Ufer-Stillleben: Die Madonna über dem Wasser

Eine ausgeglichene Belichtung ist bei Gegenlichtaufnahmen mit der Sonne praktisch unmöglich. Es gibt aber Hilfsmittel und Tricks, um extreme Kontrastprobleme abzuschwächen.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Johann Kühnl).

Kommentar des Fotografen:

Für ein Projekt fotografiere ich zur Zeit die Leitern und Treppen in Strandbädern in ihrer Eigenschaft als Grenzübergänge – nicht nur zwischen Land und Wasser, sondern vor allem zwischen Zivilisation und Natur. Das ist eins davon, entstanden am Attersee/OÖ.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Johann Kühnl:

Ein von der abendlichen Sonne beleuchteter Holzsteg führt vom Betrachter weg in den unmittelbaren Vordergrund dieser Schwarz-Weiss-Fotografie. Die Bügel der daran rechts versetzt montierten Badeleiter liegen genau in der horizontalen Bildmitte, ihre Schatten fallen nach schräg rechts unten über die zum Fluchtpunkt weisenden Latten des Stegs. Das Klare Wasser eines Sees füllt das Bild bis etwa einen Drittel in der Vertikalen, dahinter zieht sich von rechts eine Bergkette nach links über den Horizont, wo die Sonne gleissend unter leichten Wolken durchscheint.

Gegenlichtaufnahmen sind ein heikles Unterfangen. Wenn die Sonne direkt im Bild zu sehen ist und nicht von Wolken verdeckt wird, ist der Kontrastumfang jedenfalls zu gross für den Sensor:

So auch hier, mit heftigen Auswirkungen.

Kommen wir aber zuerst auf die Komposition des Bildes zu sprechen, die einen in ihren Bann zu ziehen vermag: Der kleine Badesteg im Vordergrund dominiert das Bild auf den ersten Blick. Dabei kommt es zu einem spannenden Spiel der einfachen Linien: Die Linien der Holzbretter, die in der Perspektive einen Fächer bilden; eine Reihe Nägel, die quer dazu verläuft und die Griffholme der Leiter, deren Schatten einen starken diagonalen Vektor bilden.

Alle diese Linien ziehen die Blicke über den Steg hinaus ins Wasser, Richtung Fluchtpunkt, zum Horizont mit Bergen und Wolkenhimmel. Es herrscht eine Art „spannende Ruhe“, die nur leicht bewegte Wasseroberfläche verstärkt den Eindruck von Hitze.

Und dann ist da links oben die Sonne, die erbarmungslos auf uns niederbrennt, den Sprung in die andere Dimension des Wassers über den Steg hinaus schon fast ratsam zu machen scheint.

Ein sehr einfaches und gerade deshalb spannendes Bild, weil es mit sehr wenigen Elementen einen bleibenden Eindruck vermittelt. Immerhin gibt es auf den zweiten Blick zusätzliche Details zu entdecken wie den Grund des Sees rechts vom Steg oder die Bebauung der gegenüberliegenden Hänge am Seeufer, den dynamischen Wolkenhimmel – und die Sonne.

Nun, der Elefant ist im Raum, und wir müssen ihn zur Kenntnis nehmen: Die gleissende Sonne ist eigentlich nicht zu sehen, weil ihr Lichtschein nicht nur ihren Umfang, sondern die gesamte Bildregion inklusive der Spiegelungen auf dem Wasser total überstrahlt.

Es gibt keinen grund, pujristisch zu sein: Es ist absolut denkbar, dass in einem Bild einzelne Stellen zeichnungsfrei ausbrennen – aber hier ist das Ausmass und nicht zuletzt die Form der überbelichteten Fläche zu gross. Es wirkt, als schwebe ein gleissender Körper über dem Wasser – der allerdings im Nachhinein relativ grob ins Bild gezeichnet wurde. Eine Wasserhose aus Licht sozusagen – eine „Lichthose“ demnach, die aber durch die relativ harten Konturen sehr unwirklich erscheint.

