Wetter und Fotografie: Den Schweinehund überwinden

Wer als Landschaftsfotograf bei vermeintlich „schlechtem“ Wetter den inneren Schweinhund niederringt, dem winkt als Belohnung die Energie für Monate voller Motivation. Ein Erlebnisbericht.

Mono Lake, CA. Das Geisterschiff (Foto © P. Sennhauser).

Ich habe mir am Wochenenden auf dem Rückweg von Las Vegas (von der Elektronikmesse CES) einen Umweg durch die östliche Sierra Nevada gegönnt, um noch ein oder zwei Landschaftsshootings mitzunehmen.

Die Fahrt durchs Death Valley nach Lone Pine und von da aus nach Norden via Bishop an den Mono Lake bietet eine Strecke voller versteckter Schönheiten. Aber häufig verstecken sich die grössten Schönheiten hinter nichts anderem als dem inneren Schweinehund.

Wie wir gleich sehen werden.

Alabama Hills, CA, (Foto © PS)

Allerdings wollte das Wetter nicht so richtig mitspielen. Rechtzeitig vor Sonnenuntergang um 17.00 Uhr war ich zwar in den Alabama-Hills bei Lone Pine, einer Hügelkette voller rundgeschliffener Felsformationen vor der majestätischen Gipfellinie der Sierra, die für zahllose Western- und andere Filme als Kulisse gedient hat. Aber die Sonne hatte sich bereits hinter einigen gräulichen Wolkenschleiern verzogen. In der Hoffnung, diese könnten beim Sonnenuntergang in knalligen Farben aufleuchten, habe ich dennoch aufgebaut und durchaus ein- oder zwei ansehliche Bilder machen können.

Danach gings im Dunkeln drei Stunden weiter nach Norden an den Mono Lake, einen auf 2000 Metern Höhe gelegenen See, der doppelt so salzig wie Meerwasser und 100 mal alkalischer ist:

Das Resultat der chemischen Zusammensetzung sind unglaubliche Kalksteinformationen am Seeufer, wo einst Süsswasser aus dem Untergrund durch den Boden drang und im stehenden See-Wasser – damals bei noch höherem Pegelstand – seinen Kalk wie ein Vulkan in meterhohen Säulen ablagerte.

Mono Lake, Tuffa-Formationen. (Foto © P. Sennhauser) 1/60s, 16mm (24mm), ISO 400, -0.7EV, f/5

Mono Lake, Tuffa-Formationen. (Foto © P. Sennhauser) 1/60s, 16mm (24mm), ISO 400, -0.7EV, f/5

Es ist einer dieser Orte im amerikanischen Westen, den kein Fotograf auslassen kann, und obwohl ich mehrfach in der Eastern Sierra unterwegs war, habe ich es bisher nicht an den Mono Lake geschafft. Laut Aussagen befreundeteter Fotografen ist der kleine Nationalpark am südlichen Ufer des Sees der Hotspot, an welchem sie die erste Prügelei von Foto-Enthusiasten im Streit um die beste Schusslinie im Morgengrauen oder vor Sonnenuntergang erwarten… Und Gedränge herrscht inzwischen im Morgengrauen an vielen markanten Punkten des ganzen Landes.

Jedenfalls bin ich etwa um 20 Uhr am See angekommen, habe ein Quartier in einer kleinen Lodge gefunden und mich nach dem besten Ort für die morgendliche Fotografiestunde erkundigt. Der Hotelangestellte zückte eine kleine Skizze, auf welcher der Weg ans Seeufer bereits bunt markiert war, und sagte wissend, das sei der Punkt, wo ich sein müsste. Aha.

Alles perfekt so weit: Ich war vor Ort, wusste, wann die Sonne aufgehen würde und dass ich vierzehn Meilen zu fahren hatte.

Tuffa-Formationen am Mono Lake.

Tuffa-Formationen am Mono Lake.

Fisheye-Experiment (Fotos © PS)

Fisheye-Experiment (Fotos © PS)

Bloss: Es herrschte dickster Nebel. Für die Nacht war überfrierende Nässe angekündigt worden, im Dunkeln vor der Lodge konnte man kaum zehn Meter weit sehen. Der via Internet (das Hotel hat eine Satellitenverbindung – die Gegend ist so abgelegen, dass es keine Kabel gibt) abgerufene Wetterbericht und ein „Recherchegespräch“ im kleinen Gemischtwarenladen, der einzigen noch geöffneten Verpflegungsmöglichkeit – ergaben: frühestens um 10, vielleicht später, wird sich der Nebel auflösen.

So. Was tun? Ich war hundemüde: Sieben Stunden Autofahrt und eine Woche in den lärmigsten, überfülltesten Messehallen in der lärmigsten, überfülltesten Stadt der USA in den Knochen, wollte ich eigentlich nur noch schlafen.

