Fingerübungen – Strassenshooting: Einfacher werden

Auf dem Foto-Spaziergang kommt man am ehesten zu guten Resultaten, wenn man sich nicht zu viel vornimmt.

Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
Bild des (zweiten) Tages: Keep it simpel, stupid!
(Alle Bilder Peter Sennhauser)

Neben vielen anderen habe ich am Wochenende im Zuge eines Fotoseminars ein paar grundlegende Dinge über mich selbst gelernt. Wir haben an beiden Tagen die gleiche Tour durch ein Quartier in San Franciscos Künstlerecke gemacht – und am zweiten Tag liefs mir deutlich besser. Ein paar Erklärungen, die andern vielleicht helfen könnten:

Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
Keine Aussage.

Vor einem Shooting sollte man es sich verkneifen, die Nacht durchzuarbeiten. Durch die unausgeschlafenen Augen sieht man die schönsten Motive nicht.

Ok, das ist zwar wichtig, aber ausser Konkurrenz.

Jedenfalls wollte mir am Samstagmorgen einfach nichts gelingen, obwohl es in der Gegend von Motiven wimmelt. Ich sah die Telefon- und Strommasten, Hauskanten und Hochhäuser, interessante Schatten und Linien – aber keine Bilder, keine möglichen Kompositionen, nur viele, viele Elemente, die Bestandteil eines Bildes hätten sein können. Ich versuchte verzweifelt, sie irgendwie zu kombinieren.

Im Seminarraum Stunden später habe ich mir die Arbeit der andern Teilnehmer angeguckt – und schliesslich realisiert, dass ich den Kopf zu weit nach hinten gelegt hatte: Die hatten allesamt die wunderbarsten Aufnahmen – nicht von ganzen Strassenzügen und vexierbildhaften Baugerüsten, sondern von kleinen, simplen Dingen am Rand des grossen Ganzen. Von der glitzernden Kühlerfigur eines Oltimers bis zu Hydranten oder einem einzelnen Fenster an den viktorianischen Gebäuden.

Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
Zu unentschieden – zu viel.
Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
Simpel, reduziert, spannend.

Ich hatte auch meine vier, fünf Dutzend Bilder gemacht, aber nur eines schien irgendwie vielversprechend. Ein Stück Weihnachtsbaum-Glitter, der auf der Strasse herumgelegen hatte.

In der Diskussion wurde klar, warum: Es wollte nicht so viel, und deshalb erreichte es viel mehr.

Lass die Bilder kommen. Eine hohe Erwartungshaltung und ein übertriebener Anspruch an das, was der Fotogang bringen soll, vernebeln den Blick für das, was sich anbietet.

Die Bilder werden wohl im Kopf gemacht und nicht in der Kamera – aber auch die Gestaltung im Kopf wird durch etwas, was bereits vorhanden ist, ausgelöst, und nicht durch eine Idee, was vorhanden sein müsste.

Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
Grafisch, abstrakt.

Am zweiten Tag ging ich die Sache viel lockerer an. Das Shooting wurde zum Spaziergang, und schon kamen die Bilder von selbst. Wenn sich eins anschlich, schaute ich mir die Sache zuerst in aller Ruhe von verschiedenen Seiten an, suchte nach der spanndesten Perspektive, nach einer Kombination mit Hintergrund und Schärfentiefe, nach einem Linienverlauf.

Dabei zeigte sich schnell, was ich anders machte als am Vortag – was sich im Kopf geändert hatte.

Ein paar korrespondierende Flächen, einige Linien, die den Rhythmus des Bildes ausmachen, indem sie sich wiederholen. Darin liegt häufig mehr Spannung als in einem Gewirr von Licht und Schatten.

Die einfachsten Bilder sind häufig die besten. Nicht zu viele Linien, nicht zu viel Chaos – aber genug Inhalt, um das Auge auf der Bildfläche herumzuführen.

Bei der Auswertung der Bilder am Bildschirm bemerkte ich erst, dass ich mich an diesem zweiten Tag nicht mehr „verpflichtet“ gefühlt hatte, das Quartier oder die grosse Bühne in die Aufnahmen zu packen, sondern einfach nach Motiven für interessante einzelbilder zu suchen.Darin lag einer der grossen Unterschiede zwischen der Herangehensweise der andern Teilnehmer und mir am Samstag: Wo ich immer fünfzehn Schritte zurück gemacht hatte, waren sie drei Schritte näher ran gegangen und hatten sich auf ein Detail, eine spannende Sache konzentriert, ohne gleich die halbe Welt im Bild einfangen zu wollen.

Dabei kann man sich vom grossen ins Kleine bewegen und unbeschwert die wirklich kleinen Details mitnehmen, die vielleicht nichts mit dem Spaziergang oder dem Quartier zu tun haben, aber ganz einfach gute Bilder ergeben.

Nutze die Freiheit, keinen Auftrag und alle Objektive dabeizuhaben: Niemand sagt, dass aus einem Fotospaziergang nur Weitwinkel-, Reportage- oder Makrobilder resultieren dürfen.

Die Konzentration auf ein Genre ist vielleicht bisweilen eine gute Übung für angehende Auftragsfotografen. Für den Hobbyisten aber stellt sie vor allem eine Beschränkung dar, die einen der besten Bilder des Tages berauben könnte.

Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
Winzige Details…
Peter Sennhauser - Fotospaziergang. San Francisco, 2008
…und Zufälle.

Wie den kleinen Span aus Stahl an einem künstlerischen Fenstergitter, der aussieht wie ein wenige Millimeter grosser Vogel – oder die Biene, die ihren Pollen verliert, während sie grade zufällig in mein Bild einer weissen Blüte vor knallbuntem Hintergrund fliegt.

Gelernt habe ich in dem nicht ganz billigen Seminar noch viel mehr – aber erkannt habe ich vor allem diese drei Dinge, die nicht auf dem Lehrplan standen.

2 Kommentare
  1. Anonym
    Anonym sagte:

    guter Artikel – meinen Söhnen welche langsam das Fotografieren entdecken musste ich schon mehrmals ans Herz legen, nicht zu grosse Erwartungen zu haben.

    Antworten

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  1. […] habe ich ein Plädoyer für einfachere Bilder geschrieben. Und jetzt muss ich mir bereits widersprechen? Grundsätzlich gefällt mir Dirks Bild – […]

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