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Fotos lesen: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Fotografien müssen gelesen und interpretiert werden wie Texte. Um das zu üben, lohnt es sich, es gelegentlich schriftlich zu machen. Oder einer Führung in einem Museum beizuwohnen.

Fotos "lesen": Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Der Interpretation einer Fotografie sollte das «Lesen» des Inhalts vorausgehen.

Dieses Thema beschäftigt mich, und andere Fotografen, wie die Kommentare unter meinem letzten Artikel zeigen, schon längere Zeit.
Ein Werbespruch [amazon B00ZTIHIJY]eines bekannten Kameraherstellers[/amazon] lautet: „Wer sehen kann, kann auch fotografieren. Sehen lernen kann allerdings lange dauern“. Im ersten Augenblick wird das vielleicht dem einen oder anderen merkwürdig vorkommen, können die meisten von uns fast seit der Geburt sehen. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn mit „sehen“ ist nicht die reine Umwandlung von Licht in Nervenimpulse gemeint.

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Surreale Spiegelung: „Ein Altersportrait – Tagtraum II“

Gute Fotos gehen über das bloß Gezeigte hinaus.

Alter Mann fotografiert beim Treppensteigen in einem Spiegel

Unser Leser Marcus Leusch aus Mainz hat uns das obige Bild unter dem Titel „Ein Altersportrait – Tagtraum II” in der Kategorie ‚Street/Strasse‘ zur Besprechung eingereicht. Er schreibt dazu:

„Wiesbaden/Hbf: Am Anfang muss einmal der aufrechte Gang gestanden haben: Ich gehe, also bin ich. So fühlen wir uns mit einiger Berechtigung erhaben, indem wir in der Lage sind, auf unseren Wegen über alles hinweg zu eilen. ‚Vor uns liegen die Mühen der Ebenen,‘ heißt es bei B. Brecht. Ich sehe die Gebirge des Alltags längst nicht überwunden. Früher oder später geraten wir mitunter aus dem Gleichgewicht oder verlieren unsere Bodenhaftung, unser Gang wird unsicher, stockend, schwer – und eine Treppenstufe zu einem Schwindel erregenden Abgrund … Aufnahmedaten: Nikon D 700, 135/3.5 Mf-Objektiv, Blende 5.6, Belichtungszeit 1/160s, ISO 1600, Bearbeitung in Lightroom/Photoshop, Filmkorn hinzugefügt, Kontraste angehoben”

Über Ausrüstung und Aufnahmedaten hatte Marcus bereits berichtet. Die rechnerische und kleinbildäquivalente Brennweite sind beim hier verwendeten Kleinbildvollformat identisch.

„Gäbe es Fenster und Spiegel nicht schon bereits, müßten sie im Sinne der Überlagerungs- und Verzerrungsmöglichkeiten für die Ausdrucksfotografie nochmals erfunden werden”, möchte ich Marcus‘ Beschreibung ergänzen. Betrachten wir zunächst wieder die grundsätzlichen Bildelemente. Weiterlesen

Fünf Stühle, vier Tassen, drei Gestaltungsebenen

Besondere Perspektiven machen selbst einfache Bilder schnell zu Hinguckern.

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Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Martin Krenner).

Kommentar des Fotografen:

Ein Tisch, vier leergetrunkene Tassen auf einem Tablett, aber fünf Stühle – Platz für Interpretationen! Das ganze auf dem graphischen Untergrund, fotographiert genau von oben.

Profi Thomas Rathay meint zum Bild von Martin Krenner:

Martins Bild stach aus den ganzen hoch geladenen Fotografien durch die klaren Strukturen und die relativ aussergewöhnliche Perspektive ziemlich schnell heraus. Auf den zweiten Blick kommt dann auch noch die ungewöhnliche numerische Aussage des Bildes zu Tage.

Doch zuerst einmal die Frage, was hat mich auf den ersten Blick von diesem Bild eingenommen. Klar, die erwähne Draufsicht. Diese sind wir nicht gewohnt, weil sie nicht unserem normalen Blickfeld entspricht. Wir sehen alles aus „Augenhöhe“. Da Martin mit der 42er Brennweite schon eine sogenannte Normalbrennweite verwendete, hat er sich mit dieser Vogelperspektive wieder etwas Spannendes einfallen lassen.

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Digitales Konzeptbild: „Die Jungfrau“ einmal ganz anders

Berühmte Künstler zu „zitieren“, ist immer mutig, sie umzuinterpretieren gewagt.

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Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Horst Hazfeld).

