Stadion im Gegenlicht: Mehrdeutige Silhouetten

Silhouetten-Belichtung macht ein Motiv interessanter als eine die Standardmessung. Aber reicht der Trick, um eine spektakuläre Aufnahme zu kreieren?

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Jens N.).

Kommentar des Fotografen:

Das Bild wurde am Ernst Happel Stadion in Wien aufgenommen, wo sich sonst tausende Menschen tummeln; wo es laut, fröhlich und traurig sein kann; wo erst Menschen diesem Ort eine Funktion geben. Diese Menschenmassen sind hier nicht vorhanden, stattdessen sieht man, wie die Bäume ihre ersten Blätter verlieren, die Sonne strahlt und mitten in dieser Ruhe das Stadion. Diese etwas andere Sicht eines Stadions und des Umfelds mit seiner Ruhe und Menschenleere machen das Bild für mich interessant.

Profi Douglas Abuelo meint zum Bild von Jens N.:

Was macht dieses Foto visuell so interessant?

Die Komposition ist nicht großartig, aber auch nicht schlecht; es erzählt keine spannende Geschichte, es wird kein historisches Ereignis aufgedeckt.

Was diese sonst einfache, ruhige Szene interessant macht, ist das Verwenden einer einfachen Technik. Der Fotograf richtete sich mit der Belichtungszeit nach den hellsten Bildstellen und schuf somit eine Silhouette, welche die Szene unwirklich erscheinen lässt, á la Film-Noir.

Aber kann die Silhouette allein unsere Aufmerksamkeit fesseln und dieses Foto zu einem besonders schönen machen? Das Foto würde sich sicher sehr gut an der Wand eines Wohnzimmers oder eines Konferenzraums machen. Meiner Meinung nach ist es trotzdem kein tolles Foto. Es hat etwas Geheimnisvolles, Mehrdeutiges und ist dadurch etwas besser als eine langweilig schöne Aufnahme. Aber außer einer ungewöhnlichen Belichtung ist die Silhouette das einzige Thema des Bildes.

Ein Fotograf, der mit hochkontrastigen, silhouettenreichen Fotos großen Erfolg feiert, ist der australische Magnum-Fotograf Trent Parke. Er hat den Stil in vielen Projekten angewendet und dabei eine Tiefe erreicht, die es hier nicht gibt. Mag sein, dass die Ruhe und Menschenleere das Bild interessant machen, wie Du sagst, aber kompositorisch hilft die durchaus interessante Interpretation nicht.

Was hätte man besser machen können?

In erster Linie sollten die Bäume und das Stadion bedrohlicher wirken: Mehr Nähe zu den Bäumen, ein etwas weiterer Winkel, mehr Schatten auf dem Boden und ein sehr niedriger Aufnahmestandort hätten mehr Spannung gebracht.

Wären die Kondensstreifen von den Flugzeugen länger gewesen, hätte das einen interessanten und besonderen Aspekt ergeben. Wenn Du dem Foto mehr Geheimnis und Mehrdeutigkeit gegeben hättest, wenn das Stadion nicht nur wie ein Stadion, sondern gleichzeitig wie etwas anderes, seltsames, unbekanntes aussehen würde, dann hättest Du mehr als nur ein Konferenzraum-Foto gemacht.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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