Winterlandschaft: Reduktion ins Detail

Minimalismus wirkt besonders, wenn er nicht simplifiziert. Vielschichtigkeit ist eine seltene Qualität.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Alexander Fechner).

Kommentar des Fotografen:

Brandenburg – Dez 2010

Peter Sennhauser meint zum Bild von Alexander Fechner:

Eine Winterlandschaft, weiss in weiss, in der Horizontalen zweigeteilt durch eine aus der linken Bildseite in einen Fluchtpunkt etwa im Goldenen Schnitt rechts verlaufenden Baumreihe. Die Bäume sind von überfrierendem Nebel ebenfalls weiss eingefärbt und heben sich mit der Schattenseite zum Betrachter in dunklem Blau vom helleren, von Wolken durchzogenen Himmel der oberen Bildhälfte ab.

Diese Fotografie kann ich mir an vielen (prominenten) Orten publiziert vorstellen:

Als Kunstdruck in massiver Vergrösserung gerahmt an einer (weissen) Wand in einer modernen Wohnung ebenso wie als Titelbild für eine Reportage über den Winter in Brandenburg, als Symbolbild zu einem Aufsatz über die Zeit – und so weiter.

Denn das Bild hat eine Qualität, die vielen ähnlichen, minimalistisch komponierten Aufnahmen abgeht: Es wirkt zuerst durch die grafische Reduktion. Dann aber eben auch durch die bildliche Ästhetik, mit inhaltlichen Ausdruck und schliesslich im Detail. Mit mindestens vier Ebenen, die der Rezipient ergründen kann, wird es weder auf den zweiten, dritten noch auf den vierten Blick langweilig.

Zunächst ist auf der bildlichen Ebene eine Situation zu sehen, die man zwar kennt, aber nicht sehr oft sieht: Ein klirrend kalter Wintertag fast ohne Horizont, der die Landschaft in ein Kleid hüllt, das ihr ein vollkommen anderes Aussehen verleiht: Die Bäume sind so weiss wie das bedeckte Feld, das auch ein See oder eine Sandwüste sein könnte; der Himmel ist die Fortsetzung der Distanz.

In der grafischen Ansicht sucht das Auge nach Kontrast, den eine solche Landschaft vermeintlich nicht aufweist – bis man sich an die Helligkeit gewöhnt hat und die feinen Schatten, die Verläufe und die erstaunlichen Farben zu entdecken beginnt: Blaue Bäume und weisse Steppe, kleine „Noppen“ am Boden und Kilometerlange Eisfedern am Himmel.

Auf den ersten Bick nehmen wir nur die Zweiteilung und den ins unendlich zu verlaufen scheinenden Fluchtpunkt-Blickwinkel wahr, was an sich ein schöner Blickfang und ausreichend für ein gutes Bild ist.

Dann aber eröffnen sich beim „herantreten“ weitere Details und Linien: Die Diagonalen im Schatten der Bodenwellen, die fast nahtlos aufgenommen werden von den Verlaufsvektoren der Wolken am Himmel – im spitzen Winkel zur Horizontlinie von rechts unten und links oben ineinander überlaufend. Aus der rein horizontalen Dynamik, die auf den Fluchtpunkt setzt, entsteht plötzlich eine zweite Tiefenwirkung.

Diese wird wiederum durch die Details verstärkt, wie die kleinen Erhebungen in der Schneefläche im Vordergrund – ja, dieses Bild hat einen stark akzentuierten Vordergrund, nämlich die Struktur der Schneefläche, auf welcher der Fokus liegt.

Solch mehrschichtige Aufnahmen setzen viel Erfahrung voraus. Wer anfängt zu fotografieren, wird zuerst Motive sehen lernen. Es folgt die Kompositionslehre, dann die weiterführende Bildgestaltung und schliesslich der Punkt, an dem man versucht, all diese Dinge in der Reduktion zu veredeln. Auf diesem Niveau hätten viele von uns wohl das Motiv und seine Einfachheit gesehen, es möglichst reduziert fotografiert – und ein gutes Bild damit gemacht.

Die nächste Stufe aber besteht darin, nach der Reduktion weitere Schichten über das Bild zu legen. Das Motiv wird minimalisiert, das Bild als Ganzes aber erhält zusätzliche Komplexität.

Alex hat dazu hier zwei Tricks eingesetzt, die ich vor allem auch im Zusammenhang mit der kürzlich hier geführten Diskussion über fotografische Regeln und die Veranlassung, sie zu brechen, bemerkenswert finde.