Kommentar des Fotografen:

Tableau Vivant nach dem Gemälde „Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen“ von Max Ernst. Im Originalbild liegt der Jesusknabe mit dem Rücken nach oben gewandt auf dem Schoß der Maria. Der auf dem Boden liegende Heiligenschein – hier durch den Knebel ersetzt – symbolisiert die Entheiligung des Jesuskindes, ein unerhörter Vorgang. Das Bild war deshalb auch Anlass für die Exkommunikation Max Ernst´s aus der Katholischen Kirche. In meiner Interpretation wird der Jesusknabe durch den Fetisch – Frauenbeine – ersetzt, Requisiten wie die Reitgerte und der Knebel lassen Assoziationen zur SM-Szene zu. Der Kulissenartige Hintergrund wurde, passend zum Thema, aus der Fassade des Diözesanmuseum Köln in PS konstruiert. Der Wandel von Moralvorstellungen, Sexualpraktiken und Toleranz, oder Inntoleranz der Kirche, wird im Kontext des Originalbildes thematisiert.

Profi Sofie Dittmann meint zum Bild von Horst Hazfeld:

Dein Bild war für mich ein „gefundenes Fressen“, wie man so schön auf Deutsch sagt. Erstens einmal sehen wir so etwas hier nicht alle Tage, und zweitens MUSS man das Bild interpretierend besprechen, wovon ich sonst meistens (u.a. aus Platzgründen) absehe.

Berühmte Künstler zu „zitieren“, ist immer mutig, sie umzuinterpretieren gewagt. Wenn man dieses auch noch in einem anderem Medium tut… Zunächst einmal ein paar Worte zum Original:

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Industrielandschaft: Industrial Color-Key

Der kleine Mensch inmitten von großen Maschinen: So wirkt diese Riesenrad-Szene in Schwarz-Weiß, bei der die größte Fläche farbig hervorgehoben wurde.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Lars Röglin).

Kommentar des Fotografen:

Meine Interpretation einer Situation im Riesenrad im Wiener Prater: Mir gefällt, dass die zweite Person des romantischen Dinners praktisch vollständig vom Fensterrahmen verdeckt ist. Der rote ColorKey im kontrastreichen schwarz-weiß soll ein wenig an SinCity erinnern, da die eigentliche Szene ja eher romantisch ist. Bin gespannt auf die Profi-Kritik.

Profi Robert Kneschke meint zum Bild von Lars Röglin:

Schwarz-Weiß-Fotos leben von Kontrasten und der Komposition. Spannend wird es, wenn durch den Color-Key-Effekt der Kontrast durch eine zusätzliche Farbe – im gezeigten Fall Rot – entsteht und damit die Aussage „Schwarz-Weiß-Bild“ fast konterkariert wird. Außerdem kann ein Color-Key-Effekt durch übertriebenen Einsatz schnell kitschig oder peinlich wirken.

Beim Foto von Lars Röglin passt der Effekt jedoch erstaunlich gut.

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Annett Gröschner/Arwed Messmer: Die frühe Berliner Mauer

Ein wahrer Schatz aus ehemaligen DDR-Archiven: Panoramafotografien der frühen Berliner Mauer. Annett Gröschner und Arwed Messmer haben sie aufbereitet.

[textad]Quelle: Barch-DVH 60, o. Angabe, Rekonstruktion und Interpretation Arwed Messmer

Wir sehen: Die frühe Mauer war durchsichtig, noch nicht überall massiv, provisorisch mit Stacheldraht oder Zäunen abgegrenzt. Zum fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus sehen wir die Bilder in Berlin.

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Locationshooting: Geschichte im Kopf

An grossartigen Lokalitäten braucht der Fotograf häufig gar keine aufwändig inszenierte Pose des Modells. Ein einfaches Situationsbild ist oft wirksamer.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Simon Schmitz).

Kommentar des Fotografen:

Dieses Bild entstand, als ich mit einer Freundin ein paar Photos in einer alten Ziegelfabrik gemacht habe. Ich habe noch einen Stuhl mit zurück genommen und konnte dann die zufällig entstandene Distanz für dieses Bild nutzen.

Peter Sennhauser meint zum Bild von Simon Schmitz:

Eine junge Frau in leuchtend orangem Trägershirt, schwarzem Jupe und hohen Absätzen spatziert in dieser Farbaufnahme durch eine schmale, offenbar verfallende Fabrikhalle. Die Frau geht von der Kamera weg und richtet mit beiden Händen ihr Haar.

Auch wenn Dein Modell hier einen klaren Blickfang setzt – das eigentliche Motiv der Fotografie ist die Fabrikhalle – und es ist ein grossartiges dazu:

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Bewegtexperiment: Inner Space

Durch Bewegung der Kamera lassen sich bisweilen faszinierende Effekte bewirken. Es lohnt sich, damit ausführlich zu arbeiten.