Schliesslich war auch noch Arbeit angesagt. Aber als ich – lange nach Mitternacht – bettreif war, kam mir ein Kommentar in den Sinn, den ich eben erst selber abgegeben hatte: vermeintlich schlechtes Wetter ist häufig eine fotografische Chance. Bilder vom Mono Lake in untergehender Sonne mit glasklaren Spiegelungen gibt es, nun, wie Sand am Meer. Aber die „Stalagmiten“ der Tuffa-Formationen müssten eigentlich auch im Nebel beeindruckend sein.
verlauf.jpg
Ich stellte also den Wecker auf sechs Uhr, um bei Dämmerungsbeginn um 6.30 Uhr am Seeufer zu sein.

Wie gerädert erwachte ich zum Gefiepe meines Handys, warf mich ungewaschen und wie in Trance in die Klamotten und verliess das Motelzimmer – in den dichtesten Nebel, den ich seit langem gesehen habe, der die Strasse in eine Eisbahn verwandelt hatte. Ausserdem war es absolut stockdunkel.

fünf Meilen den Highway runter warf ich einen Blick auf die Uhr im Cockpit meines alten Golf und traute meinen Augen nicht: 4:15 Uhr. Das Handy aber zeigte 6:15 Uhr. Die Armbanduhr hingegen schlug sich auf die Seite des Autos: Weil der Netzanbieter in Lee Vining offenbar eine falsche Systemzeit führte und ich mein Handy so eingestellt habe, dass es sich nach Flugreisen automatisch auf neue Zeitzonen einstellt, hatte es mich nach rund einer Stunde aus dem Schlaf gerissen statt nach drei.

Ehrlich gesagt war auch die Fahrt in der stockdunklen Nacht und die Vorstellung, bei diesen Bedingungen eine Meile ans Seeufer zu wandern, nicht verführerisch, und auf dem Rückweg ins Motel wurde die Versuchung, einfach ins Bett zu kriechen und auszuschlafen, beinahe zum Beschluss.

Aber dann warf ich nochmals einen Blick in den Nebel zwischen den Bäumen mit seinen Spukbildern. Und zusammen mit dem trotzigen Gedanken, was ich jetzt schon alles durchgemacht hatte, führte das dazu, den Wecker neu zu stellen und eineinhalb Stunden – in den Kleidern – zu dösen.

Als ich um viertel nach 6 erneut losfuhr, war es deutlich heller und damit freundlicher. Die Strasse zum Nationalpark war ein letztes Hindernis: Der Abzweiger vom Highway führte auf eine mit rund fünf Zentimetern verkrusteten Schnees bedeckte Seitenstrasse, die laut GPS noch zwei Meilen abwärts zum See führte. Und nocheinmal sagte ich dem innern Schweinehund, dass ich nach all den Bemühungen lieber auf dem Rückweg im Schnee stecken bleiben und einen Abschleppdienst anrufen würde, als jetzt aufzugeben.

Ablagerungen am Seeufer. (Foto © PS)

Auf dem Parkplatz (für einige hundert Autos) am Ufer war ich der einzige Besucher. Keine Spur von zu Faustkämpfen bereiten Fotografen. Vielleicht auch, weil sie es besser wussten und sich einen anderen Tag ausgesucht hatten, sagte ich mir, und machte mich auf den Fussmarsch durchs Halbdunkel an den (übel riechenden) See.

Was mich da erwartete, ist ein Deja-Vu von der Art, von der ich nicht genug kriegen kann: Man kommt an einen Ort, den man aus hunderten von Bildern, Schilderungen, ja sogar Filmen beinahe schon zu kennen glaubt. Und ist von der Realität dennoch oder grade darum einfach überwältigt.

Die Tuffa-Formationen bei „South Tuffa“ formen eine absolut bizzarre Landschaft, wie die Kulisse für einen anderen Planeten aus einer der alten Enterprise-Episoden. Meterhoch ragen sie auf, ganze Wälder stehen in Gruppen, dazwischen führt der Pfad zum tiefer liegenden Wasser, welches an den Ufersteinen und trocken stehenden Tuffa-Säulen knallgelbe Schwefelkristalle ablagert.

Etwas weniger überraschend, weil erhofft, zeigte sich der Nebel von seiner freundlichen Seite und liess genau so viel Sichtweite zu, dass die Tuffa-„Inseln“ einige Meter im Wasser draussen noch gut zu sehen waren. Dafür aber wurde der Rest der Landschaft verhüllt. Und zwar nicht nur das gegenüberliegende Seeufer, sondern auch schon die Horizontlinie. Anders gesagt: Zwischen Wasser und Himmel gab es keinen sichtbaren Übergang mehr.

Noch mehr Fisheye am Mono Lake (Foto © PS)

Noch mehr Fisheye (Foto © PS)

Die Fotos, die in den nächsten 30 Minuten entstanden, sind mir eine einzige Freude, auch wenn ich in der Verschlafenheit vergessen habe, nach den ersten dunklen Minuten die Empfindlichkeit von 400 ISO wieder herunterzunehmen und deswegen einige der Bilder etwas körnig sind.

Aber zusammen mit der fast völligen Windstille und der leicht gerippelten Spiegelung der Tuffa-Formationen sorgt der Nebel für eine Traumwelt in den Bildern, wie ich sie in all den Tausenden von Fotos im Internet kaum nochmals gefunden habe.

