Überlagerter Foto-Film: Per Zufall zum Werk

Zeit spielt in der Fotografie eine grosse Rolle. Im Falle der Fotografie mit lange über seine Haltbarkeit hinaus gelagertem Foto-Film allerdings in einem ganz neuen Zusammenhang. Diesem Zufallselement widmet das Industrie- und Filmmuseum Wolfen eine Ausstellung.

Aufnahme mit überlagertem Film

Michael Doer

Nicht erst die totale technische Kontrolle durch die digitalen Kameras hat die Lust vieler Fotografen am Element Zufall geweckt: Lomographie war schon lange eine fotografische Sparte, bevor lustige Zufallsfilter aus der Handy-Kamera eine Bilderbox machten, die Unerwartetes ausspuckt. Inzwischen gibt es ein umfangreiches Sortiment an Lomographie-Kameras und Zubehör.

In der Film-Fotografie war der Zufall allerdings seit je her ein Element, das in den Ausdruck des Fotografen hineinspielte. Zeit war ausserdem nicht nur eine Grösse, die bei der Belichtung der Aufnahme eine zentrale Rolle spielte. Indem sie sich zwischen Aufnahme und Entwicklung legte wie meine Katze auf meine Tastatur wenn ich am Schreiben bin – die Resultate reifen ganz anders heran.

Das haben Pinhole-Fotografen auch schon mit Belichtungszeiten von einem halben Jahr und mehr auf die Spitze getrieben.

Eine weitere Art, Zeit in die Entstehung der Fotografien eingreifen zu lassen, ist die Analog-Fotografie mit überlagertem Film. Das sind Filmrollen, die lange über Ihre garantierte Haltbarkeitsdauer hinaus gelagert (oder liegen gelassen) worden sind. Man kann davon ausgehen, dass sie einen Teil ihrer Lichtempfindlichkeit bewahrt haben, aber welchen, das ist nicht zu sagen. Ein weiterer spannender Aspekt dürfte bei dieser Fotografie in der Beschaffung des Rohmaterials liegen – wer nicht gerade eine alte Fotohandlung räumen konnte, dürfte auf der ständigen Suche nach Filmrollen sein, die auf Dachböden unbelichtet zehn oder mehr Jahre herumgelegen haben…

Ausgerechnet in einer ehemaligen Filmfabrik, im Industrie- und Filmmuseum Wolfen bei Bitterfeld, sind derzeit Werke ausgestellt, die so entstanden sind: Der Kurator des Museums, Uwe Holz, war bei einem Streifzug durchs Internet auf eine Gruppe von Fotografinnen und Fotografen gestossen, die sich diesem Phänomen widmet und es gezielt als gestalterischen Prozess einsetzt.

Jetzt sind die Arbeiten der Amateurfotografen Christel und Ewald Lücke, Peter Schwindt, Birgit Streich, Roger Schmidt, Steffen Löser, Michael Dörr und Maike Venzl-Terbrüggen noch bis zum 24. Januar 2016 in Wolfen zu sehen.

© Christel Lücke – Stadthafen Bitterfeld

© Christel Lücke – Stadthafen Bitterfeld

Die Auswirkungen der Überlagerung des Analog-Films reichen von weissen Sternen…

…bis zu schwarzen Vogelschwärmen und einer eigenartigen Patina.

Sie alle arbeiten auch mit hochwertiger digitaler Ausstattung und wissen, was auf diesem Wege machbar ist und wäre. Und dennoch ist für sie der analoge Weg mit unberechenbarem Material auch eine weitere Möglichkeit, sich fotografisch kreativ zu betätigen. Ob diese Art der Lichtbildnerei in die Unzahl von Retro-Bewegungen einzuordnen sind, muss nun jeder für sich selbst entscheiden. Aber vielleicht verhält es sich hier wie mit der CD und der Platte aus Vinyl. Auf jeden Fall aber ist Dialog zwischen Bild und Betrachter möglich – schreibt das Museum im Pressetext.

Industrie- und Filmmuseum Wolfen
Chemiepark Bitterfeld-Wolfen, Areal A
Bunsenstraße 4
06766 Bitterfeld-Wolfen
Telefon: 03494-636741

Eintritt: 5,00/2,50 EURO (inkl. Dauerausstellung)
Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag: 10.00 – 16.00 Uhr
Montag geschlossen.

2 Kommentare
  1. Gregor Boos
    Gregor Boos sagte:

    Ich habe im letzten Jahr auch deutlich überlagerten Film benutzt (MHD 2002 – 2005).
    Ergebnis: Bei S/W nach 10 Jahren im Schrank keinerlei Veränderung, bei Farbfilmen zeigen die ersten 30cm einen deutlichen Schleier (da die Farbfilme nicht – wie die SW-Filme – in lichtdichten Dosen verpackt sind), der Rest des Films ist unauffäliig.
    Man braucht also entweder deutlich überlagerten Film (20 Jahre und älter), Film, den man ein paar Jahre im Handschuhfach des Autos spazieren fährt oder man lässt belichteten Film ein paar Jahre vor der Entwicklung reifen, das gibt echte Zufallsergebnisse.

    Antworten

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] Bilder wurden allesamt auf altem, unbelichtetem Farbfilm aufgenommen, der in der verlassenen Stadt Pripyat, 5 Kilometer entfernt von Tschernobyl, gefunden […]

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu Gregor Boos Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert