Urlaubsfoto: Auf- statt über die Schulter

Fotos vom Typ „Blick über die Schulter“ müssen etwas zeigen, wohin zu blicken es sich lohnt. Oder eine interessante Schulter. Das fehlt hier.

Mädchen mit Fernglas

Olympus E-450, 1/500s bei Blende 8 mit 43mm Brennweite und ISO 100. © Oliver Diallo

Oliver Diallo aus Hamburg: Ich habe das Bild in Laboe an der Ostsee aufgenommen. Das Mädchen auf dem Bild ist die Tochter meiner Freundin.

In unserer WordPress-Installation für dieses Blog gibt es ein Werkzeug, mit dem man den wichtigsten Teil eines Fotos markieren kann – die Software sorgt dafür, dass in allen möglichen Bildschnitten dieser Teil enthalten bleibt. Wenn ich bei einer Fotografie nicht weiss, wohin ich das Fadenkreuz setzen soll, stimmt etwas an dem Bild nicht. 

Diese Farbfotografie in flachem Querformat zeigt ein junges Mädchen mit langem, braunem Haar, das mit einem Fernglas auf den Ozean hinausblickt. der Horizont ist dabei in der linken Bildhälfte sichtbar, die junge Frau dagegen sehen wir von hinten und können ausser ihrem Haar und dem violetten Hemd nichts von ihr wirklich sehen. Das Objekt ihrer Neugier ist nicht im Bildausschnitt enthalten. Die Schärfe liegt auf dem Mädchen, die Schärfentiefe lässt zwei Segelboote in Horizontnähe in der Unschärfe verschwimmen.

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Was hast Du an dieser Fotografie falsch gemacht?

Technisch gesehen: Nichts. Sie ist korrekt belichtet, die Schärfe sitzt, und die Verkippung nach links hast Du, wie man unschwer an den dünnen, schwarzen Keilen links und rechts am Bildrand erkennt, korrigiert, damit der Horizont genau waagerecht liegt (nebenbei gesagt: Ich finde das absolut wesentlich, weil ein schräger Horizont, zumal wenn er nur sehr geringfügig kippt, unheimlich irritiert, ohne dass ich als Betrachter verstehe, weshalb).

[bildkritik]

Reden wir also über das, was das Bild zeigt. Du kategorisierst es als „Schnappschuss“. Das sind Fotografien, die aus dem Moment heraus entstehen, wobei der Fotograf oder die Fotografin leichte Unzulänglichkeiten in Kauf nimmt, weil er oder sie das flüchtige Motiv festhalten will.

Hier ist allerdings nichts erkennbar, was nur wenige Sekunden zu dauern scheint und deshalb „geschossen“ werden muss: Wenn Die Tochter deiner Freundin den Horizont mit dem Fernglas absucht, dauert das wohl länger, als Du für die Aufnahme brauchst. Und Ihre Haltung ist, ehrlich jetzt, nichts besonderes oder anders, als ich das erwarten würde. Du hättest also durchaus Zeit gehabt, Einstellungen an der Kamera und deine Position zugunsten der Komposition (Wolken hinter dem Kopf/Segelschiffe/Objekte am Horizont) auszurichten.

Du betitelst das Bild mit „Blick in die Ferne“. Was ich als Betrachter sehe, ist jemand, der diesen Blick führt, aber ich sehe nicht, was der Blick anvisiert. Und deshalb frage ich mich, was Du mir denn zeigen willst, was das Motiv deines Schnappschusses ist.

Mit der Schärfe sagst Du mir, es ist das Mädchen: Dort sitzt der Fokus, ich kann das Haarband genau unter die Lupe nehmen oder die Schulter, auf die wir eigentlich blicken.

Nur: Was Uns Menschen interessiert, nämlich das Gesicht und vor allem die Augen anderer Menschen, ist nicht zu sehen. Es ist fast gar nichts von der jungen Frau zu sehen, was mehr als eine halbe Sekunde zu faszinieren vermag.

Das müsste nicht sein: Wenn wir wenigstens einen Teil des Gesichts von der Seite sähen, die angestrengt zugekniffenen Augen, die Konzentration, Freude über das beobachtete Motiv oder sonst irgendeinen kleinen Anker, an dem etwas Emotion in das Bild flösse: Dann wäre alles gut.

Leider ist das nicht so. Das Konkreteste, was ich hier sehe, und was noch dazu sauber im Goldenen Schnitt platziert ist, ist der [amazon B01G2FK0RE]Schriftzug des Fernglas-Herstellers[/amazon] – und der ist hoffentlich nicht Dein Motiv, ausser das Bild ist Werbung für diese Marke.

Die Alternative, und zwar die, welche der Titel insinuiert, wäre das Objekt der Beobachtung Deiner Stieftochter als Motiv: Was sie in der Ferne sieht, was im Zentrum ihres Blicks steht. Dann wäre das Foto nicht der Blick auf eine Schulter, sondern über diese Schulter. Dazu müsste die Schärfentiefe auf dem Objekt in der Ferne liegen, das Mädchen wäre unscharfer Vordergrund und würde als Schatten das eigentliche Motiv in einen rahmen setzen.

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