Landschaftsfoto mit Ast: Darf man eingreifen?

Landschaftsfotografen sind der Natur und dem natürlichen Licht fast vollständig ausgeliefert. Aber nur fast.

Leserfoto: Klick für Vollansicht (© David Kaplan).

Kommentar des Fotografen:

Vor einiger Zeit habe ich schon einmal eine Profi-Kritik von Ihnen zu einem meiner Bilder bekommen. Es war für mich sehr interessant – insbesondere weil es eine heftige Diskussion ausgelöst hat :). Den Hauptkritikpunkt habe ich mir aber auch sehr zu Herzen genommen. Nun war ich 4 Wochen im Südwesten der USA und habe viele viele wunderschöne Landschaften gesehen. Ich bin an vielen Klischees vorbeigekommen, die ich Ihnen hier in der Profikritik gerne ersparen möchte.

Auf einer meiner zahlreichen abendlichen Fototouren bin ich an einem für mich ganz aussergewöhnlichen Ast vorbeigelaufen. Er fiel mir zum einen auf, weil in der Nähe kein Baum zu finden war, zu dem er einmal gehört haben konnte und zum anderen, weil seine geschwungene Form wie eine Art Pfeil zum Hintergrund wirkte.

Dort hatte sich über der typischen, felsigen Arches-NP-Kulisse nämlich ein grosses Gewitter zusammengebraut. Diese Ausgangsbasis war ideal. Leider fehlte es am richtigen Licht. Die Sonne war hinter dicken Wolken versteckt. Weil ich das Bild aber unbedingt haben wollte, musste ich wohl oder übel warten. Für wenige Sekunden kam die Sonne dann tatsächlich heraus und schenkte meinem Bild auch noch das richtige Licht.

Unsicher bin ich mir, ob der Vordergrund zu überfüllt ist und ob die mittige Positionierung des Astes womöglich die spannende Stimmung wieder zunichte macht. Und überhaupt – ob das Bild nur auf mich so spannend wirkt, weil ich dort war, oder ob die Stimmung wirklich durch das Bild fühlbar wird. Die Uhrzeit in den Exif-Daten stimmt übrigens nicht, da muss man noch 8h abziehen. Mit freundlichen Grüssen David Kaplan

Peter Sennhauser meint zum Bild von David Kaplan:

Nun, David, wollen wir sehen, ob ich es schaffe, nochmals eine Diskussion auszulösen…

Ein Toter Ast mit den typischen Wacholder-Verrenkungen auf Sandsteinplatten in der Hochwüste von Utah; rechts scheinen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne unter den dunklen Gewitterwolken hindurch in die Ebene, die im Hintergrund von Sandsteinsäulen und dem in Fetzen aus den Wolken fallenden Regen begrenzt wird.

Ein bemerkenswertes und dramatisches Bild, das vor allem von den Widersprüchen im Wetter lebt – Regenschauer, Wolkenspiel und Sonnenschein – und die exotische Schönheit der Wüste im amerikanischen Westen der Canyonlands wiedergibt.

Landschaftsfotografie setzt zwei Dinge ganz speziell voraus: Die Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken und Lichtverhältnisse, Stimmungen und Wetter zu antizipieren – denn der Moment dieser Stimmung ist häufig nur einige Augenblicke lang und erlaubt keine umfassenden Neukompositionen; und die Geduld, auf diesen Augenblick zu warten – und auch einen Fehlschlag in Kauf zu nehmen oder eben das beste aus den Gegebenheiten zu machen.

Du hast hier beides unter Beweis gestellt: Du bist auf den Ast gestossen, der mitten in der Wüste liegt, und hast ihn in der Abendsonne liegen sehen, obwohl die gar nicht sichtbar war. Du hast Dich danach auf die Fotografie vorbereitet und bist mit dem von Dir erhofften Sonnenlicht beglückt worden, just in einem Moment, als im Hintergrund eine dramatische Wetterstimmung stattfand, wie man sie sich nur wünschen kann (Landschaftsfotografren sind die einzigen Menschen die ich kenne, die knallblauen Himmel schrecklich und abstossend finden).

So weit kann man Dich beglückwünschen für die Beharrlichkeit, die belohnt worden ist.

Was nun die Aufnahme selber angeht, sprichst Du einige ihrer Herausforderungen selber an. Dabei ist die Komposition an sich nicht das Problem, sondern vielleicht eher Dein Anspruch, alles in ein Biold zu kriegen – denn dadurch neutralisieren sich die Elemente gegenseitig ein wenig.

