Zufälliger „Film Noir“: Bewußter Fotografieren

Wenn auch ein zufälliger Schnappschuß einen Treffer landen kann, sollte man bewußt fotografische Entscheidungen fällen können, damit das Ergebnis wiederholbar wird. Dazu gehört Komposition.

powerline

Nikon D7100, 20mm, f/11, 1/100s, ISO 100 – (c) Andreas Matti

Leser Andreas Matti hat uns dieses Foto zur Besprechung eingereicht. Er schreibt dazu:

„Das Bild habe ich während einem Spaziergang zu Herbstbeginn auf dem Pfannenstiel aufgenommen (D7100, 20mm, f/11, 1/100s). Eigentlich beiläufig fotografiert, fiel mir zu Hause die Dramatik der Wolken in Kombination mit dem Strommast auf, welche ich mit der S/W-Umwandlung verstärken wollte. Ich bin mir bezüglich der stürzenden Linien des Strommasts jedoch nicht sicher, ob diese nun für das Bild vorteilhaft oder störend sind.“

Vor kurzem habe ich bei fokussiert einen Artikelzweiteiler veröffentlicht, der sich mit Drauflosfotografieren beschäftigte. Genauer gesagt ging es darum, daß sich viele Leute wundern, warum ihre Fotos wie Anfängerschnappschüsse wirken, trotzdem sie ohne nachzudenken auf den Auslöser gedrückt haben. Hier hat das meines Erachtens zufälligerweise funktioniert, aber Du bist Dir der Sache nicht sicher, und hast uns deshalb Dein Bild zur Besprechung eingereicht.

Ich will mich hauptsächlich auf die Komposition und Bildaussage konzentrieren, denen ja Deine Frage galt:

Zu sehen ist ein Strommast mit dazugehörigen Leitungen, unten ein wenig Grund. Alles ist aus dem/n Goldenen Schnitt/Dritteln heraus verschoben (rosa/grün), der Mast im Dutch Angle aufgenommen (gelb).

Vergleichsfoto/Komposition

Vergleichsfoto/Komposition

Vergleichsfoto/Komposition

Vergleichsfoto/Komposition

Dominiert wird die sehr minimalistische Komposition von dem dramatischen Wolkenspiel am Himmel, das allen negativen Raum ausfüllt. Sonst zu sehen ist nichts.

Der Strommast teilt das Foto in mehrere Teile auf (wenn man den Grund dazuzählt, sind es vier):

Vergleichsfoto/Komposition

Vergleichsfoto/Komposition

Ich habe das Bild auf alle möglichen Weisen manipuliert, und nichts davon funktioniert (untenstehend ein paar Beispiele), was mein persönlicher Test ist, ob eine Komposition so gelungen ist oder nicht, und das ist sie hier meines Erachtens:

Vergleichsfoto/Beschnitt

Vergleichsfoto/Beschnitt

Vergleichsfoto/Beschnitt

Vergleichsfoto/Beschnitt

Vergleichsfoto mit Entzerrung

Vergleichsfoto mit Entzerrung

Durch die stürzenden Linien wird hier Spannung aufgebaut:

Vergleichsfoto

Vergleichsfoto

Die düstere Einsamkeit der Szene verstärkt diese Spannung noch – es könnte sich um eine Einstellung aus einem Film Noir handeln. Man wartet eigentlich darauf, daß von links noch eine Gestalt auftaucht. Ein stinknormaler Schnappschuß mit geraden Linien, „klassisch“ nach Goldenem Schnitt komponiert, wäre hier eben stinklangweilig gewesen (auch die Schwarzweißumwandlung hätte daran nichts geändert), und ich hätte das Foto nicht ausgewählt. Mein Blick wäre nicht daran hängen geblieben.

Und das bringt mich zu meinem eigentlichen Punkt, denn ich habe hier die Gedanken wiedergegeben, die das Foto in mir auslösen. Du dagegen hast einen Strommast vor dunklen Wolken fotografiert, und Dich hinterher gefragt, ob die stürzenden Linien passen.

Es ist grundsätzlich nichts Falsches daran, aus dem Bauch heraus auf Motive zu reagieren. Aber Du hast hier etwas Besonderes eingefangen, obwohl minimalistische Kompositionen dieser Art nicht einfach sind, und Du Dir keine wirklichen Gedanken gemacht hast. Es fiel Dir bei der Nachbearbeitung in Lightroom erst auf, und es deutet auf ein gutes Auge und guten Instinkt hin, daß Du es behalten hast. Ich würde mir wünschen, daß Du diese Besprechung und das Foto an sich zum Anlaß nimmst, diesen Ansatz weiterzuentwickeln (vielleicht mit jener oben erwähnten Gestalt im Bild, oder einem Storyboard, das in einer Werkreihe mündet).

4 Kommentare
  1. Christian Fehse
    Christian Fehse sagte:

    Ein sehr starkes Bild! Ich finde es gut, daß das Bild eher beiläufig entstanden ist. Auch das schnelle erfassen einer Situation kann man perfektionieren. Ich hab das Gefühl, das ist ein Bild und dann schnell machen. Mit etwas Übung und dem Wissen was einem interessiert, bekommt man sehr gleichmäßige Ergebnisse – also bei mir ist das jedenfalls so. Ich glaube auch, der Andreas hat ein gutes Auge – aber vielleicht etwas Angst vor ungewöhnlich aussehenden Bildern. *gg*

    Antworten
    • Christian Fehse
      Christian Fehse sagte:

      Ja irgendwie schon, oder? Ich kenne das bei mir – gerade auch von Weitwinkelaufnahmen mit Verzeichnung und Verzerrungen. Da kommt immer auch mal die Frage „darf das so aussehen?“. *gg*

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