Diese Interpretation kann man mit so einem Bild natürlich auch beabsichtigen, aber dann müsste man es in der Kategorie digitale Kunst oder Expressionismus betrachten. Da Du selber Landschaftsfotografie gewählt hast bleiben wir bei diesem Genre, und dafür ist die „Madonna im Lichtschein“ im Bild zu dominant. Zudem scheint mir die gesamte rechte Bildhälfte von Linsenreflexionen durchzogen (Lensflare), was hier aber weniger störend und nicht sehr akzentuiert ist.

Was hätte man gegen die extreme Überstrahlung der Sonne und der Spiegelung auf dem Wasser tun können? Es gibt mindestens drei Strategien: Eine Belichtungsreihe hätte Dir die Möglichkeit gegeben, ein HDR oder eine virtuelle Kontrastabstufung anzulegen und den gesamten oder sogar nur Teile des oberen Bildbereichs abzudunkeln.

Eine Silhouetten-Gegenlichtaufnahme hätte in diesem Fall auch funktionieren können, was allerdings die Struktur des Stegs, die das Bild jetzt spannend macht, ausgewischt hätte.

Mit einem Neutralgrau-Verlaufsfilter – einem ziemlich starken, ist dazu zu sagen – hätte sich hier die obere Bildhälfte während der Aufnahme teilweise abdunkeln lassen.

Mit dem Ultraweitwinkel von 10mm hattest Du keine Möglichkeit, den Standort und die Perspektive so zu ändern, dass die Sonne aus dem Bildrahmen gefallen wäre – und selbst wenn, hättest Du die gleissenden Spiegelungen im Wasser noch mitgenommen. Deswegen war eigentlich bei der Planung der Aufnahme schon klar, dass dies passieren würde, und Du hättest eine entsprechende Strategie entwickeln können.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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7 Kommentare
  1. Johann Kühnl
    Johann Kühnl sagte:

    Ich freue mich natürlich, daß es gleich mein erstes Bild in die Besprechung geschafft hat. Was die Kategorie anlangt – Landschaft ist mein Hauptmetier, und ich stelle in allen Foren meine Bilder fast schon automatisch in diese Kategorie. Hier war das ein Fehler, ich hätte das Bild so deklarieren müssen, wie es gemeint ist: als künstlerische Arbeit, oder zumindest als ein Versuch einer solchen. Dieser „brutale“ Gegenlichtreflex ist so beabsichtigt, es gibt natürlich eine Belichtungsreihe, und auch in diesem Bild wäre aus dem originalen RAW noch wesentlich mehr Lichterzeichnung zu holen gewesen. Aber die Version mit runder Sonne und glitzerndem Gegenlicht auf dem Wasser hat nicht diese Kraft, und vor allem das unterschwellig beunruhigende dieser Aufnahme geht dann verloren. Also mea culpa, falsche Kategorie.

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    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Hallo Johann

      Ich mich nicht ganz exakt ausgedrückt – auch in der Kategorie „Digitale Kunst“ ist mir die Madonna zu dominant. Es Die Überstrahlung sieht einfach sehr viel mehr wie ein Fotografenfehler denn wie Absicht aus. Sorry ;-)

  2. Christian Gruber
    Christian Gruber sagte:

    Als zwischenschritt sehe ich noch die Möglichkeit, einen Polfilter einzusetzten. Mit ihm sollte es möglich sein, die Reflexionen auf dem Wasser zu reduzieren.

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  3. Sophie
    Sophie sagte:

    Mir gefallen die Handläufe und die Schatten, welche sie werfen sehr. Als nächstes, eigentlich zeitgleich sehe ich dann tatsächlich die Sonne, die das Bild förmlich ausfrisst. Ich werde mir auf jeden Fall einen Grauverlaufsfilter kaufen, da ich das bei meinen Bildern auch schon bemerkt habe.

    Ansonsten: Ich freue mich über die schöne Bildbeschreibung! Welche geglückten Worte du (mal wieder) gefunden hast.

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  4. Thomas
    Thomas sagte:

    Zum angesprochenen Kritikpunkt der ausgebrannten Sonne: Wäre es nicht auch noch eine weitere Möglichkeit, eine halbe oder dreiviertel Stunde zu warten? Die Sonne wäre dann knapp über dem Horizont, oder sogar schon leicht dahinter, hätte viel weniger Kraft. Der Bildwirkung hätte es meiner Meinung nach aber keinen Abbruch getan.

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