Bildschnitt: Mit Mut etwas neues schaffen

Ein „mutiger“ Bildschnitt kann bisweilen aus einem vermeintlich missglückten Bild das herausholen, was immer drinsteckt: Jenes Bild, das den Fotografen zum Drücken des Auslösers bewegt hat.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Thomas Deuer).

Kommentar des Fotografen:

Zur Zeit lese ich viel über „mutiges Schneiden“, konnte aber lange nicht wirklich damit etwas anfangen. Bein Durchstöbern meiner Foto-Müllkiste (Übungsmaterial) viel mir ein völlig Unterbelichtetes, nichtsagendes Bild auf. Aufgenommen bei absolut sch… Wetter, Ende letzten Jahres. Schwarz- und Weisspunkt gesetzt, Aufhellen, partielles Scharfzeichnen und „mutiges Schneiden“. So entstand ein Bild was einen Panorama-Effekt simuliert. Überraschend und Faszinierend wie ein Bild seine Eigenschaft ändern kann, wenn es „mutig beschnitten“ wird.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Thomas Deuer:

In einer verschneiten, möglicherweise aber auch versandeten Landschaft steht in dieser im Panorama-Schnitt gehaltenen Fotografie eine Hölzerne Anlage auf Pfählen, die wie eine Koppel oder eine Verladestation für Vieh aussieht, bei näherer Betrachtung aber ihren Zweck nicht preisgibt. [textad]

Hinter dem ersten Podest mit einer Zugangsrampe scheinen in einer Reihe weitere, identisch gestaltete Anlagen zu stehen; links im Hintergrund ist ein Gebäude in der Art eines Speichers mit Rutschen oder Förderbändern zu sehen, rechts im Vordergrund steht der ersten Holzkonstruktion ein einsamer Holztorbogen gegenüber.

Als technikbegeisterten Menschen hat mich die Fotografie sofort angesprochen, weil die darin abgebildete Anlage ganz offensichtlich formatfüllend angeordnet, sprich das Bild extrem auf sie zugeschnitten worden ist: Demnach würde ich erwarten, dass es die Funktion der Konstruktion illustriert oder dokumentiert.

Meine Neugier wird zwar am Ende nicht befriedigt – ich hab noch immer nicht verstanden, was das ist, was Du uns da zeigst, noch bin ich mir sicher, ob es sich hier um eine Landschaft im Schnee, im Sand oder vielleicht sogar im Salz handelt – aber das ist eigentlich nicht wichtig, denn die Aufnahme hat mich auch so schon Sekunden lang gefesselt und hat mich dem aussergewöhnlichen Format entlang von links nach rechts zuerst den Vorder- und dann den Hintergrund erforschen lassen.

Und das beweist, wie Du selber erkannt hast, dass das Format einer Fotografie Teil der Komposition ist und ihre Wirkung, ihren Inhalt und ihre Funktion massgeblich beeinflusst. Hier funktioniert das besonders schön, weil nämlich die Eigenschaften durcheinandergewürfelt werden: Panoramabilder sind selten dokumentarisch, umgekehrt weckt aber der Bildinhalt auf den ersten Blick genau diesen Eindruck, und das lässt den normalen Betrachter stutzen.

Ausserdem hast Du hier den Satz umgesetzt, den ich von einem meiner Landschaftsfotografie-Lehrer immer wieder gehört habe: Es lohnt sich, auch vermeintlich missglückte Aufnahmen genau zu untersuchen, denn das, was Du ursprünglich gesehen hast, der Auslöser deines fotografischen Instinkts, steckt immer irgendwo drin.

Und manchmal kann man ihn mit einem beherzten Beschnitt herausholen – oder sogar, wie hier, mit weiteren Effekten einen ganz neuen Spannungsbogen schaffen.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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2 Kommentare
  1. Barbara Einig
    Barbara Einig sagte:

    Hey Thomas,

    habe dich im Netz gesucht und nur die Hinweise auf Fotos gefunden. Mag gerne wissen, ob du es bist. Stichwörter: Flughafenstraße 11, 1980/81, Oberlin, Putte, Südafrika.

    Wenn du es nicht bist, wäre ich dir für eine kurze Nachricht an meine E-Mail sehr verbunden und wenn du es bist, natürlich sowieso …

    Barbara (Bärbel)
    E-Mail: pocamarie@googlemail.com

    Antworten
  2. thomas deuer
    thomas deuer sagte:

    Danke Peter Sennhauser für die positive Bestärkung: Weiter zu machen.

    Das mit der Neugier empfand ich ebenso. Obwohl ich ja da war, musste ich im Bild auch immer wieder von Links nach Rechts wandern. Den zweiten Blick anwenden.

    Um Deine Verwirrung/Ratlosigkeit über das Dargestellte zu beenden. Das ist eine winterliche Strandszene aus Stankt Peter Ording. Links im Bild,auf Stelzen, ist ein Kaffee/Restaurant. Davon gibt es fünf. Die Gestelle im Bildzentrum werden während des Sommers genutzt zur Rettung der Strandkörbe bei Springflut. Das Gestell rechts ist eine Dusche. Das Weiße im Vordergrund ist tatsächlich Schnee.

    Gibt es eigentlich vernünftige Literatur zum zum Thema „Schnitt“? Ich habe mir das so „peu á peu“ aus diversen Quellen so zusammen gefrickelt.

    Danke Dir noch einmal
    Gruß

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