Yto Barrada: Zwischen Poesie und Politik
Ihre Heimatstadt Tanger und die Sehnsucht der jungen Marokkaner nach Freiheit und Wohlstand – das sind die Themen von Yto Barrada in Bildern zwischen Poesie und Politik.
Yto Barrada setzt sich schon über ein Jahrzehnt mit den politischen Realitäten in Nordafrika auseinander. Jetzt haben ihre Fotografien, Filme und Skulpturen noch besondere Aktualität gewonnen.
Das Interesse von Yto Barrada kreist um das Leben in ihrer marokkanischen Heimat Tanger, deren besondere Situation an der Straße von Gibraltar sinnbildlich für den aktuellen Umbruch in vielen Ländern Nordafrikas steht. Nur 13 Kilometer Luftlinie trennen hier Marokko und Spanien und das Europa des Schengener Abkommens. Aber die Straße von Gibraltar bildet ein unüberwindliches Hindernis für tausende von Einheimischen und Migranten aus anderen afrikanischen Staaten.
Yto Barrada sagt über ihre künstlerische Arbeit:
„Ich war immer aufmerksam für das, was unter der Oberfläche des öffentlichen Verhaltens liegt. In der Öffentlichkeit akzeptieren die Unterdrückten die Unterdrückung, aber hinter den Kulissen stellen sie diese ständig infrage. Subversive Taktiken der Armen, ihre Strategien, die Klassengesellschaft anzufechten, und ihre Formen der Sabotage – das ist es, was mich am meisten interessiert.“
Und weiter:
„Was mich auch interessiert, ist die Geste des Ungehorsams. Sie beinhaltet die Perspektive für eine Aktion. Wir haben uns an dieser interessanten Stelle zwischen Poesie und Politik angesiedelt. Das ist der Platz, an dem ich arbeiten will. Ich vermittle Information, aber ich bin keine Journalistin. Ich vermittle poetische Dinge, bin aber auch keine Dichterin. Meine Arbeit ist an der Peripherie dieser Bereiche angesiedelt.“
Mit ihrem „Strait Project“ („The Strait“ ist das englische Wort für die Meerenge) nähert sich Barrada Tanger und seinen Bewohnern und zeigt sie gefangen in einem permanenten Wartezustand, so teilen die Veranstalter der aktuellen Berliner Ausstellung mit. Sie zeigt keine dramatischen Ereignisse, keine verzweifelten Menschen, keine Gewalttätigkeiten, sondern kaum beachtete, unspektakuläre Aspekte des Lebens in der Stadt: Brachen, halb fertiggestellte Siedlungen am Stadtrand, Fabrikhallen, plakatierte Wände, Reste von Vegetation, spielende Kinder – und immer wieder Figuren, die der Kamera den Rücken kehren.
In ihren Serien wie dem Projekt „Iris Tingitana“ (2007) oder „Red Walls“ (2006) setzt sich Yto Barrada mit der Umweltzerstörung und der ökologischen und gesellschaftlichen Homogenisierung der Stadt und der sie umgebenden Naturräume auseinander. Auch das tut sie ganz ohne demonstrative Zuspitzungen. Mit derselben Sensibilität, mit der sie Menschen auf ihren Bildern begegnet, widmet sie sich in ihrer Landschafts- und Architekturfotografie scheinbar beiläufigen Details, die der breiten Aufmerksamkeit meistens entgehen.
Yto Barrada wurde 1971 in Frankreich geboren und wuchs in Tanger und Paris auf, wo sie an der Sorbonne Geschichtswissenschaften und Politologie studierte. Im Anschluss ging sie ans International Center of Photography New York. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Landsleute konnte Barrada frei ein- und ausreisen und Marokko aus einer Innen- und Außenperspektive betrachten. In diesem Sinne fokussieren sich ihre Werke nicht nur auf die Sehnsucht der Bewohner Tangers, in Europa Arbeit und Wohlstand zu finden, sondern auch auf den europäischen Blick auf Nordafrika.
Wir finden die Serien aus Tanger auf Yto Barradas Website. Von der Deutschen Bank wurde sie zur „Künstlerin des Jahres 2011“ ausgewählt. Ihr Werk – neben den Fotos auch die Skulpturen und Filme – sind nun erstmals in Deutschland zu sehen – in der Deutschen Guggenheim in Berlin.
„Riffs“ – der Titel der Ausstellung – soll an mehrere Begriffe erinnern: „Riffs“ als Ton- und Akkordfolgen in der Rock- und Popmusik, das Rif-Kino in Tanger, dessen Direktorin Yto Barrada ist und das gleichnamige Gebirge in der Nähe. Die seltene Pflanzenwelt des Rif-Gebirges, vielfach auch Schauplatz antikolonialer Aufstände, gerät zunehmend in Gefahr. Das ist Thema ihres Films „Beau Geste“ (2009). Er zeigt ein Yto Barrada angeheuertes Team, das in einem Akt des Guerilla-Gärtnerns eine verletzte Palme auf einer Brache pflegt, die einem geplanten Neubauprojekt weichen soll. Yto Barrada ist Aktivistin und ihre Arbeit immer durch eine Konstante bestimmt: die Solidarität mit dem Schwachen, dem Fragilen, dem vom Verschwinden Bedrohten.
Der Bildband [amazon 3775730206]Yto Barrada: Riffs[/amazon] erschien Ende April im Hatje Cantz-Verlag, Ostfildern.
Yto Barrada – Riffs
Bis 19. Juni
Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13/15, D-10117 Berlin
+49 (0)30 2020930, berlin.guggenheim@db.com
Geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr
Yto Barrada
Deutsche Guggenheim Berlin
Deutsche Bank – Künstlerin des Jahres 2011
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