden?) Mann, eine eher gelangweilt? – oder doch etwas ablehnend? – guckende Frau und jemand, der durchs Fenster schaut, als ob er auf dem Bahnsteig jemanden sucht, eine typische Strassenbahnszene.
      Ich hätte hier aber doch Hemmungen zu fotografieren, da man die Menschen darauf gut erkennen kann. Hinterher Rechte einzuholen, ist, wie Sofie schreibt, in den meisten Fällen nicht praktikabel. Ausserdem kenne ich einen Fotografen, der in der Strassenbahn fotografiert hat und auf einmal von jemandem angegriffen wurde und Verletzungen davon trug. Einmal wurde er auch verklagt und kam vor Gericht, wobei ihm eine nicht unerhebliche Busse auf gebrummt wurde. Sein Fehler war, dass er die Aufforderung, das Fotografieren zu unterlassen, nicht beachtet hat. Sofie hat recht, wenn jemand darum bittet, das Foto zu löschen oder aufzuhören, sollte man das unbedingt respektieren!

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