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Balloons in Dutch Angle: Aus dem Rahmen gefallen

Wenn man mit ungewöhnlicher Perspektive unerwünschte Elemente ins Foto bringt, sollte man sich ihrer zumindest in der Nachbearbeitung annehmen.

Aliza im Dutch Angle mit Ballons am Strand

Die technischen Daten: EOS 5D Mk III, Sigma 1.4/50 mm, Blende 5 bei 1/160s. © Reinhard Witt

Reinhard Witt aus Loose schreibt zu diesem Bild: Es war kalt, lausig kalt… Mein langjähriges Modell Aliza kam immer auf solche „grenzwertigen“ Ideen. Aber sie hat den Job einer Eventmanagerin, der es eben an den schönen Tagen des Jahres nicht möglich macht solche Bilder zu schießen. Die Zeit wird für etwas anderes gebraucht. Nun entschloss sie sich im Oktober das nachzuholen, was sie sich im Sommer ausgedacht hatte. Schon die Vorbereitungen mit den Luftballons gerieten fast zu einem Desaster. Helium hat eben seine Tücken… Wir entschieden uns für Strand… ja klar… und dann dieser eisige Wind… Aliza ließ sich nichts, aber auch nichts anmerken. Konzentriert wie immer… Welche Absicht steckte hinter dem Bild, ihr stellt Fragen. Muss denn immer eine hochtrabende Absicht dahinter stehen, darf man keine Bilder nur aus Spass mehr machen? :-) Gibt schon genug traurige Bilder auf der Welt. Und was ist speziell?… Vielleicht die Nachbearbeitung die ich mit dem Pixlr ausgeführt habe. Mittlerweile ein eigenständiges und für meine Zwecke hervorragendes „Verhübschungsprogramm“ :-)

Einer der Hauptgründe, warum ich gerne Bildkritiken schreibe, ist, dass ich permanent damit zu kämpfen habe, mein eigenes ästhetisches Empfinden – sprich, wie ich an Motive herangehe, wie ich sie umsetze, hintanzustellen. Hätte ich diese Szene fotografiert, wäre alles düster, Aliza schwarz angezogen, entsprechend geschminkt etc. Genau deshalb habe ich mir Dein Bild ausgesucht: es ging in eine so vollkommen andere Richtung. Weiterlesen

Zufälliger „Film Noir“: Bewußter Fotografieren

Wenn auch ein zufälliger Schnappschuß einen Treffer landen kann, sollte man bewußt fotografische Entscheidungen fällen können, damit das Ergebnis wiederholbar wird. Dazu gehört Komposition.

powerline

Nikon D7100, 20mm, f/11, 1/100s, ISO 100 – (c) Andreas Matti

Leser Andreas Matti hat uns dieses Foto zur Besprechung eingereicht. Er schreibt dazu:

„Das Bild habe ich während einem Spaziergang zu Herbstbeginn auf dem Pfannenstiel aufgenommen (D7100, 20mm, f/11, 1/100s). Eigentlich beiläufig fotografiert, fiel mir zu Hause die Dramatik der Wolken in Kombination mit dem Strommast auf, welche ich mit der S/W-Umwandlung verstärken wollte. Ich bin mir bezüglich der stürzenden Linien des Strommasts jedoch nicht sicher, ob diese nun für das Bild vorteilhaft oder störend sind.“

Vor kurzem habe ich bei fokussiert einen Artikelzweiteiler veröffentlicht, der sich mit Drauflosfotografieren beschäftigte. Genauer gesagt ging es darum, daß sich viele Leute wundern, warum ihre Fotos wie Anfängerschnappschüsse wirken, trotzdem sie ohne nachzudenken auf den Auslöser gedrückt haben. Hier hat das meines Erachtens zufälligerweise funktioniert, aber Du bist Dir der Sache nicht sicher, und hast uns deshalb Dein Bild zur Besprechung eingereicht.

Ich will mich hauptsächlich auf die Komposition und Bildaussage konzentrieren, denen ja Deine Frage galt: Weiterlesen

Leserfoto – „Fußball, auf den Hund gekommen“: Schnappschuß mit Tiefgang

Gute Fotos regen zum Nachdenken an, doch sollte man kompositionelle Entscheidungen aus einem Grund treffen.

(c) Hans Praefke

Das Bild entstand 2014 in Buenos Aires im Problembezirk La Boca

Marke: NIKON CORPORATION, Modell: NIKON D3000, Belichtungszeit: 10/2500, ISO: 200, Blende: 110/10, Brennweite: 180/10

Nachdem ich dieses Bild ausgewählt hatte – ja, der Hund hatte es mir auch angetan – habe ich erst einmal recherchiert. Das mache ich zwar sonst auch, aber wenn Dein „Modell“ hier ein Tutu angehabt hätte, wäre die Aussage der Aufnahme eine vollkommen andere. Weiterlesen

Leserfoto – „Die letzte Liege“: Ruhe und Dynamik

Aufnahmen mit einer starken Neigung nach links oder rechts sind generell eine Herausforderung an den Fotografen, wie auch den Betrachter.

