Sybille Bergemann: Die Polaroids

Sybille Bergemann hat neben ihren Auftragsfotografien viel mit Polaroids gearbeitet. Es sind Unikate „vom Rand der Welt“, wie sie selbst bekannte.

Sybille Bergemann - Polaroids 1979 - 2010

Polaroids sehen, kaum haben sie Konturen angenommen, schon so aus, als seien sie vor Jahren bereits fotografiert worden. Diese Spannung zwischen dem „Jetzt“ und dem „Vergangenen“ finden wir in Sybille Bergemanns „Sofortbildern“, die erstmals zu sehen sind.

Die im November 2010 verstorbene Sybille Bergemann sagte zu ihren Bildern:

„Mich interessiert der Rand der Welt, nicht die Mitte. Das Nichtaustauschbare ist für mich von Belang. Wenn etwas nicht ganz stimmt in den Gesichtern oder Landschaften.“

Das „Jetzt“ ist flüchtig, fragil, intim. Nirgends begegnen sich Augenblick und Ewigkeit so nah wie im Polaroid. Bergemanns traumhafte und zarte Dokumente gegen das Vergessen überziehen sich im Moment der Entwicklung mit einer Patina, einem Schleier, der sich einer zeitlichen und räumlichen Einordnung entzieht. Aber das Sofortbild selbst ist sehr vergänglich, weil es unwiderruflich mehr und mehr verblasst.

Sybille Bergemann - Polaroids 1979 - 2010Beim Fotografieren zeigte sich Sybille Bergemanns Haltung zum Leben – achtsam, geduldig und unaufgeregt, so teilt das C/O Berlin mit: Nie führte sie ihr Gegenüber vor und entblößte Schwächen oder Eigenarten. So gelang ihr eine besondere Nähe zu den Porträtierten. Sibylle Bergemann verstand die Fotografie nicht nur als Abbildung, sondern vor allem als ein Medium, das Aufschluss über Zusammenhänge der Wirklichkeit gibt, sie interpretiert und Stellung bezieht.

Sybille Bergemann sagte 1970 in einem Interview für das DDR-Magazin Sonntag:

„Wenn ich zu einem Thema hundert Bilder mache, von denen das mit der größten Wahrheit unscharf ist, biete ich eben das Unscharfe an.“

Sybille Bergemann wäre am 29. August 70 Jahre geworden. Daher können wir neben den Polaroids (C/O Berlin) auch eine große Retrospektive in Dresden (Leonhardi-Museum) sehen. Dort gibt es einen Einblick in das reiche Schaffen der Künstlerin mit Arbeiten, von denen einige den Status von Ikonen der DDR-Bilderwelt erlangt haben, darunter Bilder aus ihrer Modefotografie und eine Auswahl aus den Serien „Clärchens Ballhaus“ und „Denkmal“ zum Berliner Marx-Engels-Monument. Auch in Dresden ist eine Abteilung den Polaroids gewidmet und einer weiteren bisher unveröffentlichten Werkreihe namens „Fenster“.

Sybille Bergemann - Polaroids 1979 - 2010Zu den Polaroids ist bei Hatje Cantz (Ostfildern) im Juli 2011 ein Bildband erschienen: [amazon 3775728430]Sybille Bergemann: Polaroids[/amazon], herausgegeben von Betty Fink. Jutta Voigt schreibt dort über Bergemanns Umgang mit der Land-Kamera:

Kein größerer Gegensatz ist denkbar als das Schnellfeuer der Sofortbildkamera und die Sensibilität von Sibylle Bergemann. Sie hat das „Rrrr-zack-Programm“ umgedreht, zu sich gedreht, hat das Schnellfeuer in Glut verwandelt. „Plötzlich sehen Sie überall ein Bild“, prophezeite der Werbetext. Gemeinsamkeit und Unterschied: „Wo sie hinsah, war Komposition“, so Arno Fischer über seine Schülerin und Gefährtin. Die fotografierte bereits in den Siebzigerjahren mit der SX-70, „ich drücke drauf, um zu sehen, was ich gesehen habe“. Sie nutzte die Polaroidfotografie zunächst für Tests von Modefotos, im Laufe der Jahre entdeckte sie die künstlerischen Möglichkeiten, die das Polaroid für ihre Art zu sehen bereithielt. Das Ineinanderfließen der Schichten, das Grenzenlose, die Unschärfe, deren Bedeutung sie von Anfang an und gegen alle Vernunft eines freischaffenden Fotografendaseins geschätzt hatte.

Sibylle Bergemann, 1941 in Berlin geboren und 2010 in Gransee gestorben, begann 1966 eine Ausbildung als Fotografin bei Arno Fischer, den sie 1985 heiratete. Siehe auch den Beitrag bei fokussiert.com: Polaroids aus dem Garten.

Seit 1967 war sie freiberufliche Fotografin und Mitglied der Gruppe Direkt. Nach der Wende gründete sie zusammen mit Ute und Werner Mahler, Jens Rötzsch, Harald Hauswald, Thomas Sandberg und Harf Zimmermann die Fotoagentur Ostkreuz. Seit 1994 war sie Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, zudem unterrichtete sie an der Ostkreuzschule für Fotografie und Gestaltung in Berlin-Weißensee.

Sibylle Bergemann hat sowohl seriell gearbeitet sowie über längere Zeit selbst gewählte Themen und fotografische Notizen festgehalten. Schwerpunkte in ihrem Werk bilden die schwarzweißen und farbigen Mode- und Porträtfotografien, die im Auftrag für Sibylle, Stern, Spiegel und Geo oder zu eignen Themen entstanden sind. Wir finden Sybille Bergemanns Bilder auch auf der Website der Fotoagentur Ostkreuz.

Sybille Bergemann – Polaroids
Bis 4. September
C/O Berlin, Postfuhramt, Oranienburger Straße 35/36, D-10117 Berlin
+49 (0)30-28 444 16 0, info@co-berlin.com
Geöffnet täglich von 11 bis 20 Uhr

Sybille Bergemann
Bis 4. September
Leonhardi-Museum, Grundstraße 26, D-01326 Dresden
+49 (0)351 2683513, dresden@leonhardi-museum.de
Geöffnet Dienstag bis Freitag 14 – 18 Uhr, Samstag, Sonntag 10 – 18 Uhr

Sybille Bergemann bei Wikipedia
Fotoagentur Ostkreuz
C/O Berlin
Leonhardi-Museum Dresden

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