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Thomas Renner).

Kommentar des Fotografen:

Ein Experiment mit bewegter Kamera und langer Belichtungszeit. Wurde aus RAW entwickelt, Weissabgleich extra falsch gesetzt auf Trüb. Zu Anfang der Belichtung hab ich ruhig gehalten um danach um den Baum herum zu gehen (ca. 1/2 Umdrehung), die Kamerarichtung blieb dabei die selbe. Danach noch etwas PS (Gradationskurve, Tiefen und Lichter, „falsche“ Nachschärfung der Mikrokontraste, Bereichsreparaturpinsel gegen den Sensorstaub).

Peter Sennhauser meint zum Bild von Thomas Renner:

Ein dunkles, grüngelbes Gebilde ragt in diesem Farbbild aus dem unteren Bildrand in das Zentrum der Aufnahme und breitet sich dort in feiner Verästelung aus. Zwischen den Ästen scheint helles Licht durch und vermittelt den Eindruck, durch eine adrige Membran zu blicken.

Die Überschrift dieser Besprechung habe ich mir von Hollywood geborgt: Es ist der Titel eines Films mit Dennis Quaid über die Reise eines auf Nano-Masse vekleinerten Piloten in einem U-Boot in einem Menschen – übrigens ein Remake des gleichen Themas aus den 60er Jahren:

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Zoo-Foto: Starke Symbolik, perfekt umgesetzt

Durch Reduktion der Bildinhalte wird hier die Bildaussage verstärkt und Raum für Interpretationen geschaffen.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Friedhelm Peters).

Kommentar des Fotografen:

Zuerst einmal hoffe ich das ich das Bild in die richtige Kategorie eingeordnet habe. Was gibt es zu diesem Bild zu sagen, ich besuche gerne und regelmässig den Zoo. Besonders die Primaten habe es mir angetan, und sie zu beobachten ist eigentlich eine grosse Freude wenn da nicht (nicht nur bei den Primaten) immer wieder das ungute Gefühl hervorkommen würde, dass die Tiere gefangen sind, ihrer Freiheit, auf die wir so viel wert legen, beraubt. Dieses in ein Bild zu packen habe ich schon des öfteren versucht, aber so wirklich zufrieden war ich bisher nicht. Bei diesem Bild ist die Hand eines Schimpansenjungen, fast noch ein Baby, zu sehen. Gerade dadurch, dass die Hand so klein ist, kommt sie in meinen Augen besonders zur Geltung. In Anlehnung an ein berühmtes Lied habe ich das Bild auch „Sind so kleine ….“ genannt.

Profi Jan Zappner meint zum Bild von Friedhelm Peters:

Ein Bild, das inhaltlich, formal und technisch alles richtig macht, um Spielräume zu schaffen und Emotionen zu wecken. Was ist hier richtig gemacht worden?

Zunächst wurde inhaltlich stark reduziert:

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Kunstwerk-Fotografie: Problematische Interpretation

Kann eine Fotografie eines Kunstwerks selbst Kunst sein? Und welche Kriterien gilt es zu erfüllen?

[textad]Leserfoto: Klick für Vollansicht (© André Hofmann).

Kommentar des Fotografen:

Das Bild entstand vor längerer Zeit in einem stillgelegten IFA-Werk in Meerane. Nicht lange vorher fand dort eine IBUG-Veranstaltung statt (Industrie-Brachen-Umgestaltung), bei welcher dieses Kunstwerk entstand. Mich hat vor allem die Aussagekraft dieses Werkes beeindruckt, und so wollte ich dem Künstler auf meine Weise Respekt zollen.

Profi Martin Zurmuehle meint zum Bild von André Hofmann:

Damit eine Fotografie einen Urheberrechtsanspruch erheben kann, muss sie eine genügende Schöpfungshöhe (in der Schweiz, siehe Kommentare im verlinkten Artikel – in Deutschland trifft das nicht zu) aufweisen. Beim Kunstwerk selbst (wie bei diesem Motiv oder einem Gemälde) ist das kein Problem. Bei einer fotografischen Reproduktion eines flachen Gemäldes besteht keine Schöpfungshöhe und der Fotograf kann deshalb auch kein Urheberrecht geltend machen. Bei Aufnahmen von dreidimensionalen Kunstwerken ist das aber möglich.

Abgesehen von diesen juristischen Fragen stellt sich für mich die Kernfrage, welchen Stellenwert eine Fotografie von einem Kunstwerk hat:

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