Ich habe nicht die typischen Mono-Lake-Fotografien gekriegt, nach denen die Hobbyfotografen hier streben und um die sie sich – angeblich – demnächst morgens prügeln werden. Ich habe ganz andere, dunklere, mystischere Bilder gekriegt, die diesem eigenartigen Morgen entsprechen, die unglaubliche Stille abbilden, die mich überall in den Weiten des Westens fasziniert und in der Mojave-Wüste genauso ohrenbetäubend ist wie in den Redwood-Wäldern an der nordkalifornischen Küste.

Darin liegt für mich das Erfolgserlebnis dieses anstrengenden Morgens. Drei, vier Fotografien, an denen ich grosse Freude habe. Nicht nur, weil sie an sich wirkungsvoll sind, sondern weil diese Wirkung meiner Stimmung entspricht an diesem nebligen Morgen, meine Eindrücke umsetzt und dabei eben individuell und einzigartig sind, obwohl zwischen diesen Tuffa-Brocken vor mir Abertausende von vielfach weit erfahreneren und besseren Fotografen faszinierende Fotos geschossen haben.

Hätte ich ausgeschlafen, dann hätte ich mehr Energie gehabt an diesem Sonntag für die Heimfahrt nach San Francisco. So war ich danach noch fünf Stunden übermüdet im Auto unterwegs. Die Energie aber ist gespeichert in dieser Hand voller Fotos, die mich künftig immer dann mich aufraffen lassen werden, wenn ich eine Gelegenheit wegen angeblich „schlechten Wetters“ oder ganz einfach Faulheit sausen lassen will.

9 Kommentare
  1. Thomas
    Thomas sagte:

    Verdammt. Ich war letztes Jahr am Mono Lake, zum Sonnenuntergang. Wie ich Deine Bilder so sehe, hätte ich wohl besser noch zwei Stunden länger bleiben sollen, statt bei Einbruch der Dunkelheit zurück nach Lee Vining zu fahren.
    Danke für den schönen Bericht und die super Bilder!
    Gruß, Thomas

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  2. Andreas
    Andreas sagte:

    Toller & sehr unterhaltsam zu lesender Artikel! (die Sache mit der falschen Uhrzeit hätte mir auch passieren können ;-)) Aber ich finde das frühe Aufstehen hat sich definitiv gelohnt: Gerade das erste Bild vermittelt für mich viel von der geschilderten Atmosphäre (und wurde so bisher vermutlich kaum oder gar nicht fotografiert).

    Als notorischer Langschläfer habe ich immer das gleiche Problem, und es auch schon oft erlebt, das ich (oder mein innerer Schweinehund?) den Wecker noch mal ne halbe Stunde vorgestellt habe. Dein Artikel macht mir Mut, das nächste Mal einfach aufzustehen. :)

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  3. bee
    bee sagte:

    Ganz toll geschrieben! Ein absoluter Mutmach-Artikel, dem Wetter und der Uhrzeit zu trotzen. Gerade, weil du nicht „seht her, es geht doch, also stellt euch nicht so an“ sagst. Sondern: „Es IST scheiße, aber es lohnt sich trotzdem!“ ;)

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  4. DonDahlmann
    DonDahlmann sagte:

    Ja, dieses frühe Aufstehen ist die Hölle. Ich war letztes Jahr am Mono Lake, um halb fünf aufgestanden, halb erfroren, vier andere Fotografen, die da waren. Hölle. Noch schlimmer war es nur in Zabriski Point, da konnte man vor Fotografen kaum treten. Und soooo toll fand ich das dann da auch nicht am, Mono Lake. (Siehe Bilder http://www.ipernity.com/doc/dondahlmann/2189037/in/album/70491?from=2189038&at=1213362521) Da find ich Deine Nebelbilder deutlich interessanter.

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  5. Chris
    Chris sagte:

    Den Schweinehund kenne ich persönlich auch sehr gut. 0400 aufstehen um vor Beginn der Blauen Stunde vor Ort zu sein? Mein Verstand sagt mir immer wieder, dass es Wahnsinn sei – besonders, wo ich doch ein Langschläfer bin und lieber erst um 12 aus dem Bett kletter. Meist überwinde ich mich dann doch früh auf zu stehen, meinen Drahtesel zu satteln und los zu fahren – auch um hin und wieder fest zu stellen, dass es sich nicht gelohnt hat – aber das ist nun mal so – dafür ist die Ausbeute an anderen Tagen gut…

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  1. […] Hitze hin, um das perfekte Foto zu schießen. Davon hat eben Peter Sennhauser berichtet – den Schweinehund überwinden. Man kann selbstverständlich auch gute Schnappschüsse in diesen Situationen machen. Allerdings […]

  2. […] Kalksteinsäulen am Ufer, genannt Tufa, vielen Fotografen ein Begriff sind. Vor einem Jahr habe ich am Mono Lake schon morgendliche Nebelaufnahmen gemacht, und diesmal wollte ich es mit den Sternspuren […]

  3. […] einige Ratschläge, die hier in den vergangenen Wochen in der Kritik erschienen sind. Vom inneren Schweinehund zu Tiefe im Foto zu einfacher Komposition – ein insgesamt sehr gelungenes […]

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