Vorschläge zur Verbesserung sind deshalb besonders schwierig, weil zumindest unter den Gegebenen Umständen und mit diesem Licht vielleicht zwei verschiedene Aufnahmen den beiden Hauptmotiven – Ast und Wetter – mehr hätten abgewinnen können.

Fangen wir mit dem Ast an, denn der hat Dein Augenmerk geweckt und war der Auslöser für das Bild. Diese Rolle wird ihm aber in der Aufnahme nicht ausreichend zugedacht. Zum einen ist er zu weit weg, zu weit unten, zum andern ist er schlecht ausgeleuchtet – seine spannendsten, aufregendsten Kurven liegen im Schatten.

Seine zentrale Position im Bild würde nicht stören, wenn sie zusätzlich betont würde und dem Bild die dritte Dimension verleihen könnte, die Vordergrund-Objekte vielen Landschaftsaufnahmen geben. Dazu hättest Du näher an ihn herangehen müssen, dichter über den Boden, die Tiefe des Bildes sogar entlang dem ins Bild hineinragenden Ast spielen lassen und dich nicht davor fürchten, sein fernes Ende in den Himmel am Horizont hineinragen zu lassen.

Das hätte sich in der aktuellen Position des Astes schlecht machen lassen, und zudem ist nun Mal die Sonne so weit rechts, dass er eigentlich besser liegen müsste, um voll ins Spiel zu kommen.

Und im Sinne einer Diskussion werfe ich jetzt mal die Frage auf, was Dich gehindert hat, den Ast zu packen und zwei Meter weiter vorne so ins Sonnenlicht zu legen, dass er bei einem ähnlichen (aber näheren) Bildausschnitt diagonal von links unten nach rechts oben in die Regenwolken gezeigt hätte – die Linie der Sandsteinsäulen am Horizont ergänzend. Denn Tatsächlich deuten fast alle übrigen Linien im Bild auf die Regenschleier hin, zeigen auf den dramatischen Wolkenbruch neben den Sandsteinsäulen.

Aber um einen richtigen starken Kontrast zu bilden (bei dem man sich zudem fragen kann, wie er inhaltlich zu rechtfertigen wäre), liegt der Ast etwas zu unbeteiligt, zu wenig „in your face“ im Bild, wie die Amerikaner sagen würden. Hättest Du hingegen nur den Ast aufgenommen und den Hintergrund in einem andern Bild gewürdigt, ich bin sicher, es hätten sich weitaus radikalere Kompositionen aufgedrängt, welche seine „Einsamkeit“ in der Wüste stärker betont und die Beleuchtung ausgenutzt hätten.

Dunkle Tonwerte leicht aufgehellt, Hintergrund mit digitalem Verlaufsfilter entsprechend dramatisiert.

Bleibt die Frage, ob man das überhaupt „darf“, ein Vordergrund- Element bewegen? Und da sind wir wieder bei der Glaubensfrage danach, welche Bildmanipulationen erlaubt sind und welche nicht – und in der Kunst, und Landschaftsfotografie gehört dazu, ist meiner Ansicht nach erlaubt, was nicht unethisch ist. Du zerstörst hier nichts, wenn Du den Wacholderast einen Meter weiter nach vorne in die Sonne legst, und Du führst mit dieser geringfügigen Anpassung auch nicht den Betrachter mit dem Bild in die Irre, sondern du nutzt die Umgebungselemente, um eine emotional starke Aussage (verlorener Ast in der Wüste) mit der dramatischen Schönheit der Umgebung in eine harmonische Komposition zu bringen.

Ein beeindruckendes beispiel, wie ein knalliger Vordergrund einen ebensolchen Hintergrund ergänzen kann, ist dieses Bild von Don Smith, der hier auch detailliert erzählt, wie das Bild aus einer anderen Absicht heraus entstanden ist, weil die Licht- und Wetterbedingungen nicht mitspielten. Unübersehbar ist hier der Doppelmoppel des Mäandrierenden Colorado im Hintergrund und des fast gleich gekrümmten Wacholderstrauchs im Vordergrund.

Ich kann nur hoffen, dass mir annähernd solche Aufnahmen gelingen werden – nächste Woche bin ich mit Don an einem Workshop fünf Tage im Arches NP in Utah unterwegs. Berichterstattung entsprechend jener aus dem Death Valley folgt.

In der Rubrik “Bildkritik” analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
Mehr über die Profi-Bildkritik erfahren / Eigene Bilder zur Kritik einreichen.