Strandfoto aus Aegypten

(c) Lissi Gerhardt

 

Gesehen im Herbst 2013 in Hurghada, Ägypten. Aufgrund der Unruhen in den Städten bleiben die Touristen weg. chnappschuss mit dem Handy HTC Desire X
1000 x 598 Pixel Brennweite 3m Belichtungszeit 1/119 Sek.

Unser natürliches Empfinden geht dahin, waagrechte Linien waagrecht und senkrechte senkrecht darzustellen. In der traditionellen Architekturfotografie etwa ist es ein Muß, wenn man auch hier und da Kompositionen sieht, die sich bewußt darüber hinwegsetzen.

Du hast hier ein mit Deinem Handy gemachtes Foto eingereicht. Das HTC Desire X hat, soweit ich weiß, eine 5 MP Kamera, die für gelegentliche Schnappschüsse gemacht ist. Das wird hier deutlich am Rauschen, das auf dem Sand zu sehen ist; wahrscheinlich ist das Bild nachträglich aufgehellt worden, denn den Lichtverhältnissen nach zu urteilen ist es später Nachmittag/früher Abend. Auch die Pflastersteine im Weg zur Mitte hin sind verschwommen, was ich ebenfalls auf die technischen Grenzen der Kamera zurückführe. Man kann hier argumentieren, daß das ganze Bild auf etwas Distanz fast gemalt wirkt, und insofern stört es mich eher weniger.

Worauf ich mich hier konzentrieren möchte ist der extrem gekippte Horizont, zu englisch „Dutch Angle“, dieses Fotos. Ich denke, Du bist am Hotelfenster oder auf dem Balkon gestanden und hast diese Szene beobachtet. Du wolltest auch den Wächter rechts unten mit ins Bild nehmen, und so ist diese Komposition entstanden.

Die bestimmenden Linien im Foto (grün) sind gegenüber der Waagrechten (rot) extrem gekippt:

Vergleichsfoto 1

Der Hauptbildgegenstand ist hier der negative Raum, in dem der Mann mit der Liege Statist bleibt, aber auch als Kontext wirkt. Es strahlt eine trostlose Leere aus, die durch die blassen Farben verstärkt wird.

Die ganze Komposition ist aus dem Goldenen Schnitt heraus verschoben (gelb).

Goldener Schnitt

Der Blick des Betrachters wird nach unten rechts dem Weg entlang aus der Aufnahme geleitet (rosa), wo er schließlich auf den Wächter trifft.

Vergleichsfoto 2

Als Stilmittel hat ein „Dutch Angle“ in bestimmten Fällen seinen Platz, aber man muß ihn gekonnt einzusetzen wissen. Ich habe es mir über die Jahre zur Gewohnheit gemacht, andere Szenarien einer Aufnahme in Betracht zu ziehen, wenn Regelbrüche zur Diskussion stehen. Wenn ich zu dem Schluß komme, daß das Foto nur so, wie es präsentiert wird, „Sinn“ macht, ist der Regelbruch für mich gekonnt. Untenstehend eine verschlimmbesserte Version des Bildes, die eine unterschiedliche Variante der Szene wiedergibt. Es ist ein vollkommen anderes Foto, das zwar eine ähnliche Aussage hat, aber nicht halb so interessant wirkt:

Vergleichsfoto 3

Die Ruhe, die die Szene hätte, wäre sie anders eingefangen worden, paßt zur Trostlosigkeit des Bildes. Dort, wo sich Touristen unter Sonnenschirmen aalen sollten, ist niemand. Es könnte aber auch sein, daß eben am Ende des Tages alle Liegen weggetragen werden, und daß es sich um Ägypten handelt, sieht man nicht notwendigerweise. Man kann hier alles Mögliche hineininterpretieren.

Ein extrem kippendender Horizont bringt allgemein Dynamik ins Bild. Er unterstreicht im Foto angelegte Bewegung, etwa bei Autorennen. Das erzeugt hier eine kompositionelle Spannung in einem eigentlich ruhigen Foto und bring zusätzliches Interesse in die Aufnahme. Nur so macht sie hier Sinn, und ich finde den Ansatz durchaus gelungen.

Anzumerken wäre hier noch, daß ich persönlich das Thema aufgegriffen und noch weiter ausgebaut hätte. Oft kommen mir Gedanken zu Bilderreihen genau auf diese Weise: mir fällt etwas ins Auge, ich fange an, darüber nachzudenken, und ehe ich es mich versehe, bin ich dabei, das ganze fotografisch zu erkunden. Aus diesem einen Schnappschuß hätte so beispielsweise ein fotografisches Essay werden können.