Wenn die Tiefe fehlt: Der Nachteil der Kompakten

Kompakte Digitalkameras haben einen unüberwindbaren Nachteil gegenüber Spiegelreflex und andern Digitalkameras mit grossem Sensor: Sie bringen zu viel Schärfe in die Tiefe. Und daran lässt sich leider kaum etwas ändern, den die Ursache liegt in der Sensorgrösse.

(„Separatdruck“ eines Abschnitts aus einem bereits veröffentlichten Testbericht)

Erdbeeren

Gestaltete Raumtiefe: Wenn die zuckerbestreuten Erdbeeren…

Erdbeeren

…sich als etwas ganz anderes erweisen.

Immer mal wieder werde ich gefragt, warum ich mich mit einer vier Kilo schweren Spiegelreflexkamera von der Grösse einer kleinen Katze abschleppe, wo doch inzwischen selbst die kleinsten Digitalen 10 Megapixel auf den PC bringen und „hervorragende Bilder machen“.

Die Antwort ist: Weil ich das Bild gerne selber mache, und das kann ich mit einer Kompakten nur beschränkt. Denn das Bild „macht“ in erster Linie die Komposition, und eines der Gestaltungselemente ist die Schärfentiefe. Und das fällt bei den Kompaktkameras fast vollständig weg.

Denn diese eine Bildebene, die vor allem bei Tele-Aufnahmen als einzige scharf ist, während Vorder- und Hintergrund verschwimmen; die sich mit Fachkameras und Anti-Scheimpflug gar schräg stellen lässt oder durch nachträgliche Verstärkung verblüffende Effekte erzeugt, hängt direkt mit der physikalischen Brennweite einer Kamera zusammen.

Die Kompakten aber verfügen über einen dermassen winzigen Bildsensor, dass der Abstand zwischen diesem und der Linse ebenfalls massiv schrumpft, weil der gleiche Bildausschnitt wie beim Kleinbildfilm (36mm) abgebildet werden soll. Diese kurzen physikalischen Brennweiten werden zu Vergleichszwecken in „Kleinbildäquivalent“ angegeben – was den Vergrösserungsfaktor beschreibt. Viele Kompakte mit einem KB-äquivalenten Normal-Objektiv von 50mm weisen tatsächlich eine reale Brennweite von grade mal 6mm auf.

Schärfentiefenvergleich: Kompaktkamera

Zweimal Blende 4,9 (respektive 5): Einmal bei der kompakten Leica D-Lux3…

Aber was für die Vergrösserung, das gilt nicht für die Schärfentiefe: Sie ist direkt von der physikalischen Brennweite abhängig und lässt sich nicht „umrechnen“. Will heissen: Eine offene Blende – die dazu dient, den Schärfenbereich im Bild auf die Fokus-Ebene zu beschränken und davor- und dahinter liegende Bildteile in Unschärfe zu maskieren – bringt bei den extrem kurzen Brennweiten der Kleinsensoren kaum mehr sichtbare Unterschiede der Schärfentiefe. Ein zweiter Faktor in der Schärfentiefen-Berechnung ist der Zerstreuungskreis-Durchmesser, etwa übersetzbar mit der Pixelgrösse auf dem Sensor. Ein Winzsensor mit sehr hoher Auflösung hat winzige Pixel und beeinflusst die „Miniaturisierung“ der Schärfentiefe weiter. Dabei bleibt das Verhältnis von Schärfentiefe und Brennweite zu Zerstreuungskreis das gleiche, aber weil sich zwei Grössen ind er Gleichung absolut reduzieren, reduziert sich auch die Schärfentiefe absolut.

Schärfentiefenvergleich: Spiegelreflex

..und zum Vergleich diejenige der Nikon D200. Beide bei ISO 200.

Das schränkt den Gestaltungsspielraum des Fotografen arg ein. Während der Schärfentiefe-Effekt bei Digitalen Spiegelreflex mit der Brennweite zunimmt, ist davon bei den Kompakten deutlich weniger zu spüren: Wo mit einer Spiegelreflex dank Tele-Aufnahme eine Bildebene deutlich in der Schärfe heraussticht, ist bei einer Kompakten bei äquivalenter Brennweite (dem gleichen Vergrösserungsfaktor) sehr viel mehr des Bildes im Schärfebereich.

Das verdeutlicht das Bild von Kathy, das mit der D-Lux 3 und einer Nikon D200 bei vergleichbarer Vergrösserung geschossen wurde.