2 Kommentare
  1. Fabienne Ledies
    Fabienne Ledies sagte:

    Hallo David, Peter,

    das ursprüngliche Bild gefällt mir sehr gut.
    Einzig die Kameraposition hätte ich so gewählt, das der Ast mehr rechts im Bild zu sehen ist.
    Wobei er eine steilere Diagonale im Bild erzeugt.

    Dein Hinweis Peter, den Ast weiter ins Licht zu setzen, empfand ich zunächst als einen sehr guten Tipp.
    Betrachtet man aber die beiden Bilder (Original und Aufhellung) muss man sich fragen, woher kommt das Licht, das den Ast deutlicher zeigt.
    Die Aufhellung des Schattens hat keine erkennbare Lichtquelle im Bild.
    Viel der Fotos die DON SMITH zeigt, beruhen auf ähnlicher Wirkung.
    Meist eine über ein Verlaufsfiter abgedunkelter Hintergrund (Himmel) und einen hellen Vordergrund.
    Der schattenlos ist, obwohl er im Gegenlicht liegend Schatten zeigen müsste.

    Legt man den Ast ins Licht (Position wie im Bild sichtbar, Sonne von rechts) so liegt die sichtbare Seite des Ast immer noch in seinem eigenen Schatten.
    Auch hier würde man nicht mehr Strukturen von Ast erkennen können.
    Man müsste genauso aufhellen, um die Struktur sichtbar zu machen.
    Die direkte Beleuchtung des Ast ergibt sich nur dann, wenn man den Ast von links unten diagonal ins Bild legt.
    Das von rechts kommende Licht beleuchtet dann die Struktur.
    Das Bild hätte aber keine „ungewöhnliche Dramatik“ weil es nicht ungewöhnliches zeigt. Es ist nur ein beleuchteter Ast in der Landschaft.
    Wie in den Bilder von DON SMITH erzeugt eine helle Fläche deren Beleuchtungsquelle nicht erkennbar ist und eine gleichzeitig eindeutig erkennbare Lichtsituation die „Irritation“ beim Betrachter. Erst dadurch wirkt das Bild ungewöhnlich.
    Der Trick liegt wie bei alten Meistern der Malerei darin, eine wichtiges Motivteil zu beleuchten, ob wohl es mit der offensichtlichen Lichtsituation nicht erklärbar beleuchtet sein kann.

    Geht man zurük zum Ausgangsbild und belichtet den Himmel ohne Verwendung von Verlaufsfiltern richtig.
    Und legt man den Ast diagonal von rechts unten ins Bild.
    Ergibt sich im kurzen Moment des Durchbruchs der Sonne ein Spotlicht auf den Ast. Der dann hell, aber mit natürlichen Schatten den Ast zeigen könnte.
    Der Ast zeigt auf das Licht. Je nach Position auf das Gewitter oder die Lichtquelle selbst. Das Licht beleuchtet parallel den Ast, der damit über seine Form, seine Struktur offenbaren kann, und über Licht und Schatten Räumlichkeit erzeugen kann.

    Die Frage ist nicht „darf man eingreifen“ sondern wie man eingreift.
    Greife ich zum Verlaufsfilter, greife ich den Ast, greife ich zur gezielten Unterbelichtung oder greife ich zum Aufhellen.

    Fabiennne

    Antworten
  2. David Kaplan
    David Kaplan sagte:

    Hallo Peter
    Vielen Dank für die umfassende Bildanalyse. Ich denke, hier kann ich einiges mitnehmen. Du hast mir eine sehr grundlegende Frage gestellt: Warum habe ich nicht einfach den Ast weiter in die Sonne gelegt? Die Antwort ist erschreckend einfach: Es ist mir nicht in den Sinn gekommen. Als ausschliesslicher Landschafts- und Architekturfotograf bin ich es mir nicht gewohnt, die Umwelt zu verändern. Ich warte und warte und hoffe auf den richtigen Augenblick. Dabei bin ich wohl blind für genauso naheliegende Gestaltungsmassnahmen wie das Verschieben des Hauptsujets. Ich halte es genauso wie du und finde das in dem hier vorliegenden Fall absolut angebracht.
    Leider war ich zum Aufnahmezeitpunkt sehr gestresst, da ich noch einige Fotos in der Umgebung bei diesem tollen Licht zu fotografieren hatte, so dass ich hier umso weniger daran gedacht hatte, den Ast zu verschieben.

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert