Industrielandschaft: Ablenkung auslassen

Gemäss Faustregel wirken Bilder, je einfacher ihre Komposition ist. Manches Motiv lebt aber von komplexen Strukturen, wie diese Industrielandschaft. Dann lohnt es sich, Ablenkung um jeden Preis zuvermeiden.

David C. Schneider
Leserfoto: Klick für Vollansicht (© David C. Schneider). – Canon EOS 350D – 1/200s – f/8 – ISO 100 – 18mm (27mm)

Kommentar des Fotografen:

Industrielandschaft in Tokio. Autos/Zaun, Bahnbrücke und Kabel bilden drei Linienbündel, die das Bild (meiner Meinung nach) sehr dynamisch machen. Der linke Laster stört, auch wenn er die Farbe des Himmels aufnimmt. In der Nachberarbeitung habe ich die Farben intensiviert (aber nicht sehr stark) und den Kontrast erhöht.

Peter Sennhauser meint zum Bild von David C. Schneider:

Solche Bilder machen deutlich, warum der Begriff „Landschaft“ im Zusammenhang mit Stadtansichten nicht verfehlt ist. Ihr Reiz besteht aus den gleichen Komponenten wie der von gelungenen Landschaftsbildern:

Linien und Flächen, verschachtelte Ebenen und korrespondierende oder kontrastierende Farben. Es gibt darin ebenso viel, wenn nicht mehr zu entdecken als in einem Naturbild.

Diese Komposition lebt eindeutig von den diagonal verlaufenden Kabeln, welche zu den horizontalen und vertikalen Linien hinführen, die durch die Gebäude und den Schienenstrang gebildet werden.

Neben den Farben – vor allem des im Zentrum stehenden Gebäudes mit den markanten roten Geländern – stehen auch die Muster der rechten Bildhälfte voller rechtwinkliger Wiederholungen im Kontrast zum urbanen Chaos auf der linken Bildhälfte.

Ein Problem habe ich persönlich mit dem Bildvordergrund. Die Mischung aus Stahlkolossen und Kabeln, chaotischen Linien und rechten Winkeln hat etwas unwirkliches, gemäldehaftes. Die oberen zwei Drittel des Bildes wirken wie eine Aufnahme von einer anderen Welt: Künstlich und kalt, leblos und still. Das wird durch die Strassenszene im Vordergrund gestört. Man könnte die Ansicht vertreten, dieser Widerspruch sei ein weiterer Kontrast, der dem Bild seinen Charakter verleiht – mich stört er.

David C. Schneider - bearbeitet: Motion Blur
Eine sehr viel längere Belichtungszeit (oder wie hier die in Photoshop nachträglich eingefügte Bewegungsunschärfe) würde die beiden Personen weniger vom eigentlichen Bildinhalt ablenken lassen.

Die beiden Menschen vernichten die Stimmung einer Science-Fiction-Kulisse und bringen das Bild zurück in einen Alltag, in dem wir mehr zu Boden blicken als das anschauen, was dieses Bild ja ausmachen soll: Die industrielle Landschaft, in der wir leben.

Bis zu einem Grad Geschmacksache, gewiss – aber ich glaube, ein paar Experimente in Photoshop – oder noch besser: Vor Ort während der Aufnahme – hätten sich gelohnt.

Zunächst stört in der gegebenen Komposition der linke Laster weniger als derjenige am rechten Bildrand: Er ist abgeschnitten. Das wirkt schon fast so störend wie abgeschnittene Gliedmaßen in Personenbildern. Ich hätte versucht, die Front des weißen Lasters auch noch in den Ausschnitt zu kriegen.

Eine Variante, um bei gleicher Komposition die Aufmerksamkeit von den Menschen abzulenken, sie aber als verstärkenden Faktor für die Grundstimmung beizubehalten, wäre eine möglichst lange Belichtungszeit und damit die Verwischung der beiden Personen zu „Zeitschlieren“ gewesen. Da Du „nur“ Blende 8 verwendet hast, hätte Spielraum bestanden für ein solches Experiment – Stativ natürlich vorausgesetzt.

David C. Schneider - cropped
Ohne die Ablenkung der Strassenszene im unteren Bilddrittel kommen die Linien und Flächen besser zur Geltung. (unten links habe ich das dach des Lasters behelfsmässig weggeklont – die Diagonale des Zauns rechts muss unbedingt aufs Bild.

Die radikalste und von mir bevorzugte Maßnahme aber wäre die Wahl eines stärker nach oben gerichteten Blickwinkels, unter vollständiger Auslassung des Strassen- Vordergrunds. ich habe in diesem gecroppten Bild ausserdem die leichte Perspektivenverzerrung korrigiert und eine etwas stärkere S-Kurve (Kontrasterhöhung) angewandt.

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