Er hat zunächst alle Regeln eingehalten: Goldener Schnitt in der horizontalen Aufteilung, ausgeglichene Belichtung usw.

Und dann hat er zwei Gestaltungsregeln aus der Landschaftsfotografie gebrochen – mit ausserordentlich wichtigen Resultaten:

1. Alex hat das Bild halbiert, was unter Landschaftsfotografen ausser für Spiegelungen verpönt ist. Und damit macht er aus dem Schneefeld im Vordergrund eine Spiegelung des Himmels, jedenfalls in unserem, vielleicht auch bereits konditionierten, Bildverständnis.

2. Mit der verhältnismässig offenen Blende – vor allem für ein dermassen helles Motiv – von 5.6 sorgt er trotz des Weitwinkels dafür, dass in der Ferne eine leichte Unschärfe entsteht. Damit wird die Verwischung des Horizonts, eine Zentrale der Bildaussage ist, um genau das richtige Mass verstärkt und der vermeintlich unwesentliche Vordergrund in Form der Schneeoberfläche ohne Penetranz betont.

Diese beiden Zusatzschritte in der Gestaltung sorgen meiner Meinung nach für eine Verdoppelung des Bildeffekts, den die meisten Fotografen erzielt hätten, indem sie sich mit Motiv, Komposition und Reduktion zufrieden gegeben hätten.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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3 Kommentare
  1. Christian Gruber
    Christian Gruber sagte:

    Um hier einen merkbaren Schärfentiefeeffekt zu erhalten, muß der Fokus geziehlt auf etwa 3,2-3,4 Metern Entfernung gerichtet sein. Ich glaub eher an die normale Dunstwirkung.
    Ob die etwa 0,8° Neigung der Bildwirkung zugute kommt kann ich schwer einschätzen. Genauso Weißabgleich und Belichtungskorrektur. Persönlich hat mir das Bild für den doch harmonischen und stillen Bildaufbau verstörend, ausnahmslos triste, ins graue gehende Farben. Den blauen Himmel etwas stärker hervorarbeiten.
    Wobei natürlich ein gewaltiger Unterschied zwischen dem hier gezeigten Onlinebild und einem etwaigen Ausdruck sein wird.
    Grundsätzlich aber eine inspirierende Bildidee.

    Antworten
    • Peter Sennhauser
      Peter Sennhauser sagte:

      Christian, die Hyperfokale Distanz bei f/5.6 und 24mm liegt für die 5D Mark II zwar tatsächlich bereits bei 3.42 Metern – ich halte aber die Distanz im Vordergrund für deutlich kürzer als dies. Wäre der Fokus auf die Bäume gesetzt worden mit, sagen wir, 30 Metern (bitte beachten: dies ist eine Weitwinkelaufnahme), dann wäre im Vordergrund bereits auf vier Metern Tiefe wieder eine Unschärfe vorhanden. Das ist allerdings alles Theorie, mir ging’s mehr darum zu sagen, dass ich hier wie im Bild eine leichte Unschärfe am Horizont zu erreichen versucht hätte, ob mit Dunst oder nahe gesetztem Fokus ist eigentlich egal.

      Was deine Kritik an den Farben angeht, habe ich ein Problem: Ich sehe pastellene Blau- und ganz leichte Rosa-Töne. Kann sein, dass ich meinen Monitor mal wieder kalibrieren muss, aber Grau sehe ich wirklich nicht.

    • Christian Gruber
      Christian Gruber sagte:

      Dein Monitor ist sicher besser als meine alte Röhre. Rosa bewegt sich bei mir in der Jpeg-Fragment-Dimension. Ist mir auch bewusst, das das was wir hier an Farben sehen teilweise von der Originalqualität entfernt ist – wie geschrieben.
      Wobei den Farben – Sprachwortschatz ausgeprägter ist als meiner. Grau ist für mich Weißes in verschiedener Helligkeit, schwarz ist ja auch kein Licht. Ergo meine ich mit ins graue gehende Farben blasse, helle Töne.
      Zurück zum Bild denke ich, der kleine farbige Himmelteil könnte kräftiger sein, um die Harmonie und Ruhe zu verstärken. Das beim Schnee selbst nicht mehr möglich ist versteht sich auch, mal vom Weißabgleich abgesehen. Blasse Farben wirken auf mich trist, und blass ist eine Winter – Landschaftsfoto schnell. Hier hätte ich die Harmonie betont

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