Entsättigter Wald: Effekte brauchen eine Begründung

In der digitalen Dunkelkammer lässt es sich trefflich mit Effekten herumspielen. Die machen allerdings aus einem Bild niemals eine erstklassige Fotografie.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Michael Jobst).

Kommentar des Fotografen:

Das Bild wurde an einem sonnigen Tag im Gegenlicht aufgenommen. Der Effekt wurde folgendermaßen mittels Gimp erzielt: Zunächst habe ich eine entsättigte Ebene mit einem leichten „Warmes Leuchten“-Effekt erstellt, über die ich die farbige Ebene mittels „Überlagern“ gelegt habe. Dies führt zu einer allgemeinen mehr oder weniger leichten Entsättigung und dem dramatisch wirkendem Effekt. Um das Ganze abzurunden habe ich den „Warmes Leuchten“-Effekt noch einmal in einer sehr schwachen Form wiederholt und das Bild leicht geschärft.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Michael Jobst:

Ein Baumstrunk inmitten eines moosbewachsenen Stücks lichten Nadelwaldes, daneben ist die saubere Schnittfläche eines gefällten Stammes zu sehen. Die Szene scheint einerseits überbelichtet und fast monochromatisch in grün gehalten mit einem Anflug von Sepiatönung; die hellen Flächen auf den querliegenden Stämmen und Wurzelstücken und der Waldboden im mittleren Hintergrund im Sonnenlicht scheinen fast schneebedeckt im hellen Weiss:

Zunächst ein Blickfang, bei dem man sich kurz fragt, ob es sich um eine Infrarot-Aufnahme oder eine starke Verfremdung eines Winterbildes handelt.

Aber auf den zweiten Blick ist die Faszination leider verflogen: Das Motiv und die Komposition bieten fast nichts, was zum verweilen und entdecken einlädt, und der Effekt verblasst, erscheint beliebig und lässt sich nirgends an einen erkennbaren Ausdruck der Aufnahme selber anknüpfen.

Der Wald ist, wenn man mitten drin steht, ein schwieriges Motiv, weil erstens die meisten starken Linien in der Vertikalen verlaufen, wir Menschen aber ein waagerechtes Sehen pflegen, und weil er zweitens keine Fernsicht erlaubt und so die Emotionalität aus der Empfindung der 360-Grad-Umgebung herrührt, die wir erleben, wenn wir mitten drin stehen – die wir aber selbst mit einem 180-Grad-Fischaugen-Objektiv in einer Fotografie nicht ausdrücken können. Bisweilen kann es passieren, dass man deswegen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Der Spruch ist abgedroschen und passt hier dennoch besonders gut, weil er sich übertragen lässt auf die digitale Fotografie. Sie hat das lineare Vorgehen der Filmfotografen in ein Multi-Tasking verwandelt, das Segen und Fluch zugleich ist. Es beginnt bei der Aufnnahme mit Kameras, die dank Empfindlichkeitseinstellungen, Weissabgleich, Seriefeuer und Sofortbildkontrolle eine sorgfältige Planung unnötig zu machen scheinen. Es geht weiter mit der Nachbearbeitung in Programmen, die mit Schiebereglern jede Anpassung des einstigen Entwicklungsprozesses erlauben. Und schliesslich gesellen sich haufenweise Sonderffekte hinzu, mit denen man aus einer Fotografie in Sekunden ein Aquarell oder ein Mosaik machen kann.

Die wahre Herausforderung all dieser Möglichkeiten besteht darin, sich ganz bewusst auf die Funktionen zu konzentrieren, die einem Bild dienen und seine Präsenz verstärken. Die Voraussetzung dafür wiederum ist, dass die Ursprungsfotografie diesen Grundausdruck enthält – und dass die Fotografin sich darüber im klaren ist, was sie mit dem Bild will.

Just das fehlt mir in Deiner Beschreibung. Du erklärst zwar, wie der Effekt zu Stande gekommen ist, aber nicht, warum Du ihn hier passend findest und was er oder das Bild selber beim Betrachter auslösen soll. Der Effekt, der ein Hilfsmittel sein sollte, wird plötzlich zum Bildinhalt.

Er ist durchaus interessant, und die Entdeckung eigener Effekte und Wirkungen ist eine Bereicherung Deines Werkzeugkastens. Allerdings sollten diese Werkzeuge ganz bewusst und bedacht als letzter Schliff auf ein „Werkstück“ angewandt werden, das bereits alle Eigenschaften eines Kunstwerks haben sollte. Dieses Bild hat sie nicht.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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4 Kommentare
  1. Michael Jobst
    Michael Jobst sagte:

    Zum Sinn des Bilds:

    Die Effekte sollen eine Art „apokalyptischen“ Eindruck erwecken und damit das tote Holz unterstreichen. Dazu gehören auch die Bäume im Hintergrund, die auf den unteren Metern tot erscheinen.

    Das was wirklich nicht herüberkommt ist aber der Versuch der Natur das tote Holz wieder aufzunehmen – zwar ist im Vordergrund Moos und Gras zu sehen, aber viel zu undeutlich. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, den Apokalypse-Effekt selektiv im Vordergrund nicht anzuwenden.

    Die künstlich verringerte Schärfentiefe ist wie ich finde eine gute Verbesserung, allerdings zu stark, da man ja auch den toten Hintergrund sehen sollte.

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  2. Stefan S.
    Stefan S. sagte:

    Hallo Michael
    Zunächst fiel mir GIMP auf, ein Freewaretool, welches gerne unterschätzt wird. Nach einer Vergrösserung fand ich das Bild zunächst überschärft. Wieder verkleinert habe ich aus meiner Sicht den Grund für die „Un-Interessantheit“ gefunden:
    Ein solches Bild braucht verschiedene Schärfeebenen. Vordergrund (Strunk und Schnitt) so wie hier, die Bäume im Hintergrund schon ordentlich unscharf und den Hintergrund „verwässert“. Selektvies Schärfen (oder weichzeichnen) wären hier Mittel der Wahl. Versuche mal, mit GIMP Teile auszuwählen und gezielt weichzuzeichnen. Damit rückst Du den Strunk und den Schnitt klar in den Mittelpunkt. Leider kann ich keine Bilder direktverlinken, sonst würde ich Dir gerne zeigen was ich meine :-)

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