Zeiger-Makro: Der unerbittliche Zeitverlauf

Makrofotografie lässt sich auch mit Tele-Objektiven realisieren. Die Schärfentiefe wird dabei sehr gering. Zum wirklich bewussten Freistellen aber sollte man sich lichtstarker Objektive bedienen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Antje Zwanzig).

Kommentar der Fotografin:

Ich wollte unbedingt mal ein Foto machen, bei dem man mit der Tiefenschärfe experimentieren kann. Dafür habe ich mir dieses Motiv ausgesucht. Ich hatte das Foto ursprünglich noch mit einem kleinen Spruch zum Thema „Zeit“ versehen, den ich hier mal weglasse … Jetzt interessiert mich natürlich, ob/wie mir dieses Foto gelungen ist.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Antje Zwanzig:

Natürlich weisst Du, dass Dir dieses Bild gelungen ist – und wie. Das Zusammenspiel der Zeigerspitze und der römischen 5 funktioniert so gut, dass man den Zeiger förmlich sich bewegen sieht. Der Hintergrund mit dem Stundenzeiger in der Unschärfe und dem Farbverlauf des Zifferblatts am Rand rahmt die Aufnahme sehr schön und lässt die Stunden sozusagen in der Unschärfe verrinnen.

Sehr schön gemacht und gut komponiert, vielleicht ein bisschen zu genau zwischen den Ecken in der Bilddiagonalen, wenn man denn etwas meckern muss.

Wenn Du mit der Schärfentiefe experimentieren wolltest, hast Du Dir aber grade ein doppelt besetztes Gebiet gewählt – das hier ist eine Makro-Fotografie mit dem Tele (70mm respektive 100mmm KB). Das geht zwar – aber für die Aufnahme ganz kleiner Dinge gibt es ja eigentlich die spezifisch dafür geschaffenen (und teuren) Makro-Objektive. Nur – wozu braucht man die, wenn das gleiche auch mit dem Tele geht?

Es geht eben nicht immer. Die meisten Tele-Zooms haben einen Mindestabstand von zirka einem halben Meter, den man, um noch scharf stellen zu können, einhalten muss. Das macht den Schnappschuss der Ameise auf der Armbanduhr dann doch eher schwierig. Makro-Objektive sind dagegen mit Linsen ausgestattet, die eine Annäherung bis ganz ans Objekt erlauben.

Was Du hier aber in erster Linie wolltest – eine geringe Schärfentiefe – das hast Du richtig umgesetzt. Die Schärfentiefe hängt von drei Faktoren ab, die zusammenspielen: Blende, Brennweite und Abstand zum Motiv.

Grundsätzlich führt eine offene Blende (kleine Blendenzahl) zu geringerer Schärfentiefe. Sie nimmt ausserdem mit höherer Brennweite und geringerer Entfernung zum Objekt ab. Die geringste Schärfentiefe erreichst Du mit einem Tele also, wenn Du die Blende ganz öffnest und mit der grössten Brennweite aus möglichst geringer Distanz fotografierst – ich schätze, das hast Du hier getan.

Eine geringe Schärfentiefe kann man zur „Freistellung“ von Motiven – etwa bei Porträts – benutzen, aber auch für den speziell dreidimensionalen Eindruck in einem Bild und zur Blickführung in einer Komposition.

Was wir Amateure und Anfänger leider häufig nicht realisieren, sind die gigantischen Unterschiede, die ein paar Blendenstufen ausmachen können – die meisten Prosumer-Spiegelreflex-Kameras werden heute mit Tele-Zoom im Bereich von 30mm bis vielleicht 100mm verkauft. Die wichtigere Zahlenkombination ist dabei aber die Blendenpaarung: 3.5-5.6, zum Beispiel: Sie besagt, welches die grösste Blende bei der Anfangs- und bei der Endbrennweite ist. Das beschreibt zugleich die Lichtstärke eines Objektivs. Je grösser die Blende (also je kleiner die Blendenzahl), desto weniger Licht wird benötigt, um noch aus der Hand fotografieren zu können – und umso geringer wird zugleich die Schärfentiefe. Jede Blendenstufe halbiert die Lichtmenge, die zum Film oder Sensor durchgelassen wird.

Je tiefer also die Zahlenpaarung auf dem Objektiv nach der Brennweitenangabe, um so mehr Licht leitet das Objektiv auf den Film weiter, umso länger kann mit verfügbarem Licht fotografiert werden, und umso stärker sind die Schärfentiefeneffekte. Die Qualität und der Preis eines Objektivs bemisst sich vor allem an diesem Wert, der Lichtstärke – und die wenigsten Anfänger haben heute Objektive mit Blenden unter 1/3.5 zur Hand. Uns entgeht deswegen die Erfahrung, was man mit deutlichen Schärfentiefeneffekten alles machen kann. Ein weiterer Grund dafür, dass bewusste Schärfentiefeneffekte trotz immer mehr „Fotografen“ mit Kompaktkameras kaum anzutreffen sind, liegt darin, dass diese Winzkameras selbst bei offener Blende alles scharf abzeichnen. Spiegelreflex-Fotografen indes hätten in diesem bereich ein grossartiges Gestaltungselement zur Verfügung, das sie aber meist zu wenig nutzen, weil sie keine entsprechend hochwertigen Objektive besitzen.

Dabei sind lichtstarke Normalobjektive – also Festbrennweiten zwischen 40 und 60 mm Kleinbild – gar nicht mal so teuer. Wenn Du wirklich herausfinden willst, was man mit Schärfentiefe jenseits der Makro- oder Telemakro-Fotografie machen kann, beschaffst Du Dir am besten ein 50mm-Normalobjektiv mit einer Lichtstärke von 1.8 oder mehr (geringere Zahl, grösste Blende). Für die ersten Versuche kann es sich dabei ja um ein gebrauchtes vielleicht sogar ohne Autofokus handeln – Du findest eine grosse Auswahl auf Ebay, in der Regel unter hundert Euro. Das 50mm ist auf Deiner Canon ein 70mm, also ein leichtes Tele – und damit fast genau eine ideale Porträtbrennweite, die Dir aber ganz andere Porträts erlauben wird, als Du sie jetzt mit deinem Zoom bei 50mm schiessen kannst.

Oder Du liest weiterhin regelmässig fokussiert,.com, wo ich in den nächsten Tagen auf genau dieses Thema – Lichtstärke, Festbrennweite und Schärfentiefe – und meinen Aha-Effekt zurückkomme.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
Mehr über die Profi-Bildkritik erfahren / Eigene Bilder zur Kritik einreichen.

[hide] Bilder für Galerie[/hide]

2 Kommentare
  1. martin
    martin sagte:

    Nur ein kleiner Tip, als Anmerkung:

    …Je tiefer also die Zahlenpaarung auf dem Objektiv … umso länger kann mit verfügbarem Licht fotografiert werden…

    Ist ein bisschen unglücklich formuliert, man könnte fälschlicher Weise an längere Belichtungszeiten denken (hab ich zumindest gedacht).Bei großer Bledenöfnung kann man natürlich eine kürzere Belichtungzeiten realisieren als mit kleinerer Blendenöffnug. Gemeint war wohl, bei schwindendem Umgebungslicht länger in der Lage zu sein verwacklungsfrei ohne Stativ zu fotografieren.

    Das Foto finde ich im übrigen auch sehr gelungen.

    Grüße martin

    Antworten

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] bookmarks tagged blogrollSaving time with paperless office software is easy to do. Zeiger-Makro: Der unerbittliche Zeitverlauf saved by 7 others     hihuli bookmarked on 01/10/09 | […]

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu martin Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert