Marianne Breslauer: Umbruchjahre der Fotografie

Marianne Breslauers fotografisches Werk entstand mitten im Umbruch der Fotografie zur eigenständigen Kunst: in den wilden Zwanziger- und Dreißigerjahren.

Marianne Breslauer: Aus der Serie Freizeit eines arbeitenden Mädchens, Berlin 1933

Die Berlinerin, die vor den Nazis in die Schweiz emigriert ist, fotografierte nur ungefähr zehn Jahre lang. Die Fotostiftung Schweiz zeigt aktuell ihr Werk aus diesen Umbruchjahren.

 

Marianne Breslauer: Auteuil, 1929

„Interessiert hat mich nur die Realität, und zwar die unwichtige, die übersehene, von der grossen Masse unbeachtete Realität“ – so lautet Marianne Breslauers Credo. Sie hinterließ nur ein kleines, dafür aber bis heute frisch anmutendes fotografisches Werk, das sie in der Zeit zwischen 1927 und 1938 geschaffen hatte – jener Zeit also, in der sich die Fotografie von einer „malerischen“ Salonkunst zur radikalen „neuen Fotografie“ wandelte, zu einem neuen künstlerischen Medium, das ganz auf die ihm eigenen Qualitäten baute.

Marianne Breslauer: Paris, 1929

Im Unterschied zu vielen Autodidaktinnen wie Gisèle Freund begann Marianne Breslauer, Jahrgang 1909, ihre Karriere als Fotografin mit einer professionellen Ausbildung. Danach zieht es sie nach Paris. Der Surrealist Man Ray ermuntert die junge Fotografin, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie folgt seinem Rat und entdeckt mit ihrer Kamera die französische Metropole.

Vor allem interessiert sie sich hier für das Leben der Clochards am Ufer der Seine, lässt sich aber gleichzeitig auch von der exklusiven Atmosphäre um die Pferderennen in Longchamps fesseln. Wie viele junge zeitgenössische Fotografen schätzt Marianne Breslauer die Arbeiten von André Kertész und Brassaï und kommt ihren Vorbildern in ihren eigenen Fotografien sehr nahe. Doch auch die künstlerische Richtung des „Neuen Sehens“, die im Umfeld des Deutschen Werkbunds und des Bauhauses eine breite Aufmerksamkeit auf sich zog, lässt sie nicht unberührt.

Marianne Breslauer: Berlin 1931Ihre Aufnahmen finden schnell den Weg in die Printmedien. 1930 setzt Breslauers fotojournalistische Tätigkeit ein. Sie findet eine erste Anstellung als Fotografin im Fotoatelier des Berliner Ullstein-Verlags.

Ihr persönlicher Blick gilt den Menschen und Details am Rande des urbanen Lebens. Nie setzt sie die Kamera als ein Instrument des Übergriffs oder der Überlegenheit ein, sondern beobachtet das Geschehen unbemerkt.

Bis 1937 ist sie in den Bereichen Mode, Porträt, Werbung, Reisen, urbanes Leben und auch inszenierte Illustrationen für Zeitschriften tätig.

Einer ihrer thematischen Schwerpunkte liegt auf dem Porträt – wie bereits in ihrem Gesellenstück, der Serie „Porträts“ von 1928/29, in der sie eine Gruppe von befreundeten Künstlern – allen voran Paul Citroen – inszeniert. Sie porträtiert immer wieder Freunde aus ihrem Berliner Umfeld sowie Kollegen und Bekannte aus der internationalen Kunstwelt in Aufnahmen, in denen die Grenzen zwischen klassischem Porträt, Modeaufnahme für Werbezwecke und filmischer Inszenierung verwischt sind.

Marianne Breslauer: Ruth von Morgen, Berlin, 1934Das Bild der selbstbewussten „neuen Frau“ der Zwanzigerjahre prägt Marianne Breslauer mit. Ihre Aufnahmen von Ruth von Morgen, Maud Thyssen oder Jeanne Remarque zeigen einige dieser neuen Frauen – zu denen sie selbst auch gehört.

Alleine, mit Freunden, Kollegen oder mit ihrem späteren Ehemann, dem Kunsthändler Walter Feilchenfeldt, reist Marianne Breslauer ab den frühen Dreißigerjahren durch viele Länder Europas und den Nahen Osten. 1931 zieht es sie nach Palästina, und die Welt des Orients nimmt sie gefangen.

Wie in Paris beobachtet sie auch hier die Einheimischen in den Straßen und Gassen Jerusalems oder porträtiert ihre schöne Freundin Djemila, zu deren Hochzeit sie gekommen war.

Im Frühling 1933 reist sie mit der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach nach Spanien. Breslauers Fotografien dieser Reise sind keine sozialkritischen Aufnahmen, sondern sie konzentrieren sich auf die kulturellen Besonderheiten des Landes, die Architektur, erzählen von den Eigenarten seiner Bewohner.

Marianne Breslauer: Spalato, 1930Doch finden die Ergebnisse der Spanienreise in Deutschland keine Veröffentlichung mehr. Die Nationalsozialisten haben die deutsche Presse gleichgeschaltet, und Marianne Breslauer kann als „Nicht-Arierin“ nicht mehr unter eigenem Namen publizieren.

Die politischen Entwicklungen zwingen sie 1936 dazu, Berlin zu verlassen und erst nach Amsterdam, dann in die Schweiz zu übersiedeln. Dort widmet sie sich bis zu ihrem Tod 2001 ganz der Familie und dem Kunsthandel ihres Mannes Walter Feilchenfeldt.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sie ihre Laufbahn als Fotografin beendet – eine bewusste Entscheidung. Wie Marianne Breslauer selber erklärte, war das Medium Fotografie für sie ausgereizt: „Wenn ich weiter in dem Bereich gearbeitet hätte, wäre ich zum Film gegangen. Mit dem Fotografieren war ich fertig.“

Marianne Breslauers erste umfassende Retrospektive zeigt viele bisher unbekannte Originalfotografien sowie Neuabzüge von Originalnegativen aus dem Nachlass der Fotografin, der seit 2003 von der Fotostiftung Schweiz betreut wird. Weitere Leihgaben werden teils erstmals öffentlich gezeigt. Auf der Website zu Marianne Breslauer sehen wir noch mehr Bilder von ihr.

Zur Austellung erscheint diese Publikation: [amazon 3907142454]Marianne Breslauer – Fotografien[/amazon]. Hrsg. Kathrin Beer/Christina Feilchenfeldt in Zusammenarbeit mit der Fotostiftung Schweiz im Nimbus Verlag, Wädenswil 2010. Während der Ausstellung im dortigen Shop günstiger zu erwerben. Außerdem gibt es den Band [amazon 3907142039]Bilder meines Lebens. Erinnerungen von Marianne Feilchenfeldt Breslauer[/amazon], ebenfalls im Nimbus-Verlag.

Marianne Breslauer – Fotografien

Bis 30. Mai

Fotostiftung Schweiz, Grüzenstrasse 45, CH-8400 Winterthur (Zürich)

+41 52 234 10 30, Infoline +41 (0)52 234 10 34, info@fotostiftung.ch

Geöffnet Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr, Mittwoch 11 – 20 Uhr, Montag geschlossen

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