An diesem Nachteil der Kleinsensoren lässt sich nicht viel ändern. Man könnte es auch als Vorteil sehen, denn weil ihre Lichtempfindlichkeit ohnehin deutlich geringer ist als die der grösseren Sensoren, wie sie in den Spiegelreflex-Kameras verbaut werden, muss ohnehin meist mit weit offener Blende fotografiert werden. Da kommt es nicht ganz ungelegen, dass die Schärfentiefe in jedem Fall bestehen bleibt.

Der Gestaltungsfreiheit raubt dieser Umstand aber doch viel von den Möglichkeiten. Und auch wenn inzwischen Photoshop-Filter und Programme wie das (meiner Ansicht nach völlig vermurkste) PaintShop Pro 11 eine nachträgliche Anpassung der Schärfentiefe per Mausklick erlauben: Das ist kein Ersatz für das Sehen im Feld, und nur zu oft entstehen damit Fotos mit völlig unnatürlicher DOF-Wirkung (Depth of Field, Tiefenschärfe). Ein umfangreiches Tutorial zur Schärfentiefe und ihrem Einsatz in der kreativen Fotografie findet sich hier.

12 Kommentare
  1. Peter Sennhauser
    Peter Sennhauser sagte:

    (Späte, sehr späte Antwort…) Es gibt Ausnahmen unter den Kompakten, die sich dem Trend zu kleineren (und billigeren) Sensoren mit noch mehr Auflösung widersetzen – und weil der Zerstreuungskreisdurchmesser für die Schärfentiefe von maßgeblicher Bedeutung ist, schneiden diese Kameras mit beispielsweise 1/1.8-Zoll-Sensor besser ab als die 1/2.7-Zoll-Winzsensoren. „Bestens“ klappt es dabei allerdings nicht, nur „besser“ ;-), und den SLR näher kommt die Masse der Kompakten auch kaum – der Markt für Kleinkameras mit Grosssensoren dürfte extrem beschränkt sein.
    Auskunft über die Kennzahlen gibt diese Zerstreuungskreis-Tabelle.

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  2. Strohsilo
    Strohsilo sagte:

    Mit der P5000 von Nikon klappt das bestens mit den Schärfeebenen. Die G7 von Canon kann das auch und ich würde behaupten, da gibts mittlerweile noch einige mehr, die einer SLR auf dem Gebiet näher kommen.

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  1. […] (oder sehr kleinem Sensor) am einfachsten: Kamerahersteller haben deshalb damit geworben, dass ihre Kompakten immer scharfe Fotos schiessen. Dass das nicht in allen Fällen die besten sind, merken Fotografen […]

  2. […] habe schon vor zehn Jahren darauf hingewiesen, dass der grösste Nachteil der kompakten Digital- (oder auch Analog!) Kameras darin besteht, dass die Kontrolle über die Schärfentiefe, welche ein wichtiges Gestaltungselement […]

  3. […] Riesenrad oder auf den Fensterausschnitt scharf stelle. Für einmal kam Dir hierbei vielleicht die durchgehende Schärfentiefe zugute, welche diese winzigen Sensoren in den Smartphones meistens liefern – physikalisch ist eigentlich gar nichts anders möglich, […]

  4. […] auf den ersten Blick auffällt, ist der nicht sonderlich unscharfe Hintergrund. Kompaktkameras haben dank ihrer meist recht kleinen Sensoren den Vorteil, dass man nahe an die Dinge heran kann und sie immer noch scharf stellen können. Der hier zu […]

  5. […] ist gewissermassen die Umkehrung der Verhältnisse, die (leider) dafür sorgen, dass Kompaktkameras auch bei grossen Blenden mehr Schärfentiefe liefern – was so eigentlich nicht stimmt: sie liefern mehr Schärfentiefe bei gleicher Fokusdistanz und […]

  6. […] grösste Nachteil von Kompakten Digitalkameras, abgesehen von ihrem Rauschen, ihrer übermässigen Tiefenschärfe, den Megapixel-Orgien und dem fehlenden RAW-Modus ist der Umstand, dass man auf die eingebaute […]

  7. […] E3: Schwenk-Live View für ProfisSuperzoom auch für VideoWenn die Tiefe fehlt: Der Nachteil der Kompakten Weiterleiten Drucken yigg it! wong it! del.icio.us Trackback URL 2 […]

  8. […] und schön. Doch wer will auf jedem Spaziergang ein Gerät von Volumen und Gewicht einer kleinen Katze (und mitunter auch eines dicken Garfields) mit sich herumschleppen? Ausgerechnet, wenn man vor dem […]

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